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„Ich war immer Schützer der DDR“

■ Till Meyer, ehemaliger Redakteur der taz, bekennt sich zu seiner Tätigkeit als Agent des MfS/ Seine Position als taz-Mitarbeiter war für ihn nie ein Problem / „Die taz war für mich nicht das Objekt, sondern Mittel zum Zweck“

taz: Wann kam es zur ersten Kontaktaufnahme zwischen dir und der Staatssicherheit?

Till: Meiner Erinnerung nach war es im Mai 1987, etwa fünf Monate nachdem ich aus dem Knast entlassen worden war. Eines Tages stand ein älterer Mann vor meiner Kreuzberger Wohnung mit einem Umschlag in der Hand — wie sich herausstellte, offensichtlich ein Kurier. Ich las den Brief sofort, und darin hieß es: Lieber Genosse, wir hätten uns gern mit Dir unterhalten. Wir kennen dich auch unter folgenden Namen — und dann standen gleich zwei Decknamen aus meinen Stadtguerillajahren drin, die nur innerhalb der Bewegung 2. Juni bekannt waren. Damit ich gleich wußte, aus welcher Ecke sie kommen.

Mir wurde ein Treffen vorgeschlagen am Berliner Ensemble. Ich würde dann dort von dem Kurier abgeholt. Und es stand auch in dem Brief: Wenn du an einem Treffen nicht interessiert bist, behandele den Brief, wie du es von früher gewohnt bist, das heißt: Halt das Maul. Ich habe aber ein solches Treffen nicht abgelehnt.

Glaubst du, daß die Stasi dich angesprochen hat, weil sie wußte, daß du ihnen politisch-ideologisch zumindest nahestandest?

Ja, natürlich. Sie sind beim ersten Gespräch schon ganz gezielt auf bestimmte Veröffentlichungen von mir zu sprechen gekommen und haben gesagt: Die fanden wir gut.

Was wollten die Herren denn in dem ersten Gespräch von dir?

Es wurden erst einmal politische Einstellungen diskutiert, aber da hatten wir von Anfang an keine großen Probleme. Beim zweiten Treffen haben sie mich dann direkt gefragt: Wollen wir zusammenarbeiten? Ich habe geantwortet: Na klar, ich hab' da keine Probleme.

Warum hast du dich nach 13 Jahren Knast sofort wieder in so eine klandestine und auch strafbare Geschichte gestürzt?

Das war mein politischer Kampf. Was sollte ich denn sonst machen? Ich war immer noch meiner Sache treu, auch wenn ich mich von den Mitteln des bewaffneten Kampfes distanziert hatte. Das hat sich wiederum mit den Auffassungen der Stasi gedeckt. Für mich war der Kampf noch nicht zu Ende. Ich hatte nur das Problem mit meinen Bündnispartnern. Für wen und mit wem konnte ich weitermachen? Außerdem war ich seit frühester Kindheit— ich bin in Berlin groß geworden — ein Verteidiger der DDR. Später war mir noch viel klarer, daß dieses Land geteilt bleiben muß. Es ging mir weniger um die inneren Verhältnisse der DDR — wenn sie ein Terror- oder Mordregime gewesen wäre, wäre eine Zusammenarbeit natürlich ausgeschlossen gewesen. Aber das war die DDR nicht. Sie war für mich der bessere deutsche Staat, den es zu verteidigen galt.

Außerdem kann niemand von mir erwarten, daß ich, nachdem ich auf Leben und Tod, sowohl draußen mit der Waffe wie auch in der Haft, gegen dieses System BRD gekämpft habe, ihm nun besondere Loyalität entgegenbringe. Ich habe mich nie selbst geschont, und ich war auch voll Haß und erbittert über die schlimmen Haftbedingungen, denen ich unterworfen war. Ich wollte dem System hier schaden. Und das konnte ich am besten, indem ich mir einen starken Verbündeten suchte; das war für mich die DDR.

War also für dich die DDR das geringere Übel? Der einzige deutsche Staat, den du mit deinen Erfahrungen und deinem Haß auf die BRD akzeptieren konntest?

