: Geheimnis des Wirklichseins
■ Auf der Suche, das musikalische Universum zu sprengen...
Der Künstler ist niemals Vorläufer: er reflektiert nur seine Zeit und schreibt sie in die Geschichte ein. Nicht er läuft seiner Zeit voraus, sondern das Puplikum in seiner Allgemeinheit bleibt stets hinter ihr zurück«, so einer von Edgar Varses prägnanten Aussprüchen.
Nun war das Publikum aber doch noch rechtzeitig gekommen, um Edgar Varse' Klassiker Ionisation und zwei Stücke von John Cage zu hören. Die Akademie der Künste platzte beim Konzert der Percussion de Strasbourg aus allen Nähten, als Ionisation den Abend eröffnete. Als eines der ersten Stücke für reines Schlagzeug-Ensemble 1931 fertiggestellt und 1933 in New York unter Nikolas Slonimsky uraufgeführt, sorgte es damals ordentlich für Furore. »Ich wurde eine Art teuflischer Parsifal, nicht auf der Suche nach dem heiligen Gral, sondern nach der Bombe, die das musikalische Universum sprengen könnte, um alle Klänge durch die Trümmer hereinzulassen, die man — bis heute — Geräusche genannt hat«, formulierte Varse damals sein Programm.
Freilich sind seit damals einige Jahre ins Land gegangen, die ganze Rockmusikgeschichte, aber auch die kreative Selbstbetätigung per afrikanischer oder asiatischer Perkussion zog an uns vorbei. Und Varse ist einfach schöne Musik geworden. Effektvoll und mit viel französischem Sinn fürs Theatralische — da wird mit Rotlicht auf das wiederspiegelnde Metall der Schlagwerke geleuchtet — interpretierte die Straßburger Perkussionsgruppe das Stück.
Erstaunlich, mit welcher Präzision sie die Schlagketten durchhalten und vom ersten bis zum letzten Ton formal aufspannen. Faszinierend auch, wie sie den Dirigenten durch eine variable Dirigiertechnik geradezu unnötig machen: jeder Musiker, der mal eben einen Arm oder auch nur den Kopf frei hat, übernimmt eine Weile die Leitung, bis der nächste an die Reihe kommt. Schade nur, daß sie den Umstand, zu sechst ein Stück zu spielen, das für dreizehn Schlagzeuger komponiert ist, nicht erwähnenswert fanden; sicherlich fehlte von der Originalpartitur nicht allzuviel, aber eine Erklärung der einzelnen Abänderungen wäre doch sinnvoll gewesen.
Die zwei sich anschließenden Kompositionen des ebenfalls längst zum Klassiker der neuen Musik avancierten John Cage stammen aus zwei völlig unterschiedlichen Schaffensperioden.
First Construction (in Metal), 1939, also eben mal ein paar Jahre später als Varse' Stück entstanden, ist noch aus Cage Schülerzeit bei Arnold Schönberg. Dessen Vorstellung formbildender Tendenzen der Tonalität übertrug er auf die Fragestellung nach strukturbildenden Wegen der Schlagzeugkomposition. So fand er zu der Idee, die sich heute recht eigentlich in der fraktalen Geometrie wiederfindet: die Entsprechung von makro- und mikrokosmischen Strukturen, also hier zum Beispiel von rhythmischen Mikro-Verhältnissen mit Phrasen- oder Abschnittslängen. Doch das hört man natürlich so wenig, wie einem ein Atomblitz die Relativitätstheorie vermittelt. Was man hingegen sehr wohl hört, ist dann gar nicht so weit vom vorangegangenen Varse entfernt: rhythmische Patterns überlagern sich, akzentuierte Phrasen werden eingeworfen und alle Klänge, wie der Titel bereits sagte, sind metallischer Natur.
Der eigentliche Höhepunkt des Konzertes aber war das 1985 entstandene und dem Straßburger Ensemble gewidmete Stück But what about the noise of crumpling paper which he used to do in order of paint the series of »papiers froiss« or tearing up paper to make »papirs dchirs«? Arp was stimulated by water (sea, lake, and flowing waters like rivers), forests. Ein zugegebenermaßen langer Titel. Das Stück gehört zu der Reihe der variablen Kompositionen Cages. Die Partitur besteht nur aus grammatikalischen Zeichen, die hauptsächlich das Gruppenverhalten der einzelnen Spieler festlegen. Das Instrumentarium ist aus Holz, Metall, Glas, Papier, Wasser, etc. Damit inszenieren die Percussion de Strasbourg eine über halbstündige Musik, wobei die Musiker auf einzelnen Plattformen, dezent beleuchtet, ums Puplikum herum verteilt sind.
Was dann erklingt, läßt die Ohren schier wachsen. Es ist eine wundersame Reise in den musikalischen Mikrokosmos, wie ihn Cage ähnlich bereits in seiner cartridge-music komponiert hat. Von den sechs Musikern erklingen Geräusche zerbrochener Holzstückchen, Röhren werden leicht angeschlagen oder geblasen, Papier getrommelt oder gerissen, Wasser gurgelt, und Teile dieses Universums werden elektronisch verstärkt und tauchen so in anderen Gegenden des Raumes plötzlich auf. Fast religiöse Atmosphäre entsteht und erinnert an einen Ausspruch von James Joyce, von dem Cage besonders beeindruckt war: Was klar und konzis ist, kann von der Wirklichkeit nicht handeln, denn Wirklichsein bedeutet, vom Geheimnis umgeben zu sein. Das Publikum feierte am Ende die Musiker der Percussion de Straßbourg dem beeindruckenden Abend entsprechend. maier
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