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Das Stadtforum in würdevoller Desillusion

■ Eine Bilanz der vergangenen Runden des Stadtforums sowie die Frage, ob von dem demokratischen Experiment in der Stadtplanung überhaupt noch etwas zu erwarten ist/ Start nach der Weihnachtspause am kommenden Wochenende

Berlin. Zu den unverkennbaren Eigenschaften des Berliner »Stadtforums« gehörte in der Adventszeit der distinguierte Umgang seiner Mitglieder. Ein silbernes Glöckchen in der Hand des Moderators kündigt die Sitzungen an. Man/frau redet bedächtig, debattiert mit leiser, belegter Stimme und lächelt zurückgelehnt, wenn ein Bonmot zur Stadtentwicklung über die Lippen gegangen ist. Die fünfzehn Doppelsitzungen je acht Stunden bis zur Weihnachtspause haben die rund siebzig Architekten und Stadtplaner, Grünstrategen und Verkehrsexperten, Historiker und Soziologen, die Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer in Fragen der Stadtplanung »beraten« sollen, scheinbar so aneinandergeschweißt, daß einstige Meinungsverschiedenheiten zerstoben sind: Ostteilnehmer erkennt man nur noch am Dialekt. Einstige Ausfälle der »Spargelarchitekten« gegen die »Boulettenbaumeister« haben jetzt den Charme alter Freundschaften. Die »fünf Weisen« der Lenkungsgruppe schließlich übten sich in der Gesinnung wahrer demokratischer Repräsentanz und Determination.

Was ist los mit der großen Planungskommission im Stadtforum? Erleben wir die Neuauflage des Spiels mediokrer Berliner Planungskultur? Hat, statt des hohen Ideals der Stadtentwicklung die Desillusion bei der Planung Einzug gehalten? Seit sich im Oktober der Vorhang zu den Dramen »Olympia«, »Potsdamer Platz« und »Hauptstadtplanung« ein wenig gesenkt hat und gemeinere Themen wie »Investitionsprojekte«, »Lokale Gemeinwesen« und »Grünplanung« im Programm stehen, haben Ort und Handlung an Zauberkraft verloren. Gleichen deshalb die Vorträge wohltemperierten Gedankenhappen? Es fehlen Alternativen. Querdenker sind Mangelware geworden. Ein paar Stars haben sich lautlos verabschiedet. Sicher, das »Erfinden des neuen Berlin«, wie Hassemer zur Eröffnung der Runde im April 1991 ankündigte, ist ausgeblieben. Allerdings der Entwurf eines »umfassenden Entwicklungskonzepts«, das sich Hassemer wünschte, ist von den Themen der Wirklichkeit einge- und an vielen Stellen überholt worden.

Statt dessen spiegelt das Stadtforum heute retrospektiv all jene politischen Grabenkämpfe wider, die so ermüdend sind und scheinbar ohnmächtig machen — zumal das Stadtforum die bestehenden gesetzlichen Kompetenzen und Zuständigkeiten nicht außer Kraft setzen kann. Doch steht das Stadtforum nicht weiter für ein demokratisches Experiment, das es zu stärken gilt? »Das Ergebnis kann sein — bei optimalem Verlauf«, meinte die niederländische Hochschullehrerin Helga Faßbinder, eine der Mitinitiatorinnen des Stadtforums, »daß Konsens über Kompromisse zwischen verschiedenen Positionen erzielt wird. Dies kann den Entscheidungsträgern als Orientierungspunkt dienen und Vorgabe für die Ausarbeitung der Planungen darstellen. Es ist dann Sache der Politiker, diese Ergebnisse öffentlicher Verhandlung zu übernehmen und im politischen Abstimmungsprozeß zu vertreten.«

Indessen, während in der besagten Runde über Entwicklungskonzepte für olympiagerechte Sportstätten, innerstädtische Brachflächen, neue Wohnungen, die Region und den Verkehr palavert wird, werden draußen Verkäufe über Dienstleistungsstandorte mit neureichen Developers abgeschlossen, Kaufhausmonolithe ins Stadtbild gepflanzt und Entscheidungen über Regierungsstandorte am Operettenboulevard »Unter den Linden« und im Spreebogen hinter den Kulissen vorbereitet. Strategien der sozialen und funktionalen »Durchmischung städtischer Funktionen« oder das Prinzip des geplanten »Weiterbaus« unvollendeter stadträumlicher Situationen werden neutralisiert.

Wie nahe sich im Stadtforum nach kontroverser Diskussion ein wirkungsvoller gemeinsamer Nenner abzeichnete, der als Vorgabe die politische Debatte prägte, zeigte sich beim Thema »Wettbewerb Potsdamer Platz«. Anders als bei den Ergebnissen zur »innerstädtischen Verkehrsentwicklung«, die der Verkehrssenator Haase nun im nachhinein mit irrwitzigen Tunnellösungen und Achsenkreuzen unter dem Tiergarten geradezu desavouiert, wurden die planerischen Besitzansprüche der Investoren zurückgewiesen. Nur mit Mühe konnte Hassemer am Wettbewerbsergebnis festhalten — mit dem Zugeständnis, daß die Investoren Daimler Benz und Sony ein paar Stockwerke draufsetzen können. Der Versuch der Investoren und ihrer politischen Lobbyisten jedoch, die Interessen der Stadt, die ihre städtebauliche Entwicklung selbst bestimmen möchte, zurückzusetzen und die sachlichen Vorgaben den Profitinteressen potenter Investoren nachzuordnen, wurde durch den Abstimmungsprozeß des Stadtforums mit gecancelt. Geblieben ist die Frage zur Entwicklung neuer Methoden für Wettbewerbe. Zur Diskussion stellte Ulrich Pfeiffer, Mitglied der Lenkungsgruppe, das Verfahren gutachterlicher Erarbeitung mit der Möglichkeit laufender Erkenntnisfortschreibung.

Es sind die Defizite stadtplanerischer Unzulänglichkeit, die das Salz in der Stadtforums-Suppe ausmachen — weniger der Masterplan. Die Hauptstadtdebatte beispielsweise brachte mehr die Erinnerung an die »Bürgerstadt« als an die Regierungsmetropole aufs Tapet. Die Diskussion über unkoordinierte und zeitaufwendige Sanierungen Ostberliner Quartiere enthielt die Forderung nach der Entsektoralisierung der Planungen. Das bedeutet, daß der Senat zu einer Verwaltungsreform aufgerufen ist. Schließlich gilt nach wie vor der Appell, Methoden zur Entwicklung neuer Steuerungsinstrumentarien im Sinne eines »Stadtvertrages« auf der Grundlage von Abstimmungen aller am Planungsprozeß Beteiligten zu finden.

Worum geht es also, wenn bis Ostern über »Neue Städte in der Stadt«, »Regierungsfunktionen« und die »Aufgabenverteilung zwischen Berlin und der Region« debattiert werden soll. Es geht doch hauptsächlich darum, daß das Forum endlich auch die Antworten auf seine Fragen einklagt. Rolf R. Lautenschläger

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