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Geruch, Invasion, Rache und Blutrecht

■ Yves Montand, Edith Piaf, Charles Aznavour, Michel Platini und Yannick Noah: Nach Le Pen wären sie keine Franzosen

Die rechtsextremistischen Parteien nehmen kein Blatt mehr vor den Mund. Ausländerfeindlichkeit, die vor einigen Jahren noch unterschwellig zu ahnen war, bekommt mit den letzten politischen Ereignissen Aufwind. Man ist wieder „wer“, und manche hängen es nun auch an die große Glocke. Es ist zu befürchten, daß eine Verbesserung der Situation kaum zu erwarten ist. Im Gegenteil. Das Phänomen betrifft die gesamten europäischen Länder, wo wichtige ausländische Gemeinden leben. Trotz aufwendiger Kampagnen, Solidaritätskonzerte und sonstiger Veranstaltungen, die das in Europa zunehmende Rassismus- Gespenst bannen sollen, scheint der Erfolg noch recht mäßig zu sein. Anschläge gegen Ausländer werden nach wie vor verübt. Doch das Interesse der Medien für solche Ereignisse sinkt. Abnutzungserscheinungen, Banalisierung.

In Frankreich ist die Lage der Ausländer, speziell der Nordafrikaner, nicht beneidenswerter als in Deutschland. Der Erfolgskurs einer Partei wie der „Front National“ von Le Pen ist so groß, daß sogar die etablierten konservativen Parteien seine Propagandathemen annehmen und mit ihm in diesem Thema wetteifern. Der umfangreichen Asyl-Terminologie und zahlengierigen Sprache der Politiker und Medien in Deutschland, die gewiß nicht die Schokoladenseite „unserer ausländischen Mitbürger“ preist, entspricht in Frankreich eine vergleichbare sprachliche „Enttabuisierung“ des Reizthemas „Ausländer“. Es ist in diesem Land so weit gekommen, daß die internationale Liga gegen Rassismus und Antisemitismus (LICRA) es für angebracht hielt, die Politiker zu beschwören, mit höchster Sorgfalt aus ihren Reden jedes Wort zu verbannen, das rassistische Gefühle schüren könnte. Es ist daher kein Fauxpas, wenn der Pariser Oberbürgermeister und ehemalige Premier Minister Chirac öffentlich sein „volles Verständnis“ gegenüber Wählern kundtut, die sich über Knoblauch- und andere Gerüche beklagen, die ihre Geruchssinne malträtieren.

Einige Zeit später war es Giscard d'Estaing — der ehemalige Präsident in Person —, der von einer „Invasion“ Frankreichs durch Ausländer sprach. Das ohnehin wacklige Boot der Ausländer in der „Grande Nation“ paddelt mit den sogenannten Mégret-Maßnahmen zu neuen Ufern der grenzenlosen Absurdität. Diese Maßnahmen, die der gleichnamige FN-Politiker Mitte November 1991 auf einem Kolloquium der Front National über die Einwanderungspolitik vorstellte, beinhaltet 50 Vorschläge, die — so der Redner — „zur Lösung des Immigrationsproblems beitragen könnten“. Wie? Indem das Problem an der Wurzel gepackt wird. So werden zum Beispiel die „ethnischen Ghettos“ abgeschafft und die Bewohner umgesiedelt. Auf diese Weise hofft man gleichzeitig das Problem der mit ausländischen Schülern überfüllten Klassen zu lösen. Quotierungen würden trotzdem dort angewandt, wo die Zahl der ausländischen Kinder in den Schulen noch zu hoch bleibt.

Und überhaupt, um die Kinderzahl der so fruchtbaren ausländischen Familien zu reduzieren, sollen ihnen das Kindergeld und sonstige soziale Leistungen gestrichen werden, die für blutreine Franzosen natürlich erhalten bleiben. Die Parole „Les Fran¿ais d'abord“ (zunächst die Franzosen) findet — wenn es nach dem Willen der Lepenisten ginge — ihre wahre und praktische Anwendung. Die Bevorzugung der Franzosen auf dem Arbeitsmarkt soll mit der Einführung einer Sondersteuer verbessert werden. Diese Steuer müssen Arbeitgeber bezahlen, die Ausländer einstellen. Im Gegenzug sollen jedoch die ausländischen Arbeitnehmer in einer anderen Sache privilegiert werden: Bei der Entlassung sind sie immer als erste dran. Natürlich ist nicht mehr die Rede davon, den Ausländern irgendein Wahlrecht zu gewähren, nicht einmal in den Betriebsgremien wird dies möglich sein. Sie sind halt nur „Gäste“. Fazit: Es bleibt dem Dritte- Welt-Nicht-Franzosen nur noch eine Alternative: Franzose werden.

Das bisherige Einbürgerungsgesetz, das den auf französischem Territorium geborenen Kindern die Staatsbürgerschaft sichert — immerhin fortschrittlicher als das deutsche—, wird abgeschafft und durch das Blutrecht ersetzt. Die glücklichen Auserwählten, die dennoch die Hürden nehmen könnten, erwartet eine letzte Geduldprobe: Sie dürfen „Franzosen auf Probezeit“ werden. Auf die Dauer dieser Zeiten wird nicht näher eingegangen. Im Klartext: Jeder Fauxpas könnte sie die französische Staatsbürgerschaft kosten.

Der neue alte Hit dieses Programms ist allerdings, daß eine Regierung Le Pen sich erlauben würde, Einbürgerungen rückgängig zu machen. Davon betroffen wären alle Einbürgerungen seit 1974. In diesem Jahr hörte Frankreich offiziell auf, Einwanderungsland zu sein.

Dies sind nur einige Punkte eines Programms, das zwar wie eine Horrorvision klingt, aber doch auf einer gewöhnlichen Tagung einer inzwischen keineswegs unbedeutenden, „normal etablierten Partei“ verabschiedet wurde. Daß eine solche Projektion gar nicht mehr so abwegig ist, zeigt ebenfalls die Tatsache, daß auch ein Politiker wie Giscard d'Estaing sich für das Blutrecht ausgesprochen hat. Man müßte ihn wirklich beim Wort nehmen, vorausgesetzt, er geht konsequent mit diesem Gedanken um. Dann nämlich müßte Frankreich nicht nur von unzähligen seiner bekanntesten Figuren Abschied nehmen, die ja auch irgendwann einmal „Invasoren“ waren, und es sind nicht nur einige: Aznavour, Bécaud, Platini, Veil, Berque, Noah, Rothschild, Montand, Dalida— sogar die heilige Kuh des französischen Chansons, Edith Piaf, hat berberisches Blut! —, sondern müßte sich auch damit abfinden, alle Überseegebiete in die Unabhängigkeit zu entlassen: Martinique, La Réunion, Guadeloupe... Ja, sogar die Korsen könnten sich dann endlich in der Hoffnung der baldigen Freiheit wiegen.

Wie dem auch sei: „Wir betrachten die Einwanderer nicht als unsere Feinde“, meinte Front-National- Chef Le Pen zum Abschluß des Treffens. „Wir wollen eine humane Einwanderungspolitik“, beteuerte Mégret, der Urheber dieser Vorschläge, ohne jeden Zynismus. Mohamed Tilmatine

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