Nein. Das stimmt so nicht. Ich habe mit denen auf einem ganz bestimmten Level zusammengearbeitet. Das war mein Terrain. Ich habe gekämpft, diesmal mit einem mächtigen Verbündeten. Im Antikapitalismus und Anti-Imperialismus sind wir miteinander klargekommen. Ich habe die DDR deswegen verteidigt, weil die DDR für mich ein Rückgrat im weltweiten antiimperialistischen Kampf war. Das ist auch bekannt. Das Image der DDR in der Dritten Welt ist wesentlich besser als das der BRD. Und so konnte ich als Einzelkämpfer optimal wirken. So sah ich das.

Bist du also zur Stasi gegangen nach dem Motto „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“?

Das hat auch eine Rolle gespielt, aber entscheidend war die Übereinstimmung in ideologisch-politischen Positionen — zumindest mit der Abteilung, mit der ich es zu tun hatte. Ich meine, es hat auf der ganzen Welt keine Guerillagruppe gegeben, aus deren Magazinen nicht DDR-Munition kam. Egal ob beim Vietcong oder in Simbabwe.

Glaubst du nicht, daß du durch die 13 Jahre Knast einfach so ein klandestines Doppelleben gebraucht hast, also daß du so als Person geprägt warst, daß du das irgendwie weiter brauchtest?

Aber nein! Das ist eine abenteuerliche These. Ich hätte nach Ruhe gesucht und hätte mich auch gerne mal ausgeruht. Aber ich war verzweifelt über die politische Situation, über das, was ich draußen vorgefunden habe nach soviel Jahren. Und dann, als die kamen, habe ich keine Minute gezögert.

Warst du für die Stasi nicht ein Sicherheitsrisiko?

Ich wurde vom Verfassungsschutz überwacht. Die Stasi-Leute haben mir gesagt: Sei vorsichtig mit deinem Telefon, das wird abgehört. Ich wurde auch gelegentlich beschattet, zum Beispiel als Ronald Reagan hier in West-Berlin war oder während der IWF-Tagung. Aber ich hatte eine astreine Legende für Kontakte nach Ost-Berlin. Ich mußte immer durch die normale Kontrolle und bin auch dauernd rausgeholt worden. Einmal ist mir der Kragen geplatzt, nachdem der mich wie im Knast immer angemacht hatte: Packen Sie mal ihre Tasche aus usw. Ich hab' gesagt: Ich pack' jetzt gar nichts aus, holen Sie mal ihren Offizier vom Dienst, ich hab's eilig. Dem zeigte ich meine Papiere und gab ihm ein Codewort. Er kam zurück und war die Freundlichkeit in Person.

Was wollte die Stasi genau von dir?

Sie wollten eine Einschätzung der Autonomen. Und sie wollten auch wissen, ob jemand über die verschwundenen RAF-Leute redet, über Susanne Albrecht und andere. Meine Analyse der Autonomen für sie war nachträglich in der taz — unter einem Pseudonym — veröffentlicht, als Einschätzung eines Ostberliner Professors. Was die sogenannte Dialogstrategie mit der RAF angeht, die Initiative von Antje Vollmer, wollten sie genau wissen, wie das einzuschätzen ist. Sie hatten auch das Material über die Diskussion nicht. Ein anderes Beispiel war die Benz-Initiative, das Aussteigerprogramm des Verfassungsschutzes, darüber wollten sie alles wissen.

Das stand doch ohnehin alles in der taz.

Nicht alles, und vor allem ging es darum, Einschätzungen zu liefern.

Nachhilfeunterricht in westdeutschem Terrorismus?

Nicht Nachhilfe, aber es fehlten ihnen ab und zu kleine Stücke, um das Bild rund zu machen.

Du hast dem 'Spiegel‘ erzählt, ihr hättet euch teilweise viermal im Monat getroffen.

Ja, manchmal sogar fünfmal.

Aber du kannst denen doch nicht fünfmal im Monat irgendwelche Einschätzungen von Autonomen...

