: KSZE vertagt sich voll guten Willens
Außenminister verabschieden Erklärungen gegen Waffenexport/ Keine Mehrheit für KSZE-Friedenstruppen/ Gefeiertes Abrücken vom Konsensprinzip ohne praktische Bedeutung ■ Aus Prag Andreas Zumach
In einer Erklärung zum Abschluß ihrer Prager Tagung betonten die Außenminister der nunmehr 48 KSZE- Staaten gestern in allgemeiner Form die Verpflichtung ihrer Regierungen, die „Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen zu verhindern und die Raketentechnologie zu kontrollieren“. Darüber hinaus „bekräftigten“ sie ihre „Unterstützung“ für das kürzlich begründete Register der UNO für konventionelle Waffen und versprachen, das Register im Fall von Exporten „umfassend zu informieren“. Eine Delegation wurde zur Berichterstattung zur umkämpften Enklave Berg-Karabach in Aserbaidschan geschickt (siehe Seite 8). Ebenfalls in allgemeiner Form gehalten ist die besorgte Erklärung zur Entwicklung in Jugoslawien. In ihr wird — mit Blick auf serbische Ansprüche — die Unverletzlichkeit der Grenzen betont.
Die Erklärung zu Massenvernichtungswaffen enthält keine konkreten Maßnahmen zur Verhinderung ihrer Weiterverbreitung. Die Außenminister „unterstreichen“ lediglich die „Bereitschaft, einen Beitrag zu den zu diesem Zweck laufenden Bemühungen zu leisten“. Sie begrüßten die Absicht aller KSZE-Staaten, die dem Atomwaffensperrvertrag noch nicht beigetreten sind, diesen Schritt jetzt zu vollziehen.
Allgemein blieb auch zunächst die Erklärung, wonach „eine über legitime Verteidigungsbedürfnisse hinausgehende Anhäufung konventioneller Waffen eine Gefahr für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit insbesondere in Spannungsgebieten darstellt“. Der Waffentransfer „in Staaten, die eine solche übermäßige Anhäufung betreiben, sowie in Spannungsgebiete“ soll „verantwortungsvoll“ erfolgen. Die Klärung, was „legitime Verteidigungsbedürfnisse“ und was — innerhalb wie außerhalb des KSZE- Territoriums — als „Spannungsgebiet“ gilt, bleibt den Beratungen auf der am 24. März beginnenden Helsinki-Nachfolgekonferenz überlassen.
Die Außenminister bekundeten die Absicht, sowohl die Wiener Verhandlungen über vertrauensbildende Maßnahmen (VSBM) zwischen den ursprünglichen 35 KSZE-Mitgliedern wie die über gegenseitige Kontrollen des Luftraumes („Open Skies“) bis zum Folgetreffen in Helsinki mit einem Abkommen zu beschließen. Bis dahin sollen sich auch die 22 Mitgliedsstaaten der Nato und der ehemaligen Warschauer Vertragsorganisation auf Begrenzungen der Truppenstärken im Gebiet zwischen Atlantik und Ural geeinigt haben (KSE-Ia-Abkommen). In Helsinki soll dann ein neues Mandat vereinbart werden für umfassende Verhandlungen über weitere konventionelle Abrüstung sowie vertrauensbildende und Konfliktverhütungsmaßnahmen zwischen allen KSZE- Staaten.
An dieser neuen Verhandlungsrunde dürften dann mindestens 48 Staaten, wahrscheinlich jedoch 50 oder noch mehr Staaten beteiligt sein. Es wird allgemein davon ausgegangen, daß Slowenien und Kroatien, die in Prag zu Genschers „Bedauern“ nur einen Beobachtungsstatus erhielten, in Helsinki als Mitglieder aufgenommen werden. Die Bundesregierung werde „sich dafür einsetzen, daß dies am 24. März geschieht“, erklärte der Bundesaußenminister. Es wird in KSZE-Kreisen damit gerechnet, daß bis dahin auch ein Antrag Georgiens vorliegt und dann auch Mazedonien und Bosnien-Herzegowina die Mitgliedschaft nicht mehr verweigert werden kann.
US-Botschafter Maresca, Washingtons Botschafter bei den Wiener Verhandlungen, Außenminister Baker sowie sein Beauftragter für Europa- Fragen, Zoelik, ließen während der Prager Tagung keinen Zweifel daran, daß die USA gegen die Aufstellung von KSZE-Friedenstruppen sind. Zoelik machte darüber hinaus deutlich, daß auch eine von Genscher und dem CSFR-Präsidenten geforderte KSZE-Institution analog dem UNO-Sicherheitsrat für Washington nicht in Frage kommt. Zoelik lehnte die Weiterentwicklung der KSZE zu einem verbindlichen völkerrechtlichen Vertragssystem ausdrücklich ab. Baker, der bereits frühzeitig zum UN-Sicherheitstreffen nach New York aufbrach, machte keinen Hehl aus Washingtons Desinteresse an einer Fortentwicklung der KSZE.
Die am Donnerstag vereinbarten „angemessenen Maßnahmen“, die „in Fällen eindeutiger, grober und nicht behobener Verstöße gegen relevante KSZE-Prinzipien notfalls auch ohne Zustimmung des betreffenden Staates ergriffen werden können“ („Konsens minus 1“), bedeuten in der Praxis kaum eine erhöhte Handlungsfähigkeit der KSZE. In der endgültigen Fassung des „Prager Dokuments“, in der diese Vereinbarung enthalten ist, heißt es nämlich einschränkend: „Solche Aktionen bestehen aus politischen Erklärungen oder anderen politischen Schritten, die außerhalb des Territoriums des betreffenden Staates erfolgen müssen.“
Im Klartext: Wenn es etwa in Armenien zu erheblichen Menschenrechtsverletzungen und damit zu Verstößen von KSZE-Prinzipen kommt, kann der KSZE-Ausschuß hoher Beamter in Brüssel, London oder Prag dazu eine Erklärung abgegen. Nicht einmal die Entsendung einer Beobachterdelegation nach Armenien ohne Zustimmung der armenischen Regierung wäre möglich.
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