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Elfriede Jelinek:

■ Ein „Brief an Rushdie“

Lieber

Salman Rushdie!

Was sagt man einem, der bleiben muß, wo er ist, der nicht mehr über sich verfügen kann? Der schreibt, also etwas denkt, das bleiben soll. Etwas, das über ihn hinausgeht. Aber er selbst muß an seinem geheimen Ort verharren. Dem, der das Bleibende schafft, dem sollte auch gestattet sein, sich im Eigenen auszuruhen. Das ist Ihnen nicht gegönnt. Man reißt Sie heraus und zwingt Sie, immer wo anders zu sein, und wahrscheinlich nie an den Orten, wo Sie am liebsten bleiben möchten.

Das ist eine Tragödie, in die sich hineinzuversetzen schwerfällt. Sie bekennen sich zum Islam, der Frauen, wie ich eine bin, das Verhüllen vorschreibt. Der ihnen verbietet, da zu sein, gesehen zu werden. Doch die Frauen, die sich zum Islam gehörig fühlen, sagen, sie müßten zwar unsichtbar sein, würden aber doch ihrerseits alles sehen können. Das gibt ihnen Macht: Sehen können, ohne selbst gesehen zu werden. Es gibt sie zwar, aber auch wieder nicht, doch sie haben das Recht des ungesehenen Blickes. Ich weiß nicht, wie weit Ihr Recht zu schauen, zu sehen eingeschränkt ist. Ihr Recht zu bleiben ist es gewiß. Was bleibt dabei uns? Wir, Ihre Kolleginnen und Kollegen, die nicht bedroht sind, wir müssen für Ihre Heimkunft kämpfen, die beim Dichter immer ein Nachhausekommen ins Eigene bedeutet. Aber dieses Nachhausekommen kann Ihnen jetzt schon keiner streitig machen, denn in diesem Eigensten können Sie ja bleiben: es ist ihr Denken und Schreiben. Es ist das einzige, das ihnen bleibt. Trotzdem, vielleicht reicht das nicht. Gewiß brauchen Sie auch eine Heimkunft, die ein wieder Hinausgehen ist, die sich auch ins Unheimlichste denken kann, sich ins Unheimlichste begeben können muß? In das Auge des Orkans. In die brüllenden Münder. In die blutüberronnenen Denkmäler.

Was sage ich einem, der zu diesem verborgenen Leben gezwungen ist und sich dennoch zu der Religion bekennt, in deren Namen er zu dieser Verborgenheit, noch dazu ständig unter der Drohung des Todes, gezwungen ist? Und selbstverständlich ist es Ihr gutes Recht, so zu denken. Welche koloniale Hochmut dürfte es Ihnen verwehren? Und welcher Hochmut dürfte Ihnen verwehren, das, was Ihnen offenkundig heilig ist, dennoch mit Spott zu übergießen? (Denn daß Sie Blasphemie betreiben, haben Sie ja immer geleugnet.) Der britisch-pakistanische Autor und Filmemacher Hanif Kureishi sagt: „Ich fände es ungehörig und herablassend, wollte ich meinen asiatischen Figuren an Satire, Spott und Parodie ersparen, was ich meinen weißen Charakteren zumute.“ Es ist der Blick des Hochmuts, des Patronisierens, der den Protagonisten der Dichtung, nur weil sie aus einer anderen als der westlichen Kultur stammen, den scharfen Blick der Ironie, der, ja, warum nicht, auch: Lächerlichkeit zu ersparen trachtet. Dieses Ersparen wäre ein Verweigern. Es würde jenen etwas verweigert, mit dem Blick des Herrn, denen auch sonst in unserer ersten Welt des weißen Mannes alles verweigert wird.

Trotzdem: Ich weiß nicht, was ich einem wie Ihnen sagen soll. Daß wir alle zusammengehören, die, im Schreiben, nur in sich selbst zuhause sind? Das wäre Anmaßung, denn ich kann jederzeit gehen, wohin ich will. Daß wir nur heimisch werden können, indem wir uns durch das Unheimischsein, eigentlich das Unheimliche, durchkämpfen mit den stumpfen Messern unserer Sprache, um uns das, worüber wir schreiben, anzueignen? Um dann dort endlich und endgültig bleiben zu dürfen? Und selbst das wird dann keine sehr sichere Behausung sein, fürchte ich, denn, kaum angekommen, würden wir schon wieder fortwollen.

Wird Ihnen Geschichte verweigert, die ja bedeutet, in den Prozeß des irgendwo Heimischwerdens eingegliedert zu sein, um von diesem Heim aus wieder aufbrechen zu können? Wird Ihnen der absolute Stillstand aufgezwungen?

Nein. Der Gang in die Geschichte geht geradewegs auf Sie zu und dann aus Ihnen wieder heraus. Und Sie sind eigentlich der Schnellste, denn Sie wissen, daß Sie die Wahrheit, deren redegewaltige Pächter sie ständig (diesen verschmierten Fetzen!) untereinander aufteilen, ohne daß sie je weniger wird, daß Sie also die Wahrheit nie erfahren, nie bekommen werden. Diese Wahrheit, die mit den Tausenden von gereckten Fäusten in der Schar der brüllenden Fanatiker wie blutiges Fleisch aus den empfindlichen Läufen der Geschichte herausgerissen wird. Und doch läuft die Geschichte immer weiter. Sie, lieber Salman Rushdie, Sie laufen auch. Nur die paar Freunde sind neben Ihnen, der Weg wird breiter, und irgendwann einmal sind Sie da.

Herzlich,

Ihre Elfriede Jelinek

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