: Ich hoffe, daß Ihnen nichts passiert
■ Ror Wolf, ausgezeichnet mit dem bremischen Literaturpreis, über seine Schreibwerkstatt, den Fußball und den Katastrophenfall
Ror Wolf (59), hat gestern für seine „Nachrichten aus der bewohnten Welt“ den Bremer Literaturpreis bekommen. Die taz besuchte ihn vortags im Hotel.
taz: Bei der Arbeit, schert sie da Ihr Publikum?
Ror Wolf: Bedenken Sie bitte, daß ich seit 35 Jahren schreibe. Da ist die Vorstellung vom Leser immer weiter zurückgerückt; zumal, wenn man den Idealleser nie getroffen — nein, falsch...
...nicht in ausreichender Zahl?
...nicht in ausreichender Zahl getroffen hat. Inzwischen vertraue ich einfach darauf, daß sich schon ein paar finden werden, denen das gefällt. So lange jedenfalls versuche ich, bis an die äußerste Grenze des Machbaren zu gehen, der Qualität. Wenn ich mal frech sein darf: ich komponiere geradezu. Da geht es um Aufbau, Leitmotiv, Wortwahl. Manchmal suche ich allein nach einem zweisilbigen Adjektiv mit zwei „u“ mehrere Stunden. Damit eine Prosa entsteht, die sozusagen haltbar ist. Deshalb hab ich auch nie Jargons verwendet. Außer dem des Fußballs, aber der ist ja ewig.
In Ihren Fußball-Sonetten?
Ja. Das war eine späte, umso heftigere Liaison. Da faszinierte mich ungemein vor allem, was um dieses Spiel passiert, im Stadion und draußen. Ich hab es mal Totaltheater genannt.
Von Eco stammt die Vermutung, daß alle Lust auf Erden, große Politik zu machen, in das Fußballtheater eingeht.
Ja, natürlich. Alles, was im Leben passiert, kann auf das Spiel vom letzten Samstag bezogen werden. Einem Mythos von solchem Ausmaß kann man schon mal verfallen. Ich hab da gesammelt, damals vor dreißig Jahren mit einem großmächtigen Tonbandapparat: in den Kurven, in Fan-Kneipen; ich bin in Bussen, in Sonderzügen gefahren. Das ging schon ins Ethnologische. Aber das ist vorbei. Ich wollt auch nicht als „Fußball-Poet“ enden.
Und jetzt? Sind Sie der Autor, den, wie Henscheid sagt, das Unheil anzieht wie keinen zweiten?
Ach nein. Auch ich ziehe, glaube ich, das Unheil nicht an. Jedenfalls hoffe ich, daß Ihnen nichts passiert, während wir reden. Da geht es mehr um die Themen: ich neige zur Darstellung kleinerer und größerer Katastrophen.
Mit größter Aufmerksamkeit.
Ja, unbedingt. In gewisser Weise ist die Katastrophe ja auch das Normale. Das katastrophenlose Leben findet so gelegentlich mal dazwischen statt. Die meisten Katastrophen sind zudem folgenlos. Sie gehen ineinander über. Sie bemerken ja auch, daß ich noch vor Ihnen sitze. Ich habe also immerhin fast sechzig Jahre überlebt.
Und dabei Texte gemacht, die im besten Sinn immer abstruser geworden sind.
Ja. Ich versuche, das Äußerste in einem Text unterzubringen: bis er fast zusammenbricht. Und dann kommt's sehr drauf an, daß er trotzdem hält.
So daß man sich wundern muß, daß in allem Elend ausgerechnet die Sprache noch funktioniert. Mögen Sie Karl Valentin?
Ich liebe ihn, seit ich ein Radio habe. Ich war damals jung und sicherlich kein lustiger Mensch, und mit zwölf kannte ich schon Sachen von ihm auswendig.
Darf ich hören?
Naja, der „Buchbinder Wanninger“ natürlich — aber ich wollt jetzt komplizierter sein; den kennen ja alle. Aber sonst, nein, ich hab mal beschlossen, das alles wieder zu vergessen. Man kommt ja sonst nicht dran vorbei.
Ihre Geschichten muten geradezu grausam gekürzt an.
Die Lesezeit wird einfach knapper.
Entstehen die kurzen Texte per operativem Eingriff aus längeren?
Selten. Öfter aus noch kleineren Fragmenten. Ich notiere, wo ich gehe und stehe, was mir einfällt und bewahre das alles auf in einer Art...
...Registratur?
Ja. Zahllose Karteikästen mit einem Code-System, damit ich zurechtkomme. Da krame ich dann, und oft finde ich was von vor zwanzig Jahren, dem fehlen zur Geschichte bloß noch zwei Sätze. So eine Registratur ist auch ungeheuer nützlich in Momenten, wo einem nichts einfällt; die werden ja immer häufiger. Da kann ich mir dann immer noch einfach was rausfischen.
Sie haben in elf Jahren elf Bücher herausgebracht. Halten Sie das weiter durch?
Nein. Ich hatte damals einfach Sorgen, wovon ich im Alter leben soll. Meine Rente von der Künstlersozialkasse wird lächerlich sein. Da dachte ich, jetzt müsse ich noch mal richtig rangehen. Hörspiele kamen dazu, von denen ich ja hauptsächlich lebe. Und ungefähr tausend Bildcollagen nebenbei. Das hieß auch: zehn Jahre lang keinen Urlaub. Vor vier Monaten kam dann der Kreislaufzusammenbruch...Die erste Phase der Arbeit am Buch ist ja noch angenehm: das Spiel, das Überlegen; da geht man auch mal raus oder rührt sich ein Süppchen an. Aber ein Buch fertigzustellen, das ist Schwerstarbeit; da fällt man nur noch zum Schlafen um und vergißt auch da nicht zu arbeiten: im Traum.
Womit erquicken Sie sich in schweren Zeiten?
Ich mag Jazzmusik, hab eine große Plattensammlung. Und in leeren Phasen weiß ich meist ganz genau, was ich brauche: jetzt also einen Rotwein und King Oliver's Creole Jazzband.
Alle Jazzmenschen haben einen Größten. Ihrer?
Naja, wohl Bix Beiderbecke. Und sonst...also wenn gar nichts hilft, schau ich mir einen alten Film, etwa aus der Schwarzen Serie, an. Oder einen mit Buster Keaton. Dessen Katastrophenkomik hat mich schon immer stark beeindruckt. Wenn er dasteht, und über ihm kracht eine Scheune zusammen und hinterher steht er noch immer: die folgenlose Katastrophe, wie sie auch bei mir vorkommt.
Und unter Ihren Literatenkollegen, wen halten Sie da in Ehren?
Einige: der Henscheid gehört dazu, Brigitte Kronauer, Gernhardt, H.C. Artmann.
Was finden Sie kläglicher: Die heutige Literatur oder das Desinteresse an ihr?
Beides ist problematisch, aber was soll ich lamentieren? Das Publikum hat die handfesteren Argumente. Es gibt tausend Dinge, die man, außer Lesen, tun kann. Außerdem ist natürlich der Buchausstoß viel zu hoch. Vor zwanzig Jahren war's schon so, daß ich mich in den Vorschlag verrannte, mal für ein paar Jahre den ganzen Markt zu schließen, um die Leute ein bißchen auszuhungern. Aber heute ist es seltsamerweise so, daß das Interesse an, ja, abseitiger Literatur ein wenig steigt. Ich bekomme plötzlich Briefe, und meist von ganz jungen Leuten, das sind richtige Liebesblitze. Schön. Manfred Dworschak
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