Nein, aber aktuell, beispielsweise bei der IWF-Tagung in Berlin. Weil ich das mitgekriegt habe, den ganzen Tag unterwegs war.

Das wesentliche Interesse deiner Führungsoffiziere war, zu verhindern, daß über den Aufenthalt der RAF-Aussteiger in der DDR etwas bekannt wird. Da hast du offenbar falsche Spuren gelegt?

Ich habe Journalisten eines Zeitgeistmagazins, die in dieser Richtung hartnäckig recherchiert haben, auf eine falsche Fährte geschickt. Außerdem hab' ich an den richtigen Stellen ab und an mal Andeutungen fallengelassen. Von meinen Stasi-Leuten hab' ich dazu plausible Indizien geliefert bekommen.

Wann bist du denn auf den Gedanken gekommen dich zu fragen, warum die Stasi eigentlich so einInteresse daran hat, falsche Fährten zu legen?

Ich wußte ja nicht, daß das falsche Fährten sind. Ich hab' zu ihnen gesagt: Es sind wieder welche unterwegs, die Susanne Albrecht suchen. Wißt ihr da was drüber? Sie haben dann gesagt: Wir können ja mal bei der HVA fragen und Dir nächste Woche Bescheid geben. Dann haben sie mir einen Tip gegeben, und den hab' ich weitergegeben. Mitte 1988 habe ich dann geahnt, daß einige Ehemalige in der DDR sein müssen. Meine Verbindungsoffiziere hätten es mir auch sagen können, wir hatten ja dasselbe Interesse. Aber ich hab' natürlich nicht besonders Inge Viett geschützt, sondern ich habe die DDR geschützt. Wichtig war mir dann, daß die Tatsache, daß die RAFler dort sitzen, nicht rauskommt. Das hätte ja einen gewaltigen diplomatischen Ärger gegeben, und die DDR wäre fürchterlich in die Defensive geraten. Das wollte ich natürlich nicht. Daß ich dazu beigetragen habe, finde ich auch heute noch erfreulich.

Du hast Dokumente rübergebracht und über Zusammenhänge gesprochen. Dabei muß du doch auch über Personen berichtet haben, die diese Zusammenhänge konstituierten.

Klar haben die wissen wollen, wer beispielsweise bei den Autonomen was zu sagen hat. Ob es bei ihnen Leute gibt, die man auch politisch ansprechen kann, die was in der Birne haben.

Dasselbe hast du dann auch bei der taz gemacht. Das MfS kannte dann durch dich unsere internen Kontroversen...

Nein, ja klar wußten sie das. Aber was in der taz geschah, konnte man jeden Tag im Blatt lesen. Wie weit Max Thomas Mehr oder Klaus Hartung rechts von mir standen — dazu brauchte ich niemand auszuspähen, das wurde durch ihre Kommentare klar. Interessant war für sie folgendes: Wohin geht diese Zeitung? Wie stark sind die Linken noch? Ist die taz nicht in der Lage, von dem Anti-DDR- Kurs abzukommen? Warum muß die einzige linke Zeitung so klar Position gegen sie beziehen? Darüber waren sie sehr traurig.

Aber sie müssen sich doch auch dafür interessiert haben, welche taz-Redakteure welche Kontakte zu welchen DDR-Oppositionellen gehabt haben. Andernfalls wären sie doch ein schlechter Geheimdienst gewesen.

Nein, das ist falsch. Ich hatte die Funktion, ein absolutes Staatsgeheimnis der DDR zu schützen. Was die Opposition betrifft: Das war zum ersten die Hauptabteilung XX. Wie ihr wißt, gibt es in diesen Vereinen— das war im Osten nicht anders als im Westen — heftige Konkurrenz. Die haben mich überhaupt nicht in die XX hereingelassen, die haben mich sogar gewarnt: Bleib bloß von der Opposition weg.

Aber du wußtest doch, wer wann aus der taz Treffen in Ost-Berlin hatte.

