INTERVIEW: „Nur wenn wir die sozialen Verhältnisse angehen, hat der Frieden eine Chance“
■ Francisco Estrada, Rektor der Zentralamerikanischen Universität (UCA) von San Salvador, über die Aussichten, nach dem politischen nun auch einen sozialen Frieden zu erreichen
Der salvadorianische Jesuitenpater und Professor für Betriebswirtschaft, Francisco Estrada, wurde zum Rektor der angesehenen Privatuniversität ernannt, nachdem sein Vorgänger Ignacio Ellacuria sowie weitere fünf Patres im November 1989 von Militärs ermordet worden waren. Ellacuria galt als Vordenker der Linken, und für die Armee war die UCA ein „Nest der Subversion“.
taz: Die UCA selbst hat während des langen Konflikts schwere Opfer gebracht. Wie sehen Sie heute die Perspektiven für einen dauerhaften Frieden?
Estrada: Wir sind voller Hoffnung und besorgt zugleich. Das Abkommen und der Friede ab 1. Februar sind positiv. Wir hoffen aber zum Frieden ohne Waffen zu gelangen, vor allem aber zum Frieden mit sozialer Gerechtigkeit. Der Krieg ist ja nicht spontan ausgebrochen oder wegen des Ost-West-Konflikts, sondern auf Grund der extremen sozialen Verhältnisse hier im Land: Analphabetismus, Mangelernährung, medizinische Unterversorgung. Viele Leute sind noch skeptisch und können nicht glauben, daß wir soziale Gerechtigkeit erreichen.
Bietet denn das Abkommen eine Garantie für einen wirklichen und dauerhaften Frieden?
Das Abkommen ist absolut notwendig, aber gleichzeitig unzureichend. Es beinhaltet eine Diagnose unserer Situation und ein Fundament für die Hoffnung. Die Entwicklung der Welt geht in die Richtung von Konfliktlösung durch den Dialog. Und außerdem werden die Abkommen dadurch abgesichert, daß unser Wiederaufbau auf ausländischer Wirtschaftshilfe basiert. Und die ist an die Bedingung geknüpft, daß es keinen Krieg mehr gibt.
Die wirtschaftlich Mächtigen werden ihre Macht wohl nicht ganz freiwillig beschneiden lassen...
Unsere traditionelle Oligarchie wird zum Umdenken gezwungen werden. Wahrscheinlich wird dieser Prozeß nicht ohne schmutzigen Krieg über die Bühne gehen, weil sie wohl kaum aus Einsicht nachgeben werden. Es gibt aber viel stärkere wirtschaftliche Machtfaktoren — nicht weil unser Land so wichtig wäre, sondern weil es für die multinationalen Unternehmen Teil der notwendigen Stabilität ist. Der Wirtschaftsvertrag zwischen den USA, Kanada und Mexiko, das neoliberale Programm überhaupt, brauchen für ihre Entfaltung den Frieden in El Salvador. Diese Kräfte werden unsere Oligarchen zwingen, der Entwicklung nicht weiter im Wege zu stehen.
In den nächsten Wochen nimmt das sogenannte Forum zur Konzertierung der wirtschaftlich bestimmenden Kräfte seine Arbeit auf; dort geht es um die Gestaltung der künftigen Wirtschafts- und Sozialpolitik. Wird die UCA dort auch eine Rolle spielen?
Keine direkte. Aber einige Gruppen, die an dem Forum teilnehmen werden, haben um unseren Rat gebeten. Auch die Regierung ist für Vorschläge offen. Die Rolle, die dabei der Universität zufällt, ist die Beratung der sozialen Kräfte, die die Entscheidungen treffen müssen. So fragen sich beispielsweise die Gewerkschaften, was sie ihrerseits unterbreiten sollen. Sie sind der Meinung, daß sie ja nicht nur protestieren könnten, sondern auch Gegenvorschläge bringen müßten.
Was die Rolle der Armee betrifft, ist das Abkommen viel konkreter als in wirtschaftlichen Fragen. Reicht das aus, um die Arroganz der Armee zu brechen?
Als Basis wohl schon. Doch müssen die Abkommen durch die Gerichtsbarkeit ergänzt werden. Unser Justizsystem muß verbessert werden. Bisher hatten die Richter keine unabhängigen Untersuchungsteams, sondern waren auf die Information der Sicherheitskräfte angewiesen. Musterbeispiel ist der Prozeß gegen die Mörder der Jesuitenpatres: Diejenigen, gegen die eigentlich hätte ermittelt werden müssen, waren die Vorgesetzten der Untersuchenden. Erst wenn das Justizsystem so reformiert wird, wie es im Abkommen vorgesehen ist, kann man Armeeangehörige zur Verantwortung ziehen.
Noch in den letzten Tagen haben hohe Offiziere Druck gemacht. Rechnen Sie mit Putschversuchen?
Es gab in der Tat vor kurzem noch Versuche. Aber ein Staatsstreich, der nicht die Unterstützung der US-Botschaft, der Regierungen von Venezuela und Mexiko genießt, kann nicht gelingen. Wenn die USA die Wirtschaftshilfe und Mexiko und Venezuela die Öllieferungen einstellen, kann keine Regierung sich konsolidieren. Es gibt sicherlich Offiziere, die Lust hätten zu putschen. Aber die werden keine Unterstützung finden. Ich kann mir eher Terrorakte vorstellen. Denn einige aus der traditionellen Oligarchie und der Armee sind mit dem Friedensabkommen nicht einverstanden. Die wollen jetzt den Prozeß und den Wirtschaftsaufschwung zum Scheitern bringen. Ich denke aber, daß solcherlei Vorgehen relativ leicht zu kontrollieren sein wird.
Wie sieht das Kräfteverhältnis in der Armee aus?
Man kann drei Gruppen unterscheiden: diejenigen, die hinter dem Abkommen stehen wie der Minister und die meisten Offiziere des Generalstabs. Dann ist da eine andere, kleine Gruppe, die nicht einverstanden ist. Und schließlich die Masse der jungen Offiziere, die am Entscheidungsprozeß nicht beteiligt waren und ganz aus der Armee aussteigen wollen, um zu studieren.
Kann die Säuberung der Armee wirklich mit der Tradition des Militarismus aufräumen?
Ich glaube schon. Vor allem durch die Säuberung des Offizierskorps. Am Schluß soll sogar der Verteidigungsminister ein Zivilist sein. Die Weichen sind gestellt. Aber es ist noch ein weiter Weg bis zum Ziel.
Die UCA hat unter Rektor Ellacuria eine Vermittlerposition eingenommen und den Kontrahenten einen dritten Weg aufgezeigt. Wird das fortgesetzt?
Der dritte Weg ist nichts anderes als die Beteiligung der sozialen Kräfte an der Entwicklung des Landes. Die UCA hat mitgeholfen, die Kampagne der Nationalen Debatte ins Leben zu rufen, und vor allem da eine aktive Rolle übernommen, wo die sozialen Kräfte und die politischen Parteien keine Möglichkeit zur Beteiligung hatten. Wer sich damals aus dem Fenster hängte, riskierte seinen Kopf. Jetzt, da diese Kräfte ihre Freiräume zurückerobert haben, überlassen wir ihnen wieder das Feld. Unsere Mission ist jetzt wieder die Unterstützung und Beratung dieser sozialen Kräfte.
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