: Travestierte Travestie im Stöckelschuh
■ So‘ n Pech aber auch: Lucie Joker inszeniert nur Pannen und Peinlichkeiten im BKA am Mehringdamm
Ein Mann mit aschblonder Lockenperücke in Muttis ausrangierten Stöckelschuhen bewegt zum Zarah-Leander-Playback die knallrot getünchten Lippen: Das nennt man hierzulande Travestie. Und in aller Regel sind die Auftritte feminin verkleideter Handtaschen- Herren so niveaulos und peinlich, daß sie schon wieder gut sind.
Eine Travestie-Show zu parodieren ist deshalb besonders schwer. Lucie Joker alias Gregor Mönter versucht es trotzdem. In seinem ersten Vollprogramm Zwischen Gut & Böse reiht er seine besten Sketche und Szenen der letzten fünf Jahre aneinander.
Lucie Jokers Geheimrezept liegt in der Verärgerung des Publikums. Kaum hat sich der Vorhang gehoben, vergißt der berockte Jüngling schon seinen Text, stottert hilflos herum und guckt verlegen an die Decke. Nur einen Augenblick später stolpert Lucie über ein Kabel, plötzlich klingelt das Telefon, der Techniker legt die falsche Cassette ein und aus lauter Frust schickt sie die Zuschauer schließlich nach Hause. Aus lauter Spaß, versteht sich: die Pannen sind allesamt beabsichtigt. Spätestens nach einer halben Stunde hat dies auch der letzte im schimpfenden wie verwirrten Publikum gemerkt. Trotzdem geht die Show nach dem gleichen, simplen Strickmuster noch zwei Stunden lang weiter.
Kein Wunder, daß nach der Pause nur noch Leute ohne Zentralheizung und Fernseher in den Saal zurückkehren. Daran können auch Lucies Gedanken zu Gott und der Welt nichts ändern.
Im Grunde genommen bleibt Lucie Joker gar keine andere Wahl, als die inszenierte Panne zum Programm zu erklären. Kann sie doch nur so ihre eigenen Defizite überspielen.
Die große und einzige, aber bei weitem nicht ausgereizte Stärke des Kölner Nachwuchsstars liegt in der perfekt beherrschten Pantomime. Lucie Joker weiß ihre langen Arme mit den übergroßen Händen hervorragend zu bewegen. Beim Tanz gelingt es ihr, die Beine zum Spagat zu formen, und ihren Mund vermag sie mindestens ebensoweit aufzureißen wie Donald Duck. Lucie verzichtet deshalb auf Playbacks der lahmen Schnulzen von Liza Minelli bis Edith Piaf. Am liebsten legt sie Nina Hagen auf, bei deren schnellen, aggressiven Songs sich Mimik, Gestik und Tanz viel wirkungsvoller einsetzen lassen. Und dabei übertrifft sie bei weitem das Original.
Statt Travestie zu parodieren, entwickelte Lucie Joker ungewollt die alte Verkleidungsshow der Herren weiter. Einige sehen in ihr sogar schon die Vorbotin für einen Generationswechsel in diesem Metier. Wahre Parodie gelang Gregor Mönter alias Lucie eigentlich nur, als er seine Verwandlung zur Frau auf plumpeste Art vorführte: Das Publikum mußte Luftballons aufblasen, die er sich unter die Bluse schob. Mehr darf aber auch gar nicht erwartet werden: Travestierte Travestie ist ein Widerspruch in sich, ebenso unmöglich wie eine gute Persiflage auf eine Rede unseres Bundeskanzlers oder auf den Musikantenstadl mit Karl Moik. An allen Spielarten der Realsatire — und damit auch an Shows, deren Unterhaltungswert allein auf der weiblichen Kostümierung von Männern beruht — beißt sich selbst der beste Kabarettist die scharfe Zunge aus. Micha Schulze
Lucie Joker: Zwischen Gut & Böse, noch bis 3. Februar im BKA, Mehringdamm 32-34, Kreuzberg, täglich 20.30 Uhr (außer am 2. Februar)
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