: Der marxistische Western
Neue Fassung von „Pat Garrett & Billy the Kid“ im ZDF, 22.15 Uhr ■ Von Manfred Riepe
Mit der Rekonstruktion verstümmelter Filme hat sich die ZDF-Filmredaktion einen Namen gemacht. Über 100 Filme wurden seit 1971 in Fassungen ausgestrahlt, die zuvor selten oder noch gar nicht im Kino liefen. Grund für die Verstümmelung von Filmkunstwerken ist nicht nur die politisch motivierte Zensur. Am Beispiel von Packinpahs „marxistischem“ Spätwestern Pat Garrett & Billy the Kid läßt sich zeigen, daß auch kommerzielle Zensurmotive nicht selten verdeckter Ausdruck von reaktionären Übergriffen sind.
Die von den MGM-Studios 1973 ins Kino gebrachte, um knapp 17 Minuten geschnittene Version verkürzt Peckinpahs Gunfighter-Ballade um genau die Stellen, die ihre (Rahmen-)Handlung als Allegorie auf gesellschaftspolitische Zusammenhänge erkennbar machen. Übrig blieb eine handelsübliche „Männergeschichte“. Billy the Kid (Kris Kristofferson) ignoriert die Mahnungen seines früheren Freundes und jetzigen Sheriffs, Pat Garrett (James Coburn), New Mexiko zu verlassen. Nach einer Schießerei wird Kid festgenommen und soll unter einem Vorwand gehenkt werden. Er entkommt, wird von Garrett im Auftrag der Viehbarone gejagt und schließlich erschossen. Am Ende reitet Garrett unbehelligt gen Horizont, ein Ki(n)d wirft ihm einen Stein hinterher. Der damalige Cutter Roger Spottiswoode hat nach einem Negativ-Fund jetzt eine 116-minütige Fassung rekonstruiert, die Peckinpahs ursprünglichen 121 Minuten näherkommen dürfte. Dank der hinzugefügten Viertelstunde entsteht nun ein komplexeres Bild Garretts. Der Ex- Outlaw läßt sich korrumpieren, identifiziert sich mit der bürgerlich-repressiven Ordnung der Rinderbarone, die den subversiven Billy ablehnen, und wird dadurch zur anachronistischen Figur, die sich selbst auslöscht. Von der Verlockung des Reichtums in der „Neuen Welt“ geködert, ist Garrett den Viehbaronen nur Mittel zum Zweck. Er tötet Kid und all seine Kumpels, bevor er selbst heimtückisch abgeknallt wird. Am Ende sind alle Revolverhelden tot. Es herrscht Ordnung. Zurück bleibt, wie schon John Ford in The Man who shot Liberty Valance entlarvte, die verlogene Legende vom Gesetz, das sich aus dem Wunsch nach Aufrichtigkeit allein aus eigener Kraft erschaffen hat. Dieser geschichtsfälschenden Legende, die der Hollywood-Western gewöhnlich als kulturtechnische Verdrängungsleistung perpetuiert, wollte Peckinpah den endgültigen Todesstoß verpassen. Und zwar indem er seinen Film gleich mit jenem Meuchelmord der Viehbaron-Schergen an Garrett beginnen läßt, den die Zensurfassung unter den Tisch fallen ließ. Am Ende des Films reitet Garrett nämlich um genau jenen Hügel, hinter dem am (ursprünglich weggeschnittenen) Anfang bereits der Heckenschütze lauerte. Im Wechsel der furiosen Parallelmontage verschmelzen nun Anfang und Ende der Geschichte. Während der tödlich getroffene Garrett in Zeitlupe in den Staub sinkt, sehen wir Kid, wie er zielen übt, indem er bis zum Hals eingegrabenen Hühnern den Schädel wegschießt (keine Stunt-Hühner). Garrett kommt hinzu und trifft bereits aus größerer Distanz: Die eigene Versiertheit am Schießeisen und die eigenen Kugeln, so Packinpahs ursprüngliche Aussage, töteten Garrett. Packinpah läßt kein Zweifel, daß Garrett und Billy zwei Seiten einer Medaille sind. Nachdem er Billy niedergeschossen hat, zerschießt Garrett noch den Spiegel, in dem er sich anblickt. Sein Mord an Kid ist ein externalisierter Suizid zugunsten der Rinderbarone, die einen gesäuberten Weste(r)n als Geschäftsgrundlage brauchen.
Dieser poetischste unter Peckinpahs Western überzeugt ferner durch traumhafte Landschaftsbilder der Halbwüste von New Mexico, in der Kid beinahe zum „edlen Wilden“ stilisiert wird. Als pausbäckiger Zottel stapft Kris Kristofferson durch die Gegend, mehr Späthippie als Killer. Eine Assoziation, die sich in der Figur des Kid-Sympathisanten Alias fortsetzt, verkörpert von Bob Dylan, der auch einen Teil der Filmmusik beisteuerte. In diesem auch in den Nebenrollen hochkarätig besetzten Film sehen wir neben Harry Dean Stanton, Jason Robarts und Slim Pickens Sam Peckinpah selbst in der Rolle des Sargmachers.
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