Wendehals mit Gestaltungswillen

■ Thomas Thimme, einst linksalternativer Streiter für das »gemeinnützige« Radio, ist jetzt Chef der Popmusik-Abspulstation »Energy 103,4«, hinter der der französische Medienkonzern »NRJ« steht

Man soll aus Kleidern keine Leute machen. Doch in diesem Fall muß es erlaubt sein. Denn Lederkrawatte und Strickweste sind nun mal die perfekte Uniform für den Marsch durch die Institutionen. Und Thomas Thimme, 37, der Geschäftsführer und Quasi-Chefredakteur von »Radio Energy«, trägt beides — manchmal auch zusammen.

Thimme, der einstige SFB-Mitarbeiter, linksalternative Fürsprecher des »gemeinnützigen« Hörfunks und »Radio 100«-Manager, ist angekommen. »Ich bin ja immer ein Gestaltungsmensch gewesen«, kommentiert er im Kohl-Deutsch seinen Aufstieg zum Leiter des jetzt fünf Monate alten Senders. »Ich bin immer als Realo bekanntgewesen, der darauf guckt, was am Ende dabei herauskommt.« Man müsse eben »sehen, was ist gestaltbar und was überlebt«. Diese seine Entwicklung empfinde er keineswegs als ungewöhnlich. Die »Relevanz« gemeinnütziger Radios sei eben immer weiter zurückgegangen, Konzepte wie das von Radio 100 seien »nach dem Mauerfall nicht mehr umsetzbar«. Er suche sich eben die Punkte aus, wo er tatsächlich noch »gestalten« könne und nicht nur Papiere für den Mülleimer produziere. Energy sei ja immer noch »eins der anspruchsvollsten Privatradios«.

Früher, Mitte der 80er, hatte Thimme als Medienreferent in Bonn eine Menge Papiere für die Grünen fabriziert und vehement Konzepte für »gemeinnützige Radios« vertreten. »Kommerzielle Programmanbieter« lehnte er damals, als er auch das Privatfunk-kritische Blatt 'Chips und Kabel‘ mit herausgab, noch ab. Statt dessen beklagte er die weiche Haltung der SPD, als der private Rundfunk eingeführt wurde. Auch gegen alternative »bunte Vorzeigehupfer für die Medienkonzerne« hatte Thimme damals was, sogar von »Kommerz-Alptraum« war in 'Chips und Kabel‘ die Rede. Aber daß bei den Grünen realpolitische »Gestaltungsvorschläge« nicht genügend genutzt würden, beklagte Thimme schon damals.

Heute, bei »Energy« in Lohn und Brot und mit dem französischen Medienkonzern »Nouvelle Radio Jeunesse« (100 Privatradio-Stationen) im Rücken, hat Thimme seine Vergangenheit bewältigt: »Ich habe immer schon die Werbefinanzierung begrüßt, weil ich weiß, wie abhängig man ist, wenn man Zuschüsse bekommt von irgendwoher.« »Ich bin immer fürs werbefinanzierte Radio gewesen — aber mit Anspruch.« Immer schon sei er der Meinung gewesen, daß ein Radio keine »Bürgerinitiative« sein solle. Die Wirklichkeit nehme die Theorie nicht an.

Wie schön also, daß »Radio Energy«, das nach des von Thimme im letzten Frühjahr angemeldeten Konkurses statt Radio 100 auf 103,4 sendet, mit Theorie (oder noch schlimmer: Ideologie) rein gar nichts mehr zu tun hat. Ganz bestimmt auch nichts mit Minderheiten. Es sei denn, sie eignen sich als Alibi, wie die vier Stunden fremdsprachiges Programm am Freitag. Energy definiert sich über die »Musikfarbe«, und deshalb gehören lange »Wortstrecken« nicht ins »Tagesprogramm«. Denn »quatschen«, so Thimme, »quatschen kann man nachts.« Und der Reporter vom Dienst des Radios kommt vom Dumpfsender »Hundert,6«, ein anderer ist von der Privatwelle »Antenne Bayern« hierher gewechselt (wobei nicht verschwiegen werden soll, daß auch Mitarbeiter von DT64 in die Potsdamer Straße gekommen sind). Die neuen Moderatoren, so wird kolportiert, pflegten die Lektüre von 'B.Z.‘ und 'Bild‘, um daraus ihre Sprüche abzustoppeln. Ein paar der anspruchsvolleren Jungdynamiker allerdings würden auch den 'Tagesspiegel‘ lesen. Von den alten »Radio 100«-Leuten ist nach dem in der Szene umstrittenen Konkurs, in dem die meisten der nichtgezahlten Honorare »untergingen«, gerade noch eine Handvoll bei »Energy« dabei.

Der letzte Hauch von Wort (zwölf oder weniger Minuten pro Stunde), zu dem Energy verpflichtet ist, damit es die Frequenz nicht verliert, wird gefüllt »mit einem Thema des Tages, das wir setzen und da dranbleiben«. Stolz ist Thimme nun darauf, daß zusätzlich thematische Serien produziert werden, die »sich über eine ganze Woche hinziehen«. Wortprogramm in homöopathischen Dosen? RedakteurInnen, die sich dem zunehmenden Boulevard widersetzten, wurden unlängst gefeuert. Schwulen- und Lesbenprogramme, wie angekündigt, hat es nie gegeben.

»Der Ein- und Ausschaltimpuls läuft über die Musik. Das ist ein Gesetz, das jetzt ganz brutal greift in Berlin.« So beschreibt Thimme die harte Marktkonkurrenz, der er das Wort nicht ganz opfern will. Doch klingt das nicht eher so, als ob er den HörerInnen nur noch Pawlowsche Reflexe zutraut und dem Äther-Darwinismus huldigt? Natürlich sei das, was »Energy« so mache, besser als »RTL-Radio«, meint Thimme: »Die kaufen die Hörer, erst mit dem Moneyman, dann mit dem 1-Million- Gewinn.« Weil es denen nur ums »Abgreifen« gehe, hätten die auch so viele »Kurzzeithörer« und bekämen keine Hörerbindung zustande. »Wir machen die Hörerbindung über das Produkt, nicht wie RTL den Einschaltimpuls über das Geld.«

Auch wenn Thimme stolz auf das Produkt ist: die fremdsprachigen Programme, die Lizenz-Feigenblätter, die möchte er schon ganz gern loswerden, denn sie kosten ja gute Werbezeit. Aber da die Programme noch keine Ersatzfrequenz haben, muß der »Energy-Chef« noch warten. Folglich machte er den Vorschlag: eindeutschen. Und nun werden die Fremdsprachler einmal im Monat eine Stunde auch deutschsprachiges Programm machen. »Wir sind an Synergie-Effekten interessiert. Warum sollen wir die Kompetenz nicht nutzen wenn wir sie im Hause haben?« Hans-Hermann Kotte