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Von einem der auszog, die Welt zu verbessern

■ betr.: Till Meyer: "Ich war immer Schützer der DDR", taz vom 31.1.92

betr.: Till Meyer: „Ich war immer Schützer der DDR“,

taz vom 31.1.92

Da ist einer, der auszog, die Welt zu verbessern. Als ein staatsfeindlicher Demonstrant erschossen wurde, schloß Till Meyer sich der „Bewegung 2.Juni“ an. Seine Spielart von Anarchismus schloß Gewalt als Mittel ein, den westdeutschen Einzelnen davor zu bewahren, bloße Manipuliermasse des Staates zu sein. Weil nicht nur die Ziele dieser Bewegung, sondern vor allem die Mittel von dem größten Teil der Bevölkerung abgelehnt wurden, stilisierten sich solche Leute zur avantgarden revolutionären Elite.

Jahre vergehen. Jetzt redet er stolz in der Pose eines „Fighter for a Noble Lost Cause“. Er selber betrachtet die Menschen um sich herum als Manipuliermasse, die er ausspionierte im Dienste seines neuen Steckenpferdes: ein seine Bürger besonders manipulierender und maßregelnder Staat, der das mit dem Wort Sozialismus zu rechtfertigen und kaschieren versuchte. Ich lasse einen Momentlang die Freiheitsliebe des Anarchismus beiseite und frage: Was ist mit der gemeinsam von Anarchismus und Sozialismus gepredigten Solidarität, die sicherlich Vertrauenswürdigkeit voraussetzt? Für Till Meyer dient die Einbildung, für alle besser zu wissen was gut und richtig ist, als Grund, Fragen nach den Grenzen der Mittel, nach den Grenzen der Verantwortbarkeit beiseite zu schieben. Es geht ihm wohl um etwas viel Größeres als die eigene Integrität und die Rechte anderer. Deswegen findet er es edel, beide fahren zu lassen. Und wenn das Volk des angebeteten Staates zeigt, es will die in seiner großen Idee verpackte Diktatur nicht, es will nicht zu seinem vermeintlichen Glück gezwungen werden, dann meint Meyer: Seine Freunde (der Staatsapparat) hätten den Sozialismus verteidigen sollen, sie hätten schießen sollen. Aber was könnte das im Herbst 1989 anderes bedeuten, als den Status Quo in der DDR zu verteidigen, als auf Demonstranten — diesmal die Mehrheit der Bevölkerung — zu schießen.

Fazit: Egal für welche Seite man üble Mittel einsetzt, man hat eitel, entschuldigung, edel für eine bessere Welt für die Menschen gekämpft. Der Beweis: man hat sich nie durch die konkreten Menschen, ihre Wünsche und die eigene Verantwortlichkeit ihnen gegenüber vom jeweiligen avantgarde-revolutionären (das heißt besserwisserischen) Kurs abbringen lassen. Mitch Cohen, West-Berlin

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