Nein, das war doch in dem Gewühl gar nicht möglich. Die Kolleginnen oder Kollegen in der taz haben haben das ein bißchen verdeckt gehalten, und ich habe mich überhaupt nicht darum gekümmert. Ich verstehe ja, daß ihr dahinwollt, aber das war nicht so. Ich habe deshalb bei mehreren mit Einreiseverbot dafür gesorgt, daß sie wieder reinkamen, nur bei Max Mehr hab' ich gesagt: Laßt den nicht rein, der kommt nur zum Hetzen. Ich habe die DDR verteidigt. Was wir jetzt haben, ist doch eine Katastrophe.

Kannst du ausschließen, daß DDR-Oppositionelle durch deine Informationen an die Stasi gefährdet wurden?

Ja. Ich hab' ja nichts gewußt darüber. Ich hab' mich da nicht drum gekümmert, und dafür gab es auch einen guten Grund: Immer wenn ich mit meinen Führungsoffizieren über die Opposition geredet habe, sagten die: Paß mal auf, da laufen ohnehin genug auf unserem Ticket. Die werden jetzt noch alle der Reihe nach enttarnt. Wenn Birgit M. zu Wollenbergers gelaufen ist, war sie doch schon wieder bei der Firma.

Die Stasi wußte ohnehin alles aus der Opposition?

Total, total, und ich war denen viel zu wichtig, um in so kleinen Schnüffelgeschichten verheizt zu werden. Ich hatte andere Kontakte. Gegenüber der DDR-Opposition war ich übrigens härter drauf als die Stasi. Ich habe gefragt: Warum laßt ihr die denn immer hier mit dem Fernsehen gewähren? Die machen doch eine reine Propaganda-Show und schaden euch. Sie haben geantwortet: Die haben wir alle im Griff. Dann kam die SPD, und ich habe gefragt: Warum laßt ihr die Gründung einer SPD zu? Sie haben geantwortet: Die haben wir doch selber mit gegründet.

Du hast regelmäßig auch Dokumente aus der taz rübergebracht?

Natürlich. Ich habe auch das P3 rübergebracht, das habt ihr doch ohnehin an 200 Adressen geschickt. Darüber haben wir dann auch diskutiert, über die Linie der taz. Aber ich hab' nicht mit Hilfe der Stasi versucht, Intrigen zu schmieden um die Macht in der taz zu kriegen.

Mit wem hast du denn immer gesprochen? Mit deinem Führungsoffizier Helmut Voigt?

Mit Voigt und seinem Ersatzmann Kurt, beides sehr gute Genossen, und sehr nette Männer.

Und wie wichtig war die taz in dem Zusammenhang?

Die taz war deshalb immer wichtig, weil in ihr so viele Informationen zusammengelaufen sind. Außerdem konnte ich als taz-Mann zu Leuten gehen, bei denen ich nie hätte sagen können: Die Stasi interessiert sich dafür, was du in der Birne hast. Da kam ich als taz und hab' das bewertet. Da waren ja auch zwei wichtige Sachen: die IWF-Geschichte, da waren die total interessiert, weil ja auch einige Banker in Ost-Berlin wohnten.

Ich kam also von Anfang an da rein, mit taz-Ticket, um rauszukriegen, ob womöglich irgendwelche Demos in Ost- Berlin geplant waren — Blockade von Grenzübergängen beispielsweise. Ihre Politik war zwar offiziell gegen die Weltbank — aus Reputationsgründen haben sie aber im Hotel Metropol von den Schweinen die Devisen abgesackt. Ich war dann überall unterwegs, um rauszubekommen, was passiert, und dann konnte ich melden: Es passiert nichts gegen die DDR, die werden keinen Übergang zumachen — und so kam es dann ja auch. Meine Analyse hat gestimmt. Die brauchten keine Leute, die gegen die Weltbank demonstrieren, die DDR hat schließlich selbst auf die Weltbank gewettert bis zum Schluß.

Du hast dich in der taz — auf deinem persönlichen Hintergrund verständlich — auf den westlichen Sicherheitsapparat spezialisiert. Hat die Stasi dich dabei mit Informationen versorgt?

Nein, das haben sie nicht getan. Ich habe mich darüber auch mal heftig beschwert. Sie haben gesagt: Wenn wir dir Hinweise geben, ist bald klar, wo die herkommen. Allenfalls haben sie mal zu mir gesagt: Da liegst du richtig, mach mal weiter.

Till, ist dir in der ganzen Zeit nie ein Zweifel gekommen, ob das richtig ist, was du da machst?

Nein, im Gegenteil. Ich hätte mehr gemacht, wenn die mehr verlangt hätten. Ich wußte ja schon damals, daß der Sozialismus im Ostblock in einer Krisenphase ist.

Hast du es nie als Konflikt erlebt, daß du einerseits taz- Kollege bist, andererseits ein entscheidendes Geheimnis mit dir herumträgst?

Nein. Das habe ich nie als Konflikt erlebt. Die taz war für mich nie das Objekt, immer nur das Mittel. Ich war als geheimer Kundschafter unterwegs, und meine oberste Linie war, nicht entdeckt zu werden. Ich habe die Leute als politische Gegner empfunden, wo sie politische Gegner waren; wo sie indifferent waren, haben sie mich ohnehin nicht interessiert; und die, mit denen ich befreundet war, habe ich nicht als Quellen benutzt.

Es ist moralisch etwas anderes, eine feindliche Armee oder eine Rüstungsfirma auszuspionieren, als mitten im eigenen Milieu...

Das stand mir nicht mehr so nahe, das ist eben ein Irrttum. Ich hab' mich weitestgehend in Feindesland bewegt, weil ich wußte, was ihr treibt. Ihr habt der DDR aufs heftigste geschadet, und ich habe mich als Schützer der DDR gefühlt. In mir hattet ihr einen erbitterten Gegner. Ich hab 25 Jahre lang mit diesem System eine erbitterte Auseinandersetzung geführt. Warum hätte ich mich da nicht mit Leuten verbünden sollen? Und zwar nach meinen Konditionen — ich war ja da nicht ein kleiner Spitzel, sondern ich habe denen geholfen, wichtige Dinge gut und umfassend einzuschätzen. Natürlich war die taz dafür wichtig, denn da lief ja alles zusammen, Autonome und alle haben sich ja da dauernd reingemischt. Ich brauchte ja gar nicht mit der Lederjacke irgendwo hinzugehen, die waren ja alle da.

Ein moralisches Problem hattest du dann in keiner Situation?

Nein, überhaupt nicht.

Auch gegenüber deiner Freundin, die damals auch bei der taz arbeitete, nicht?

Das war vor allem ein praktisches Problem. Immer wenn ich über ein Wochenende drüben war, mußte ich mir was ausdenken.

Hast du denn nicht mal politische Zweifel gekriegt? Wie Markus Wolf, der erkannt hat, daß diese paranoide Ausforschung des ganzen Volkes der Existenz der DDR schadet? Daß das kontraproduktiv war für das, was du an der DDR wichtig fandest?

Das sah ich nicht so. Aber rückblickend muß man das so sehen. Wenn ich heute die Zahlen und Dimensionen sehe und daß so eine geballte Harmlosigkeit wie Christa Wolf oder diese ganzen Kirchenleute sich jetzt aufpeppen mit dem ganzen Stasi-Kram — da habe ich mich schon gewundert. Aber ich war nicht enttäuscht.

Aber wie kannst du dich in solcher Gesellschaft wohlfühlen, zu denen so eine Herzlichkeit empfinden?

Wir haben eine gemeinsame politische Identität gehabt. Und deswegen haben wir uns mächtig gut verstanden. Daß das Spießer waren — das ist klar. Aber die waren weder minderheitenfeindlich noch sonst was, weil sie eine klare Birne hatten. Die Autonomen sahen natürlich anders aus, so bunte Vögel, mit denen haben sie natürlich auch viel Ärger gehabt. Die haben ja am Scharmützelsee im Internationalismus-Camp ständig Zoff mit den Dorfbewohnern bekommen.

