: Software-Turandot
■ Traumpartner Computer — Frigidität am Display
Künstliche Welten, programmierte Gefühlsautomaten erscheinen heute verläßlicher als das lästige Pendant aus Fleisch und Blut. Doch auch Beziehungsspiele am Computer wollen geübt sein. Das auch Automatinnen aufs Süßholzraspeln fliegen, hat der Spieler schnell heraus. Reden will er mit ihr? Antworten wird sie erst, wenn der digitale Held Manieren zeigt. Allzu penetrantes Starren auf die Weichteile verzeiht sie nicht. „Schau ihr endlich in die Augen.“ Nun blinzelt ihn die Dame kokett an und bequemt sich, seine Angebote huldvoll entgegenzunehmen. Ein Diamantring? Selbstverständlich. Eine Kreditkarte? Gerne. Eine Rose? Schon rümpft sie ihr Näschen. Das reicht ihr nicht. Kalt lächelnd bringt ihn die Software- Turandot zum Absturz. Seinen Kopf wird sie nicht fordern, aber seine Seele. Die wird mit der neuen Volkskrankheit infiziert: Frigidität am Display.
Gefühle? Nie. Wehe dem, der um Hilfe ruft, gar an das Herz des Programms appelliert. Er stößt auf Granit. Eine Überraschung dort, wo man sie am allerwenigsten vermutet: Wer annimmt, mit der künstlichen Intelligenz endlich im Besitz geradliniger, durch den Makel der Zweideutigkeit nicht kontaminierter Logik zu sein, irrt gewaltig. Irritierend das Chaos, das in diesem Wesen aus Silicon, dessen Gemüt nicht an Lebenserfahrung geschliffen wurde, jederzeit ausbrechen kann. Kratzt man nur einmal an der Pixel-Fassade, zeigt sich Archaisches. Das System rutscht ab, wird undurchschaubar, regellos. Merke: Automaten stehen immer mit einem Bein in der Psychose. Von Geburt an mit einem Übermaß an widersprüchlichen Informationen traktiert, neigen sie dazu, unter Streß Inkohärentes und Konfuses von sich zu geben.
Höhenflüge, schnelle Paraden bleiben die Ausnahme, auf beiden Seiten des Displays. Stundenlanges Herumprobieren. Zähes, fruchtloses Grübeln überwiegt. Der Schaden akkumuliert, je länger der Spieler unbeweglich auf einem erkalteten Punktehaufen hocken bleibt. Abschalten? Unmöglich. Ein erfolgsprogrammierter Liebhaber läßt niemals locker. Fluchtversuche werden unbarmherzig durch Grübelattacken geahndet. An ruhigen Schlaf ist nicht mehr zu denken. Gerötete Augen im teigigen, bleichen Gesicht: durchtippte Nächte, die nagenden Zweifel an der Überlebensfähigkeit mit dem PC fordern ihren Tribut. Nur der Clevere kommt hier zum Zug: der Lehrpfad im Dschungel binärer Verirrungen. Warum eigentlich muß sogar die Erotik-Software realistisch sein? Endlich: Der Punktezähler überschlägt sich. Es ist soweit. Das ersehnte Konditionstraining à deux auf dem Monitor. Grobkörnig die Reizwäsche. Ein Kavalier mit zackigen Umrissen — rackert er sich mit Patty, Kitty oder Lizzy ab. Freilich nicht, ohne zuvor über Safer Sex belehrt worden zu sein und entsprechende Vorkehrungen getroffen zu haben. Mein Computer beglückwünscht mich hämisch zur Erfüllung meiner Romanze: „Nun bist du wieder frei!“ Vorläufig. Das nächste Spiel wartet schon. Hanna Rheinz
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