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Arbeitslosenhilfe trotz reicher Familie

Nach jahrelangem Tauziehen wird seit Anfang des Jahres das Einkommen naher Verwandter nicht mehr angerechnet/ Arbeitsamt gibt Regelung nicht bekannt, damit nicht jeder vom Glück erfährt  ■ Von Vera Gaserow

Jahrelang wurde in den Arbeitsämtern akribisch geprüft und gerechnet: Wie hoch ist die Rente der Mutter des Arbeitslosen, wieviel verdient der erwachsene Sohn, ist da vielleicht noch ein Einfamilienhäuschen, das mit veranschlagt werden könnte? Wo immer bei den nächsten Angehörigen finanziell was zu holen war, kürzte die Bundesanstalt in Nürnberg die Arbeitslosenhilfe um einen entsprechenden Unterhaltsbetrag — für die Betroffenen selbst häufig eine entwürdigende Situation. Sie mußten ihre Angehörigen anbetteln und verklagen, oder aber — das war die gängige Praxis — stillschweigend mit einer gekürzten Arbeitslosenhilfe vorliebnehmen. Seit Anfang des Jahres wird bei den Arbeitsämtern erneut geprüft und gerechnet. Nur diesmal heißt die Richtung: zurück, marsch, marsch! Seit dem 1. Januar werden sämtliche Bewilligungsbescheide der Arbeitslosenhilfe überprüft, und für einen großen Teil der Betroffenen wird am Ende ein höherer Geldbetrag dabei rauskommen. Durch bewußte administrative Untätigkeit nämlich hat das Bonner Arbeitsministerium das jahrzehntelange Ärgernis vieler Arbeitsloser aus der Welt geschafft. Seit Jahresbeginn ist die Höhe der Arbeitslosenhilfe nicht mehr vom Einkommen wohlhabender Verwandter ersten Grades abhängig. Sie darf zumindest nicht mehr um mögliche Unterhaltsbeträge gekürzt werden, die nur auf dem Papier stehen und in der Praxis gar nicht gezahlt werden. Einen entsprechenden Passus im Arbeitsförderungsgesetz, der bisher Rechtsgrundlage für die Kürzung der Arbeitslosenhilfe war, hat das Blüm- Ministerium zum Jahresende einfach ersatzlos auslaufen lassen.

Hintergrund dieser ungewöhnlichen Maßnahme ist nicht plötzliche Spendierfreudigkeit der Bonner Gesetzesmacher, sondern eine juristische Zwickmühle. Seit Jahren nämlich geht der Grundsatzstreit, ob die Arbeitsämter überhaupt berechtigt sind, die meist fiktiven Unterhaltszahlungen der nächsten Anverwandten auf die Arbeitslosenhilfe anzurechnen. 1987 hatte das Bundessozialgericht diese jahrzehntelange Kürzungspraxis der Arbeitsämter in einem Großteil der Fälle für rechtswidrig erklärt. Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch, so der Tenor der obersten Sozialrichter, hätten die Arbeitslosen gar keinen Unterhaltsanspruch gegenüber ihren Eltern oder erwachsenen Kinder gehabt. Unterhalt einklagen kann nämlich nur jemand, der zuvor alles versucht hat, für seinen eigenen Lebensunterhalt selbst zu sorgen, und dafür auch bereit ist, jedwede Arbeit anzunehmen. Dazu sind Arbeitslose jedoch gar nicht verpflichtet. Für sie gilt, daß sie nur Arbeiten annehmen müssen, die ihrer beruflichen Qualifikation und ihrem persönlichen Stand zumutbar sind.

Um aus dieser juristischen Zwickmühle herauszukommen, versuchte das Bundesarbeitsministerium mit Verordnungen und neuen Paragraphen die alte Regelung zu retten. Denn anders als das Arbeitslosengeld wird die Arbeitslosenhilfe direkt aus dem Bonner Staatshaushalt bezahlt. Würde man diese Leistungen nun ungekürzt auszahlen, müßte man rund 400 Millionen Mark Mehrkosten jedes Jahr an die Bundesanstalt in Nürnberg überweisen, errechneten die Experten im Blüm-Ministerium. Doch die Nachbesserungsversuche aus Bonn wurden von den meisten Gerichten als juristisch unhaltbar „kassiert“. Zuletzt erklärte das Bundessozialgericht im Oktober vergangenen Jahres den eigens zur „Rettung“ des Status quo geschaffenen Absatz 1a des Paragraphen 137 Arbeitsförderungsgesetz für rechtswidrig. Daraufhin gab man im Arbeitsministerium nach jahrelangem Tauziehen offenbar endgültig auf und ließ den zeitlich befristeten Passus klammheimlich zum Jahresende auslaufen.

Nun werden von Amts wegen über das zentrale Rechenzentrum in Nürnberg die entsprechenden Bewilligungsbescheide der Arbeitslosen überprüft. Bis Ende März soll die ganze Aktion abgeschlossen sein. Wo tatsächlich kein Unterhalt gezahlt wird, darf auch nicht mehr gekürzt werden, heißt die Marschroute, die die Bundesanstalt per Runderlaß an alle Arbeitsämter ausgegeben hat. Obwohl der Erlaß schon von Anfang Dezember datiert, ahnen die meisten Betroffenen nichts davon, daß sie vielleicht schon bald mehr Geld sehen werden. Fragt man bei den Arbeitsämtern nach, warum die Neuregelung nicht öffentlich gemacht wird, erhält man die Antwort: Nein, verheimlicht habe man die neue Rechtslage nicht — man habe sie nur nicht bekannt gemacht. Die amtliche Geheimniskrämerei hat immerhin einen ganz handfesten Effekt: Sie spart lästigen Verwaltungsaufwand und vor allem: Geld. Denn all diejenigen, die bisher keinen Antrag auf Arbeitslosenhilfe gestellt haben, weil sie mit Blick auf das Einkommen ihrer Eltern oder erwachsenen Kinder ohnehin glaubten dabei leer auszugehen, bleiben ohne die Information auch jetzt den Arbeitsämtern fern. Und diejenigen, die bisher nur gekürzte Hilfsleistungen ausbezahlt bekamen, kriegen nun Merkblätter und Fragebögen zugeschickt. Die aber sind so bürokratisch verklausuliert, daß juristische Laien sie kaum verstehen und das Kreuzchen dann — zum eigenen Schaden — an der falschen Stelle machen.

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