Ich will dir mal ein historisches Ding erzählen. Im April 1989 bin ich außerordentlich rübergerufen worden, und da saßen sie alle beide, in der konspirativen Wohnung im Prenzlauer Berg und sagten: Paß mal auf, Till, eine wichtige Sache. Die BRD plant eine Riesenschweinerei gegen die DDR. Wir wissen nicht was, und wir wissen nicht wann. Aber wir haben alle Kundschafter zurückgerufen, um sie zur erhöhten Aufmerksamkeit anzuhalten — sie sollen alles, was irgendwie ungewöhnlich sein könnte, melden. Und dann begann die Besetzung der Botschaften in Prag und so weiter. Heute weiß man, daß das gesteuert war.

Du hast dich im Spiegel-TV in der Richtung geäußert, daß du denen vorgeschlagen hast, noch mal mit Gewalt die Lage in den Griff zu kriegen.

Stell mich jetzt nicht als blutrünstig hin. Es gab jenen denkwürdigen Tag, als Krenz an die Macht kam, da hatte ich gerade einen Termin abgemacht, und wir saßen zusammen in der konspirativen Wohnung und haben das analysiert. Voigt hat es noch mal als einen Erneuerungsschub bewertet. Aber er war sehr bedrückt. Er hat natürlich schon viel mehr gewußt als ich. Wir haben auch oft über die Opposition geredet, und dann hat er mir auch manchmal gesagt: Es ist finster. Die Stasi hat alles sehr gut analysiert, und, sagte er, seit zwei Jahren nimmt das Politbüro das nicht mehr zu Kenntnis. Es gab ja auch mal diese Bewegung der jungen NVA-Offiziere, 1987, glaube ich, die da putschen wollten. Das ist zusammengebrochen, weil die oberen Kader nicht mitgemacht haben.

Mir war natürlich klar, es war ihre DDR und ihre Pflicht, die zu verteidigen, und auf der Ebene haben wir weitergemacht. Verstehst du? Wir wollten nicht, daß die DDR zusammenbricht.

Also notfalls mit Waffengewalt?

Meine Vorstellung war natürlich, Straßenpräsenz zu zeigen, FDJ-Demonstrationen und ähnliches organisieren. Nicht schießen. Im September, wenn sie das gemacht hätten, wäre es vielleicht nicht soweit gekommen.

Bei den großen Demonstrationen in Leipzig gab es ja offenbar eine interne Diskussion: Setzen wir Betriebskampfgruppen ein oder nicht...

Nein, zu der Zeit war es bereits zu spät.

Also doch schießen?

Nein. An jenem Tag, an dem Krenz an die Macht kam, habe ich Voigt gefragt: Seid ihr in der Krise? Da hat er gesagt: Ja, es sieht nicht gut aus, aber das kriegen wir wieder hin. Wir haben noch alles im Griff, und wir werden den Sozialismus verteidigen, notfalls mit der Waffe. Das erwarte ich aber auch, habe ich gesagt.

Daraufhin bin ich nach Chile gefahren, ich hatte lange gespart und hatte da auch hervorragende Kontakte. Ich war gleich im Untergrund, habe ein Treffen gekriegt. Wenn was schiefgegangen wäre, hätte ich in die DDR- Botschaft rennen dürfen.

Und dann kam jener Tag der Abschaltung, Ende Januar 1990.

Also nachdem die Stasi-Zentrale in der Normannenstraße besetzt wurde.

Ja, danach.

Waren die Abteilungen damals schon aufgelöst?

Die Hauptabteilung XXII funktionierte auch danach noch. Die Stasi-Auflöser haben sie ja nicht gefunden. Also, wenn ich hier losgehe, weiß ich, wo ich die Repressionsorgane finde. Na gut. Lassen wir das.

Zurück zu Chile. Es kam ein Anruf. Ich bin im Eiltempo aus Chile zurück, habe alles stehen und liegen lassen, weil ich dachte: Jetzt geht's los. Bürgerkrieg, hab' ich gedacht. Ich kam an, und dann habe ich sehr schnell mitgekriegt, daß alles zu spät war. Daß nichts mehr ging. Ich habe dann noch mehrere Demonstrationen mitgemacht, also gegengehalten, solange es geht, das hat aber keinen mehr gepackt.

