: Münchner „Elektro-Mafia“ vor Gericht
Schmiergeldprozeß gegen neun Siemens-Mitarbeiter und einen städtischen Angestellten/ Seit 1984 wurden Schmiergelder in Millionenhöhe gezahlt/ Nur Spitze des Eisbergs ■ Von Bernd Siegler
Seit gestern bemüht sich die Vierte Strafkammer des Landgerichts München I, einen der bislang größten Bestechungsskandale in der bayerischen Geschichte juristisch zu bewältigen. Neun Siemens-Mitarbeiter und ein städtischer Angeklagter stehen in einem ersten Verfahren u.a. wegen aktiver Bestechung, versuchter Strafvereitelung, Bestechlichkeit, Betrugs und Urkundenfälschung vor Gericht. Seit 1984 sollen im Zusammenhang mit der Vergabe von Aufträgen insbesondere für das Klärwerk München II Schmiergelder in Millionenhöhe geflossen sein. Das Verfahren ist der Auftakt von weiteren Prozessen. Angesichts der „gewaltigen Dimension“ der Bestechungsaffäre hatte Staatsanwältin Ursula Lewenton schon während der Ermittlungen das Gefühl, in München seien „die Verhältnisse beinahe so schlimm wie in Kolumbien“.
Die Staatsanwaltschaft wirft dem Hauptangeklagten, einem 44jährigen ehemaligen Angestellten im Baureferat der bayerischen Landeshauptstadt, vor, Schmiergelder von knapp zwei Millionen Mark inklusive einer Luxusvilla im oberbayerischen Moosburg kassiert zu haben. Im Gegenzug soll sich die Firma Siemens beim Bau und Ausbau zweier Klärwerke Aufträge im Wert von rund 55 Millionen DM gesichert haben. Der ehemalige Bauleiter des Klärwerks München II hat den Auftragsinteressenten gegen die Zahlung von zwei Prozent der Auftragssumme behördeninterne Ausschreibungslisten über einen Mittelsmann zur Verfügung gestellt. Dieser, ein bis 1986 in den Diensten von Siemens stehender erfolgreicher Außendienstakquisiteur, habe sich dann, so die Anklage, mit Firmenvertretern getroffen, die untereinander vereinbart hatten, wer den Auftrag bekommen sollte. Die anderen Unternehmen sollen dann als sog. „Schutzgeber“ überhöhte Scheinangebote abgegeben haben, damit die vereinbarte Firma den Zuschlag erhalten sollte. Insgesamt soll diese „Elektro-Mafia“ 20 Firmen, darunter auch Siemens, Asea Brown Boveri und AEG, umfaßt haben. Wie sich während der umfangreichen Ermittlungen herausgestellt hat, sind Schmiergelder nicht nur bei Aufträgen für das Klärwerk München II geflossen, sondern auch beim Klärwerk München I, bei Aufträgen des Universitätsbauamtes, des Finanzbauamtes, des Landbauamtes, der Münchener Messegesellschaft und für den Flughafen München II.
Aus 1.400 Aktenordnern hat die Staatsanwaltschaft inzwischen 65 Beschuldigte herausgefiltert, darunter solch ehrenwerte Mitglieder der Münchener Gesellschaft wie einen CSU-Senator. Der Verteidiger des Hauptangeklagten im ersten Verfahren meinte angesichts der Dimension der Affäre, daß man davon ausgehen müßte, daß die Bundesrepublik „längst eine Bananenrepublik“ sei.
Die Bestechungsaffäre war aufgeflogen, als ein Unternehmer versuchte, Schmiergelder in Höhe von 400.000 DM beim Finanzamt als „Betriebsausgaben“ geltend zu machen. Bei Siemens wurden die Schmiergelder immer unter der Rubrik „Erhalt ausländischer Aufträge“ verbucht. So hat Siemens für einen 19-Millionen-Auftrag für die Prozeßleittechnik im Klärwerk München II ca. 650.000 DM Schmiergelder bezahlt. Nach den Aussagen der Angeklagten wußten die Führungsetagen von Siemens durchaus Bescheid. Sowohl der Vorstand der Münchener Niederlassung als auch der Abteilungsleiter für Prozeß- und Meßtechnik im Stammhaus in Karlsruhe gaben demnach ihre Zustimmung zu den Geschäften.
Zwei der derzeit angeklagten Siemens-Manager sind inzwischen in Rente gegangen, die restlichen sieben sind weiterhin für den Weltkonzern tätig. Einer davon, ein Jurist aus Erlangen, hat sich für den Konzern sehr verdient gemacht. Nach den ersten Presseberichten im April 1991 suchte er persönlich die Münchener Niederlassung auf und nahm elf Ordner mit Unterlagen zum Thema Klärwerk mit. Später sagte er aus, daß er diese Akten vollständig im Reißwolf vernichtet habe, um „Schaden von der Firma Siemens abzuwenden“. Er muß sich jetzt wegen versuchter Strafvereitelung verantworten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen