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Wohnen in einer Tropfsteinhöhle

■ Mängel in Mietwohnungen: Wie man sie los wird, wieviele es gibt und warum es in absehbarer Zeit in Berlin nicht besser wird/ Mieter haben einen Rechtsanspruch auf eine mängelfreie Wohnung

Der Wasserfleck an der Decke wurde größer und größer, aber taz-Leser Moritz M. schenkte ihm keine Beachtung. Erst als die grauen Streifen die Wand hinunterliefen, rief er den Vermieter an. Nun zeigte der seinerseits keine Eile. Nach der dritten — schriftlichen — Mahnung verbunden mit der Drohung, die Miete um zehn Prozent zu kürzen, kamen die Handwerker und legten die Wohnung trocken. Die Ursache der Feuchtigkeit blieb jedoch im dunkeln.

So soll es nicht sein. Denn Moritz M. hätte sich schadensersatzpflichtig machen können, weil er nicht rechtzeitig Bescheid gesagt hat. Zum anderen hat er Anspruch darauf, daß sein Schaden plus Ursache binnen kurzem beseitigt wird. Doch grau ist alle Theorie: Nicht nur in Ost-Berlin, auch im Westteil der Stadt klappern die Fenster, frieren die Wasserrohre ein, bröseln die Kachelöfen, lecken die Dächer und verschwinden die Treppengeländer.

»Bei jedem dritten Fall, den wir betreuen, geht es um Wohnungsmängel«, erzählt Volker Hegemann vom Mieterverein. Jeder Dachgeschoßausbau ziehe Mängel in den darunterliegenden Wohnungen nach sich. Auch die landeseigenen Häuser zählen eher zu den unrühmlichen Ausnahmen. »Wir haben Mieter in einem landeseigenen Altbau am Ostpreußendamm betreut, da wurde zwei Jahre gar nichts gemacht mit der Begründung, das Haus würde abgerissen«, erzählt Hegemann. Das sei natürlich nicht rechtens.

Beim schlimmsten Fall, von dem Hegemann weiß, ging es um ein leckendes Dach bei einem Hochhaus in der Hubertusallee. »Die Wohnung sah aus wie eine Tropfsteinhöhle«, erinnert er sich. Die Mieterin mußte sich zudem — rechtlich nicht ganz einfach — mit einer Gemeinschaft einzelner Wohnungseigentümer auseinandersetzen.

Bei schweren Mängeln kann die Bau- und Wohnungsaufsicht der Bezirke eingeschaltet werden, die den Eigentümer anmahnt. Bleibt der uneinsichtig, kann eine sogenannte Ersatzvornahme angeordnet werden. Hier streckt die Wohnungsaufsicht die Handwerkerkosten vor und holt sie sich vom Vermieter wieder. Mehr als 130.000 Mark im Jahr gibt allein Kreuzberg für Ersatzvornahmen aus. Und das betrifft nur zehn Prozent aller gemeldeten Fälle. Bei den restlichen 90 Prozent lenkt der Eigentümer ein und zahlt freiwillig, so die Kreuzberger Baustadträtin Erika Romberg (AL).

In ganz Berlin wurden 1991 fast 16.800 Fälle von Mieterbeschwerden von den Bezirksämtern abgeschlossen, berichtet der zuständige Mitarbeiter der Senatsbauverwaltung, Borowsky. Das geschah teils durch gütliche Einigung, teils dadurch, daß Ämter Zwangsmittel gegen die Hauseigentümer eingesetzt hätten. 12.700 Fälle sind noch offen, so Borowsky. Spitzenreiter in der Mängelliste ist Prenzlauer Berg, aber auch Mitte, Neukölln und Wedding liegen weit vorn.

Die Mehrzahl der Fälle liegt — unerwarteterweise — im Westteil der Stadt. Im Osten müsse man, so Borowksy, nach dem Einigungsvertrag noch bis zum 31.12.1992 berücksichtigen, ob der Zwang zur Instandsetzung für den Eigentümer wirtschaftlich zumutbar sei, bevor man gegen ihn vorgehe. Die Differenzierung zwischen Ost und West liege aber auch daran, daß in den Ost- Bezirken die Personalausstattung und der Ausbildungsstand nicht so hoch seien wie im Westen.

Aber auch im Westen sind die Stadträte mit ihrem Personalstand unzufrieden. Sechs Schreibtischstellen habe sie, sagt Romberg, dazu kommen zwölf Leute für den Außendienst — nicht sehr viel für 90.000 Kreuzberger Wohnungen, zumal die noch andere Aufgaben haben. Der von der rot-grünen Koalition beschlossene »Wohnungs-TÜV«, wo die Bau- und Wohnungsaufsicht von selbst regelmäßig die Häuser begehen soll, sei so nicht machbar. »Dabei wäre das wichtig, denn bei zunehmender Wohnungsnot trauen sich die Mieter immer seltener, Mängel zu reklamieren«, sagt Romberg, »und was wir machen, dauert alles unheimlich lange.« So habe sie für einen einzigen Gründerzeitbau in der Friedrichstraße seit Jahren eine zehnseitige Mängelliste, und die Klärung jedes einzelnen Punktes erfordere einen längeren Schriftwechsel.

Und langer Streit mit reparaturunwilligen Eigentümern zermürbt die Mieter. So brauchte eine Mieterin in der Neuköllner Karl-Marx-Straße Jahre, um den Eigentümer dazu zu zwingen, das abgebrannte Dach zu decken und noch viel länger, bis er ihr Schadensersatz für all den Ärger zahlte. »Eine ältere Frau hätte das nicht durchgehalten«, meint die Mieterin. Eva Schweitzer

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