Du mußt doch irgendwann die Möglichkeit in Betracht gezogen haben, daß, wenn das alles zusammenbricht, du auch gefährdet bist.

An so was habe ich gar nicht gedacht. Das war mir ziemlich gleich. Es ging um mehr. Um eine neue Weltordnung. Das war mehr, die Dimensionen waren einfach höher. Daß die jetzt meine Akten kriegen oder sonst was, war mir scheißegal. Ich war nur entsetzt über das, was passiert. Ich bin rumgelaufen, habe versucht, Kontakt zu kriegen. Aber die Telefonnummer existierte nicht mehr.

Und dann eines Tages, Mitte Januar 90, lag ein Zettel in meinem Briefkasten in meiner Kreuzberger Wohnung, daß ich mich dann und dann da und da einfinden sollte. Dann bin ich dahingefahren, in der Dimitroffstraße war das. Sturm und Regen, kalt. Das war ein sehr denkwürdiger Abend.

Da war einer der Genossen, mehr sag' ich nicht. Der Name spielt keine Rolle, einer von denen, die verhaftet und wieder rausgelassen wurden, von der XXII. Eine Stunde ist er nicht gekommen. Da bin ich wiedergekommen, eine Stunde später, wie das so üblich ist. Mit einem Lada, den ich vorher noch nie gesehen hatte. Ich bin eingestiegen, wir haben uns angeguckt, dann hat er gesagt, wortwörtlich: Genosse, der Sozialismus in der DDR ist am Ende.

Ja, dann hab' ich erst mal schwer geatmet und wußte jetzt, die Firma geht drauf, es passiert nichts mehr, jetzt ist wirklich alles zu Ende.

Da hab' ich gesagt: Habt ihr niemals daran gedacht, euch zur Wehr zu setzen? Ich hatte selber keine Vorstellung, wie. Aber das eben nicht kampflos hinnehmen. Daß die marode waren und gar nicht mehr konnten, das habe ich gar nicht gewußt. Das hat auch kein anderer gewußt, nur sie selber haben es gewußt.

Und dann hat er mir gesagt: Es ist verschiedene Male auf unterschiedlichen Ebenen diskutiert worden, immer mit der Fragestellung, ob Reform oder Repression. Was sie dabei im Kopf hatten, weiß ich nicht, da haben sie mit mir nicht drüber geredet. Aber die Russen hätten ohnehin nicht mitgemacht, und auf wen sollten wir eigentlich noch schießen? Das war das Eingeständnis der Resignation, daß die Massen nicht mehr zu bremsen waren, daß sie verloren hatten. Das hab' ich auch eingesehen. Dann müssen wir wieder von vorne anfangen, habe ich gesagt, unsere Fehler analysieren.

So, dann haben wir uns herzlich umarmt, und dann hat er gesagt: Paß mal auf, Genosse, wir haben alles, was wir über dich kriegen konnten, vernichtet. Aber wir haben nicht alles vernichten können, weil ein paar deiner Analysen bis ganz nach oben gegangen sind, und wir wissen nicht, wo die abgeblieben sind. Alles andere haben wir, sobald es ging, vernichtet. Aber einen hundertprozentigen Schutz können wir dir nicht geben. Und dann haben wir uns noch mal umarmt und sind auseinandergegangen. Ende. Du bist jetzt offiziell abgeschaltet, hat er gesagt. So läuft das.

Und da war klar, der Sozialismus hatte also aufgehört zu existieren. Und das war dann schon eine Dimension, die mir nahegegangen ist, selbstverständlich. Und daß ich dann nachgefragt habe: Warum habt ihr das denn nicht verteidigt? — das ist auch natürlich gewesen. Denn schließlich habe ich dafür einiges riskiert.

Interview: Michael Sontheimer,

Claus Christian Malzahn,

Jürgen Gottschlich

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