: „Wie ein Stich im Nacken“
■ Das deutsche Team schied in Rio de Janeiro in der ersten Runde des Davis-Cups gegen Brasilien aus/ Becker-Ersatz Markus Zoecke verlor nach großem Spiel den entscheidenden Punkt zum 1:3
Berlin (taz/dpa) — Die Leichenbittermiene des Niki Pilic verhieß schon vor dem Davis-Cup-Match in Rio de Janeiro gegen Brasilien nichts Gutes für die deutsche Mannschaft. Mal klagten Teamchef und Spieler die sengende Hitze an, mal den katastrophalen Platz, mal den zu erwartenden Fanatismus des Publikums und mal das Schicksal allgemein, das sie zwang, mitten im brasilianischen Sommer eine Davis-Cup-Begegnung auszutragen. Den Brasilianern waren die deutschen Depressionen eine Wonne, ihr anfänglicher Kleinmut angesichts der weltrangmäßigen Übermacht des Gegners wich langsam einem spöttischen Optimismus. „Die Deutschen werden weinerlich“, befand Jaime Oncins, die Nummer eins der Südamerikaner.
Und das deutsche Defätistenteam behielt in allen Punkten recht. Boris Becker war nach zwei Tagen derart von der Hitze ausgelaugt, daß er zu seinem Match gegen Jaime Oncins am Sonntag nicht mehr antreten konnte, Carl-Uwe Steeb, der am Freitag gegen Oncins verlor, und Doppel-Spieler Eric Jelen waren nur noch Schatten einstiger Davis-Cup- Größe. Ersatzmann Markus Zoecke kämpfte zwar wie ein Löwe, solange die Kraft reichte, mußte zum Schluß aber ebenfalls den widrigen Bedingungen Tribut zollen. Beim Gesamtstand von 1:2 nach den ersten beiden Spieltagen verlor er in einem 5:16 Stunden dauernden Match gegen Jaime Oncins und machte dadurch die Sensation perfekt: 3:1 für Brasilien, Deutschland muß in die Abstiegsrunde.
Fast hätte der 23jährige Zoecke in der dramatischen Partie gegen den ein Jahr jüngeren Brasilianer vor 9.000 lärmenden Zuschauern die Oberhand behalten und den schwarzen Peter an Carl-Uwe Steeb weitergegeben. Doch einen Matchball bei 5:3-Führung des Berliners im fünften Satz wehrte Oncins mit einem großartigen Return ab und nahm danach das Heft endgültig in die Hand. Mühselig schleppte sich der erschöpfte, klatschnaß geschwitzte und demoralisierte Zoecke über den Platz, hatte nicht mal mehr die Kraft, den Schläger bei den Volleys richtig festzuhalten und wurde zusätzlich vom Publikum zermürbt, das mit Sambatrommeln, Trompeten und Stimmbändern ein infernalisches Getöse veranstaltete. „Die Leute sind wie ein ständiger Stich im Nacken“, sagte Zoecke hinterher — ein Satz, der eigentlich besser zu Boris Becker gepaßt hätte.
Mit 1:6, 6:4, 7:6, 2:6, 7:5 gewann Oncins das Match und wurde von den begeisterten Fans, die sofort den Platz überschwemmten, fast erdrückt. Auch Carl-Uwe Steeb fiel vermutlich ein Stein vom Herzen. Dem einstigen „Helden von Göteborg“ (beim ersten Davis-Cup-Sieg der Deutschen) blieb die Schmach erspart, zum „Deppen von Rio“ herabzusinken. Sein bedeutungslos gewordenes Match gegen Luiz Mattar wurde nicht mehr gespielt.
Trotz der beeindruckenden Leistung Zoeckes mußte sich Niki Pilic nach dem Debakel herbe Kritik gefallen lassen. Hätte er anstelle des Berliners einen Doppel-Spezialisten nominiert, hätte Boris Becker nach seinem brutalen Marathon-Einzel am Freitag einen Tag pausieren können, anstatt im Doppel als klägliche Figur neben dem ebenfalls indisponierten Jelen eine blamable Dreisatz- Niederlage zu kassieren. Ein einigermaßen erfrischter Becker wäre dann am Sonntag vermutlich mit mehr Chancen gegen Oncins auf den Platz gegangen als das Davis-Cup- Greenhorn Zoecke. „Wir haben über die Nominierung nicht gesprochen“, rügte Becker.
„Ich bin sehr traurig nach diesem Match“, zog Niki Pilic ein düsteres Fazit und verkündete das endgültige Ende seiner einstigen Mustertruppe um Becker, Steeb und Jelen, mit der er zweimal den begehrten Cup gewann. „Alles kommt einmal zu einem Ende. Wir hatten sechs Jahre lang eine Super-Generation in der Mannschaft. Diese Jahre sind vorbei.“ Die „Vierfreunde-Ära“ ist vorbei, die Zukunft gehört eher einer Zweckgemeinschaft mit Becker, Stich, Riglewski und vermutlich Markus Zoecke, laut Pilic „leider der einzige positive Aspekt“ in Rio.
Matti
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