: Streit um 10-Meter-Zwergwal
■ Darf ein riesiges Wal-Bild, das im Überseemuseum vergammelt, in Künstlerhände?
Um eine im wahrsten Wortsinn große Bremensie gibt es jetzt einen angemessen großen Streit: Das Walbild des Rembrandt- Schülers Franz Wulfhagen, ein 10 Meter großes Ölmonster, das bis in die 60er Jahre im Rathaus hing, vergammelt im Magazin des Überseemuseums.
Hans Jürgen Paape, Journalist bei Radio Bremen, hat es dort vor fünf Jahren entdeckt und kämpft seitdem darum, daß das Bild restauriert und wieder aufgehängt wird.
Letztes Jahr „entdeckte“ ein zweiter das Bild: Wolfgang Hainke, Konzeptkünstler aus Schierbrok (bei Ganderkesee), fand den teppichartig zusammengerollten Schinken bei Stöberarbeiten im Magazin und hat seitdem ebenfalls Großes damit vor: Das Walbild soll Ende März Mittelpunkt einer außerordentlichen, für Bremer Verhältnisse hochkarätig besetzten Kunstaktion werden. Zwei Pläne, die sich möglicherweise ausschließen.
Anno 1669 strandete in der Lesum-Mündung ein Wal der Art Balaenoptera acutorostrata, zu deutsch Zwerg- oder Minkewal, von 10 Metern Länge. Die Stadtväter Bremens beauftragen Wulfhagen, das Tier in Lebensgröße zu malen. Das Bild erhielt einen Ehrenplatz in der Oberen Rathaushalle. Erst der wegen seiner Rolle im Dritten Reich umstrittene Kulturbeamte Eberhard Lutze ließ das Bild aus dem Rathaus entfernen. Es landete im Magazin am Breitenweg und lagert dort, so Paape, unter „desolaten Bedingungen“. Z.B. scheint die Sonne drauf. Paape, hobbymäßig begeisterter Walbild-Ikonograph, dessen Vater im Altonaer Museum eine umfangreiche Walbildsammlung verwaltete, macht jetzt Dampf, daß das Bild „gerettet“ wird. Er sammelt bereits Sponsoren, die die gigantischen Restaurierungskosten von geschätzt 130.000 Mark mit tragen. Dieses Wochenende spricht er auf einem Kongreß der Walbild-Ikonographen und Walfreunde in Haarlem (NL) zur Eröffnung einer Ausstellung „Op het strand gesmeten“. Dort kursiert eine Unterschriftenliste „Rettet das Wal-Bild“. Adressat: Bürgermeister Klaus Wedemeier.
Wolfgang Hainkes Kunst-Aktion heißt „W(H)/ALE“ — Auftauchen / Abtauchen oder: Verschwindenlassen als Prnzip. Ende März versammelt er in der ehemaligen Remmer-Brauerei am Buntentor, der neuen „Kommunalen Galerie“, Nestoren und Jünger der Fluxus-Bewegung um sich. Und um das Wal-Bild. Emmett Williams kommt, Daniel Spoerri, David Hamilton, evtl. aus Japan der „Rainbow Man“ A-yo. Ein Aufgebot, das Bremen sonst nicht zu bieten hat. Dazu wird aus Münster „La Boite-en- Valise“ (Die Schachtel im Koffer) von Marcel Duchamp ausgeliehen, ein Miniatur-Museum und frühes „Multiple“, das Kunstgeschichte gemacht hat und in Bremen noch nie zu sehen war. Eine Woche wird vor Ort in einer „offenen Arbeitssituation“ zwischen dem Wal und einem Hitec-Kommunikations-Center gearbeitet, wobei unter anderem spannend ist, ob die Alten (“whales“) noch immer die crazy people der 60er sind. 50.000 Mark hat Hainke zur Verfügung: Das einzigartige Unternehmen funktioniert nur, wenn alle Spaß an der Sache haben.
Der Spaß könnte da aufhören, wo es um das Walbild geht. Paape zur taz: „Das Bild kriegen die nicht. Kommt üüüberhaupt nicht in Frage. Das Aufrollen des Bildes geht nur zusammen mit der Konservierung, und die dauert Monate.“ Für Wolfgang Hainke ist das Bild dagegen genuiner Bestandteil des Konzeptes: „Ohne Walbild platzt die Sache.“
Inzwischen hat die Kulturbehörde den Restaurator des Neuen Museums Weserburg, Artur Ketnath, zu Rate gezogen. Er hält das Hainke-Projekt immerhin für machbar: „So wie das Bild jetzt gelagert ist, geht's nicht weiter. Es muß sowieso aufgerollt werden, um den Aufwand für eine Restauration beurteilen zu können.“ Problem: Das Bild, mit der gemalten Seite nach außen aufgerollt, muß umgedreht werden — bei den Ausmaßen ein technisches Problem. Ketnath rechnet gerade für die Behörde aus, was die Konservierung kostet. Allein das Umdrehen der Leinwand dauere wohl fünf Tage und beanspruche mehrere Profis.
Den künstlerischen Wert des Walbildes veranschlagt Ketnath nicht hoch. Doch als Bremensie sei es wichtig und „witzig“. Der „Lesumwal“ ist nämlich auch als Haufen von Knochen noch vorhanden. Das Skelett liegt Präparatoren im Überseemuseum und wartet darauf, zusammengesetzt zu werden.
Burkhard Straßmann
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