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Neue Völkerwanderung?

■ Der westliche Ausläufer Asiens wird „überschwemmt“

Europa hat in seiner langen Geschichte wiederholt ein Phänomen „durchlebt“, das allgemein als Völkerwanderung bezeichnet wird. Die Völkerwanderung, von der im Geschichtsunterricht gesprochen wird (3. bis 5. Jh.), war geprägt von den Wanderungen der germanischen Stämme des Ostseeraumes nach Ost-, Süd- und Westeuropa und den darauf folgenden Staatengründungen. Ich bezeichne sie hier als die „Erste Große Völkerwanderung“ Europas, denn sie war weder die erste noch die letzte; allein ihre Dimension berechtigt, sie als „Große“ zu bezeichnen. Die „Zweite Große Völkerwanderung“ und auch die „Dritte“ waren die Folge der beiden Weltkriege in unserem Jahrhundert und der damit verbundenen Grenzverschiebungen, Völkervertreibungen. Eine „Vierte Große Völkerwanderung“ fand und findet angeblich in Europa seit den 60er Jahren statt. Ort der Handlung soll bisher West- und Nordeuropa sein. Diese Wanderungsbewegung brachte bisher Millionen als Arbeitsimmigranten nach Westeuropa: 5 Millionen lebten Ende 1990 in der BRD, 4,4 Millionen 1990 in Frankreich, 250.000 in Spanien, 2,6 Millionen in Großbritannien, weitaus weniger in Portugal, Irland und Griechenland.

Diese Zahlen reichen kaum aus, eine neue Völkerwanderung zu diagnostizieren: Allein in der EG sind von 340 Millionen Einwohnern gerade 15 bis 16 Millionen eingewandert oder leben hier als Bürger ehemaliger Kolonien. Und doch sind Schreihälse wie Le Pen, Lummer, Mitsotakis und John Major unentwegt damit beschäftigt, Naturkatastrophen und biblische Plagen in Europa zu sehen. Europa werde angeblich überflutet, überschwemmt, infiltriert, rassisch durchsetzt. EG-Beamte sind ständig damit beschäftigt, die europäischen Festungsmauern auszubauen. Spanien schottet sich gegen seine ehemaligen Kolonien ab und erschwert die Einreise für Bürger aus Mittel- und Südamerika, Deutschland hat mit dem Schäuble- Gesetz eine Praxis vollendet, die viele Jahre vorher schon begonnen hatte, England und Frankreich haben vor vielen Jahren schon eine Vorreiterrolle gehabt und ihre Länder abgeschottet.

Am Beispiel Griechenlands läßt sich skizzieren, wie diese Abschottung Europas im einzelnen funktioniert. Das Land wehrt sich gegen die illegale Einwanderung von Albanern und gegen erwartete Einwanderungsströme aus Nordafrika, Südostasien und den griechischen Siedlungsgebieten der ehemaligen Sowjetunion. Sind die Menschen aber erst einmal im Land, dann teilen sie das Los der griechischen Obdachlosen. Zu viel Öffentlichkeit fördert auch in Griechenland das schlechte Gewissen, was aber nicht dazu führt, daß die griechische Gesellschaft sich des Problems annimmt. Vielmehr verlangt sie nach der starken Hand, die der Einwanderung einen Riegel vorschiebt. Aber in der Festung Europa ist kein Platz mehr, Europa den Europäern ist das Motto. Apostolos Bouras

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