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Erstickt auf der Fahrt in die Hoffnung

Bei der Überfahrt von 250 illegalen Einwanderern aus Marokko nach Spanien fanden etwa zwanzig den Tod  ■ Aus Madrid Antje Bauer

Länger als eine Woche hatte der Ostwind gewütet und die Meeresenge von Gibraltar in einen Hexenkessel verwandelt, durch den sich an manchen Tagen nicht einmal die großen Fähren Ceuta-Algeciras wagten. „Sowie sich der Wind legt, werden hier die ersten Illegalen aus Marokko ankommen“, hatte ein Zivilgardist vergangene Woche der taz prophezeit. Am Donnerstag morgen sollte sich diese Voraussage aufs grausigste erfüllen: Am Strand von Almerimar, einem Luxusbadeort nahe der andalusischen Hafenstadt Almeria, landeten in aller Frühe knapp 300 Menschen an, in der Mehrzahl Marokkaner, die sich auf diese Weise heimlich Zutritt zur Festung Europa zu schaffen versuchten. Es ist die größte Zahl von Illegalen, die auf einmal nach Spanien einzureisen versuchten. 24 Stunden zuvor hatten sie sich von einem Strand bei Nador, einer marokkanischen Kleinstadt auf der anderen Seite der Meeresenge, eingeschifft: 250 Leute quetschten sich in ein altes Fischerboot von 12 Metern Länge, und weitere 50 in ein daran angeleintes Bötchen mit Außenbordmotor. Kurz nachdem sie in See gestochen seien, so einer der Passagiere gegenüber 'El Pais‘, seien acht Männer und eine Frau über Bord geworfen worden — sie waren in dem Gedränge erstickt. Während der Überfahrt erlitten noch mehrere Passagiere dasselbe Schicksal. Als die Emigranten sahen, daß die Guardia Civil sie bereits an der Küste erwartete, sprangen viele in Panik ins seichte Wasser, verletzten sich an den dortigen Felsen und ertranken. Zwei angeschwemmte Tote fand die Guardia Civil an diesem Morgen am Strand.

71 Männer und zwei Frauen nahm die Guardia Civil fest. 10 Kilo Haschisch fand sie im Boot. Der Rest der Emigranten konnte querfeldein flüchten. Ein Großteil der Festgenommenen wird schon heute per Schiff nach Marokko zurückgeschafft. Seit Mai vergangenen Jahres verlangt die spanische Regierung von Marokkanern ein Visum für die Einreise nach Spanien. Sie müssen ein Rückfahrtticket vorweisen und umgerechnet 100 DM pro geplantem Aufenthaltstag vorlegen können — für diejenigen, die in Europa Arbeit suchen wollen, eine unerreichbare Summe. Seither hat die Zahl derer, die versuchen, illegal einzureisen, sprunghaft zugenommen.

Espaldas mojadas, nasse Schultern, werden in Spanien die zahlreichen Emigranten aus Marokko oder Schwarzafrika genannt, die in Nußschalen die Meeresenge überqueren, um vor Hunger und Bürgerkrieg im eigenen Land zu flüchten. Meist sind sie nicht älter als dreißig und tragen nicht viel mehr als ein Bündel trockener Wäsche zum wechseln mit sich, wenn sie in der Nähe eines spanischen Strandes zum Verlassen des Bootes aufgefordert werden. Sie unternehmen die Reise in nicht allzu hellen Nächten, in denen das Meer ruhig scheint. Bislang waren es immer Fischerboote, die die Emigranten herüberbrachten. Völlig überladen, kentern immer wieder Boote in den Strudeln der Meeresenge, immer wieder werden die aufgequollenen Leichen junger Männer an die andalusischen Strände gespült. Allein im Bereich von Malaga bis Barbate wurden 1991 neun Tote angespült.

Wer die Überfahrt überlebt und nicht sofort am Strand von der Guardia Civil gefaßt wird, sucht Arbeit in den Gemüse- und Obstplantagen von Almeria, in der Landwirtschaft in Katalonien oder als Straßenverkäufer in Madrid. Viele reisen weiter nach Frankreich oder Belgien, wo sie häufig über Kontakte verfügen. Während die Boote bislang zumeist die kürzeste Strecke nahmen — 14 Kilometer von der Marokkanischen Küste bis Algeciras —, hat das Fischerboot von gestern die längere Fahrt bis Almeria unternommen — wohl wegen der starken Küstenkontrollen bei Algeciras. Für zwanzig der Emigranten wurde die Fahrt in die Hoffnung zu einer in den Tod.

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