Nicht nur eine reine Ausleihstelle

■ Interview mit der Leiterin des Bibliothekreferats beim Kultursenator, Juliane Funke/ Im Ostteil der Stadt sieht die Situation der Bibliotheken derzeit noch etwas besser aus als im Westteil

taz: Haben BerlinerInnen die Bibliotheken, die sie brauchen?

Juliane Funke: Das denke ich nicht. Das Bibliothekswesen im Westteil der Stadt hat enorme Defizite und Rückstände im Vergleich zur alten Bundesrepublik. Berlin ist ausstattungsmäßig und servicemäßig auf dem Stand der 60er/70er Jahre stehengeblieben. Im Ostteil der Stadt sieht die Situation ein bißchen anders aus, weil da in den letzten Jahren sehr viel kontinuierlicher baulich, räumlich erweitert worden ist. Und auch die Personalausstattung war wesentlich aufgabengerechter. Außerdem haben wir dann auch noch das Problem, daß wir, was das Buchungs- und Ausleihverfahren angeht, ziemlich weit hintendran sind. Alle möglichen Bibliotheken in Westdeutschland, schon die kleinsten Mittelstädte sind automatisiert. Und wir haben ein ganz altmodisches Verfahren, was sowohl sehr kosten- als auch personalaufwendig ist.

Was tut der Senat dagegen?

Man versucht, diese Entwicklung aufzuholen. Durch die ganze Finanzlage sind wir natürlich zurückgeworfen worden. Wir haben gerade im Ostteil ein weitverzweigtes Netz gehabt, eins auch mit vielen kleineren Einrichtungen. Doch heute ist der Bezirk oft nicht mal in der Lage, die Miete zu bezahlen, so daß etliche Einrichtungen schon geschlossen sind.

Ich gehe davon aus, daß die ungewöhnliche Dichte von 266 Einrichtungen vielleicht nicht ganz zu halten ist, zumal es auch Erfahrungen gibt, die zeigen, daß der Trend eher zu großen leistungsfähigen Einrichtungen geht. Eine Straffung des Netzes scheint durchaus sinnvoll zu sein. Ich möchte die Straffung mit einer inhaltlichen Neukonzipierung verbinden. Die sieht so aus, daß Bibliotheken nicht reine Ausleihstellen sein sollen. Sondern, daß die Bestände multimedial sein müssen. Dazu kommt aktive Vermittlungstätigkeit. Also nicht warten, bis jemand kommt, sondern auch aus der Bibliothek raus in das Umfeld gehen, in den Stadtteil zum Beispiel. Das heißt auch in den Bibliotheken Räume anbieten, wo Menschen sich treffen können. Dann muß es unbedingt Informationen geben: Bibliotheken müssen kommunale Informationszentren sein — also eine Bibliothek letztendlich als ein Ort, wo ich mich aufhalten möchte.

Das hört sich gut an. Aber was können Sie davon umsetzen?

In Wilmersdorf, Kreuzberg, Charlottenburg — da fangen die Bibliotheken schon damit an,ihre Bestände umzustellen und zu erweitern. Das ist natürlich in erster Linie eine Frage des Erwerbungsetats. Für die Bibliotheken im Ostteil der Stadt ist das im Moment sicherlich leichter zu leisten aufgrund der Erwerbungsetats. (Dieser liegt im Ostteil etwa bei 10 Millionen Mark und ist damit doppelt so hoch wie der in den Westbezirken, d. Red.) Wir unterstützen die Bibliotheken jetzt im dritten Jahr bei den landesweiten Aktionstagen im Herbst, die jedes Jahr eine andere Zielgruppe angesprochen haben.

Und dann wollen wir über eine der großen Bibliotheken auf Landesebene einen zentralen Broschüreninformationsdienst mit den wichtigsten Broschüren aus den Ministerien undso weiter, etwa im Mietrecht, aufbauen. Und wir wollen im Frühjahr in den Senat gehen, um einen Verbund der öffentlichen Berliner Bibliotheken herstellen zu können. Das heißt, daß wir 23 Berliner Bezirke automatisieren. Das ist natürlich ein langfristiges Projekt.

In der Amerika-Gedenkbibliothek geht jetzt schon nichts mehr: Man muß dort stundenlang warten, kriegt keinen Platz zum Lesen, und der Ausleihcomputer steht vor dem Zusammenbruch. Da muß sich ganz schnell was tun.

Das ist im Prinzip natürlich richtig. Wir haben versucht, dem Massenansturm mit einer Erhöhung des Erwerbungsetats nachzukommen und die stagnierenden Personalzuwächse im Ausleihbereich zu lindern, indem wir Sperrvermerke ausgesetzt haben. Wir sind zunächst mal dem Vorschlag, der aus der AGB gekommen ist, auf Einschränkung der Öffnungszeiten kurzfristig gefolgt — zähneknirschend, denn das ist kein kulturpolitisches Konzept.

Wir sind jetzt dabei, die AGB mit einem neuen EDV-System auszustatten. Ich hoffe, daß dies noch in diesem Jahr passiert. Die AGB ist in unserem Konzept so etwas wie die Zentrale im Verbund der Bibliotheken.

Was ist mit dem Erweiterungsbau der AGB?

Das Konzept steht nach wie vor. Die Schwierigkeit ist, daß der Finanzsenator die Bausumme aus der letzten Investitionsplanung erst mal rausgenommen hat. Doch die Bibliothek platzt aus allen Nähten, es geht nicht mehr ohne eine Erweiterung baulicher Art.

Aber wenn die AGB als Herzstück des Systems nicht mehr pumpt, dann kollabiert doch das ganze Konzept.

Das ist sicher richtig. Wir brauchen da unheimlich viel Rückenwind oder Unterstützung, um nach außen hin klarzumachen, wie schlimm die Situation ist. Interview: Christian Füller