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Der »Seehund« gibt den Ball nicht her

■ Blau-Weiß Spandaus Handballer verloren ihr zweites Heimspiel gegen TuSEM Essen knapp mit 20:22/ Nach langem Warten durften 3.500 Fans endlich Schwimmtiere, Riesenbabys und den schönsten Handballer der Republik bestaunen

Charlottenburg. Sein liebstes Spielzeug ist der Ball. Ihn will er immer haben und ihm seinen Willen aufzwingen. Deswegen nennen ihn seine Mitspieler den »Seehund«. Klingt ganz nett und ein wenig tolpatschig für einen, der aus Cuxhaven kommt, aber das ist er überhaupt nicht. Seine Liebe zum Ball hat ihn zum besten Torewerfer der Bundesliga und gefährlichsten Angreifer seines Vereines gemacht. Der »Seehund« heißt eigentlich Jochen Fraatz, seine Mannschaft nennt sich Turn- und Sportverein Essen-Margaretenhöhe und ist so nebenbei die erfolgreichste Bundesligamannschaft der letzten Jahre.

Nur Pech für die Handballer von Blau-Weiß Spandau, daß sie am Wochenende gegen diese Essener spielen mußten. Schließlich kann jemand wie Jochen Fraatz ein Spiel ganz alleine entscheiden, mit Toren, die er aus den unmöglichsten Situationen wirft. Und hat zu allem Überfluß auch noch Mitspieler, die zu ähnlichen Leistungen fähig sind. Wie zum Beispiel den fabelhaften Nationalmannschaftstorwärter Stefan Hecker oder den berühmten russischen Auswahlspieler Alexander Tutschkin.

Wahrlich ein Grund für die Spandauer, einem solchen Kontrahenten mit großer Ehrfurcht gegenüberzutreten, was sie mehr als eine Stunde lang aber gar nicht brauchten. So lange wurde nämlich gar nicht gespielt, weil die Schiedsrichter wegen Nebels von Frankfurt aus nicht nach Berlin fliegen konnten. Das als Ersatz aus Rostock herbeigerufene Gespann beeilte sich immerhin so, daß die Begegnung mit nur 75 Minuten Verspätung begann. Die 3.500 Fans in der Korber-Halle, von denen die meisten schon eine Stunde vor dem offiziellen Spielbeginn erschienen waren, hatten aber keinen Anlaß, sich zu langweilen. Entweder wurden hartnäckig die gefürchteten »La Ola«-Wellen zelebriert oder die diversen Bier-, Kaffee-, Käse- oder Eisstände vor den Eingängen so massiv frequentiert, daß schon zur Halbzeit sämtliche Vorräte an Bier erschöpft waren.

Die handballerischen der Spandauer scheinbar ebenfalls. Zu deutlich war schon zur Pause die Überlegenheit des Pokalsiegers aus dem alten Essener Vorzeige-Arbeiterviertel, bei denen neben oben Genannten auch noch die Nationalspieler Peter Quarti und Jürgen Querengässer die Spandauer trotz geschickter Gegenwehr durcheinanderwirbeln durften. Mit den gleichen Mitteln, durch deren Hilfe auch schon der VfL Fredenbeck in Berlin gewinnen konnte, mit sicheren Würfen aus der zweiten Reihe.

Daß Blau-Weiß Spandau Spieler bitter nötig hat, die solche Würfe beherrschen, zeigte sich gegen den TuSEM besonders deutlich. Im eigenen Angriffsspiel zeigten sie große Hilflosigkeit gegenüber der von Thomas Happe (nach Expertinnenmeinung der schönste Handballer Deutschlands) sehr offensiv dirigierten Essener Abwehrreihe. In der ersten Viertelstunde warfen sie nur zwei Tore, die mit Abstand größte Fehlquote brachte dabei Andreas Nagora zustande, der so verschnarcht warf, daß Torhüter Hecker meist schon in der richtigen Ecke stand, lange bevor der Ball ankam. Erst in der zweiten Halbzeit besann sich Riesenbaby Nagora auf seine Spezialität, das Siebenmeterschinden aus Tolpatschigkeit.

Doch auch die daraus resultierenden zehn Strafwürfe nutzten den Spandauern nichts. Je einen verwarfen Schewzow und Kretzschmar, und selbst wenn sie getroffen hätten, einer hätte sich garantiert sofort den Ball geschnappt und das Siegtor für Essen erzielt; der »Seehund« natürlich. Diesmal begnügte er sich mit neun Treffern, die er allerdings erst erzielen konnte, nachdem er von der Außenposition in den Rückraum versetzt wurde. Von dort konnte er mit seinen so fies verdeckten Hüftwürfen Spandaus Carsten Hein so verunsichern, daß er ihm am Ende des Spieles von Linksaußen sogar nach klaren Fouls der Ball ins Tor kullerte, wie, weiß wohl keiner so genau.

Und dennoch konnten es die Spandauer noch spannend machen. Zusehends müder und unkonzentrierter kamen sie allein durch ihren trotzigen Willen, unbedingt gewinnen zu wollen, noch bis auf ein Tor heran, scheiterten aber in den entscheidenden Momenten am spitzbübischen Hecker und eben an den unglaublichen Tricks des »Seehundes«, der erstaunlicherweise sofort nach Spielschluß den Schiedsrichtern freiwillig den Ball überreichte und von seinem Trainer zum Dank keinen Fisch zugeworfen bekam. Schmiernik

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