: Eine hilflose Beschwörung der US-Nation
Viel Stil und wenig Substanz in der Rede von Präsident Bush zur Lage der Nation/ Abrüstungsschritte und Wahlgeschenke, aber kein langfristiges Wirtschaftsprogramm/ Mehr Geld für SDI ■ Aus Washington Rolf Paasch
Es war, als müßte George Bush alle Geister der rosigen Vergangenheit beschwören, um sich und seiner Nation für die trübe Zukunft Mut zu machen. In einer rhetorischen Meisterleistung seiner Wortschmiede bediente sich der Präsident am Dienstag abend vor beiden Häusern des Kongresses seiner denkwürdigen Golfkriegssprache, um damit nach Saddam Hussein aus Kuwait nun die Rezession aus den USA zu vertreiben. Und mit Zitaten Franklin D. Roosevelts und John F. Kennedys versuchte er, seiner Präsidentschaft wieder jenen Glanz zu vermitteln, der im freien Fall der Meinungsumfragen in den letzten Monaten verlorengegangen ist.
Doch alles vergeblich. Schon vor den 635 Vertretern von Repräsentantenhaus und Senat fiel der Schlußbeifall eindeutig schwächer aus als die stehende Ovation vor Beginn seiner Ansprache. Und wer am Mittwoch morgen die Kommentarspalten der Zeitungen las, wußte rasch, daß es George Bush nicht geschafft hatte, der Nation Optimismus einzuimpfen. Die „definierende Rede“ seiner Präsidentschaft wurde allgemein als große Enttäuschung angesehen. Vor allem sein schon seit Monaten angekündigtes Wachstumsprogramm fand zahlreiche Kritiker, während die Abrüstungsvorschläge gelobt, aber wenig beachtet wurden.
Nach dem Sieg über den „imperialen Kommunismus“ kündigte Bush innerhalb der nächsten fünf Jahre Einsparungen im Verteidigungshaushalt in Höhe von 50 Milliarden Dollar an. Die Demokraten haben über die nächsten vier bis sieben Jahre eine Kürzung des Rüstungsetats um 100 Milliarden bis 210 Milliarden vorgeschlagen.
Dem am Samstag in Washington erwarteten russischen Präsidenten Boris Jelzin wird Bush ein Angebot zur Reduzierung der weitreichenden strategischen Raketen mit mehreren atomaren Sprengköpfen unterbreiten. Wenn die Mitglieder der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) ihre landgestützten ballistischen Raketen mit Mehrfachsprengköpfen beseitigen, wollen die USA alle 50 „MX-Peacemaker“-Raketen vernichten, die Zahl der Sprengköpfe auf den „Minuteman“-Raketen sowie auf ihren seegestützten Raketen verringern. Darüber hinaus soll ein Teil der strategischen US- Bomber auf konventionelle Waffen umgerüstet und die Produktion des neuen „B-2“-Bombers bei 20 Stück eingefroren werden. Im Gegenzug forderte Bush den Kongreß auf, ihm eine zusätzliche Milliarde Dollar für seine „Strategische Verteidigungsinitiative“ zur Verfügung zu stellen, um auch nach dem Zusammenbruch des Kommunismus noch künftigen Bedrohungen begegnen zu können.
Im innenpolitischen Teil seiner Rede kündigte Bush höhere Steuerfreibeträge für Familien mit Kindern und Hauskäufer an. Die von den Demokraten geforderten grundsätzlichen Steuererleichterungen für die Mittelklasse lehnte Bush ab. Statt dessen forderte er den Kongreß auf, die von ihm schon lange geforderte Senkung der Kapitalertragssteuer zu beschließen. Zwei Drittel dieser Maßnahme kämen nur dem oberen einen Prozent der Bevölkerung zu. Während dies im Wahljahr einen heftigen Steuerstreit zwischen Bush und den Demokraten erwarten läßt, wurde Bushs Ankündigung, einer weiteren Verlängerung der Arbeitslosenhilfe zuzustimmen, allgemein beklatscht.
Um die niederliegende Volkswirtschaft wieder anzukurbeln, scheint Bush sogar bereit zu sein, die Sünden der Reagan-Administration zu wiederholen. Statt Investitionen in den Bereichen Erziehung, Telekommunikation und Forschung zu begünstigen, soll es neue Anreize für Wohnungsbauspekulanten geben.
Vor allem aber die längerfristigen Maßnahmen zur Verbesserung der wirtschaftlichen (Infra)-Strukturdefizite fielen in der mit Spannung erwarteten Rede zur Lage der Nation enttäuschend aus. Die Bildungsreform, wie George Bush sie vorschlägt, wird zur einer weiteren Aushöhlung des öffentlichen Schulsektors führen. Und die mit großen Fanfaren angekündigte Gesundheitsreform soll in ihren Details erst demnächst vorgestellt werden. In jedem Fall lehnte Bush die Vorschläge der Demokraten zu einem nationalen Krankenversicherungssystem ab. Ebenso vage blieben Bushs Äußerungen zur zukünftigen Rolle der Regierung bei der Verbesserung von Infrastrukturmaßnahmen. Auf der einen Seite stellte er mehr Geld für das Vorschulprogramm „Head Start“ zur Verfügung, während er auf der anderen Seite mit der Kürzung von insgesamt 246 „überflüssigen“ Sozialprogrammen drohte. Die Ideologie Ronald Reagans von einem schwachen Staat scheint hier im Wahljahr mit dem Opportunismus von Wahlgeschenken unvereinbar. Mit einem so unausgegorenen Regierungsprogramm jedenfalls, da sind sich die meisten Kommentatoren einig, wird George Bush seinen freien Fall in den Meinungsumfragen jedenfalls nicht aufhalten können.
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