Wg. A 281 oder: Wohnen auf Abruf

■ Diffuser Autobahnpläne halber verkommt die einzigartige „Hüttenstraße“: Eine Reformsiedlung inmitten von Schwerindustrie

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In Bremens Westen, im Niemandsland zwischen Oslebshausen und Grambke, liegt ein Stück Duisburg.

Die Menschen, die in den Häusern an der Hüttenstraße wohnen, gucken aus ihren Fenstern auf verrottende Erdöltanks, während hinter den Gärten Klöckners Schlote rauchen. Die Menschen der Hüttenstraße wohnen inmitten der Industrie.

Dennoch wohnen sie hier offenbar gerne. Mit Liebe haben sie ihre Häuser individuell modernisiert, so daß inzwischen kein Haus mehr ganz im Originalzustand erhalten ist. Das ärgert den Architekturhistoriker; anderseits ist es ein Beweis, daß sich die Bewohner in ihrer Umgebung eingerichtet haben.

Doch der Bestand der Siedlung ist bedroht. In ferner Zukunft soll die A 281, deren erstes Teilstück in Oslebshausen bereits gebaut wird, über das Gelände der Siedlung geführt werden. Die A 281 soll dann das Tangentenrechteck rund um Bremen vollenden - eine bereits Ende der 20er Jahre angedachte Verkehrsplanung.

Die Stadt hat inzwischen einen großen Teil der Häuser erworben, um einen möglichen Abriß ohne aufwendige Enteignungsverfahren in die Wege leiten zu können. Noch besteht kein Zeitplan; es ist jedoch unwahrscheinlich, daß in diesem Jahrhundert mit dem Bau der Autobahn begonnen wird.

Dennoch hat die vage Autobahnplanung wesentliche Folgen für das Leben in der Siedlung. Die Menschen wohnen hier auf Abruf, in die Häuser wird nicht mehr investiert. Trotz aller Liebe - die Siedlung beginnt zu verkommen. Dabei ist sie für Bremen ganz einzigartig.

Hugo Wagner, damals bekanntester Bremer Reformarchitekt,

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hat die Siedlung 1910 errichtet. Ein Jahr zuvor, 1909, hatte er das Fabrikdorf Port Sunlight bei Li- verpool besucht - übrigens zusammen mit Heinrich Vogeler. Port Sunlight wurde Vorbild der Siedlung an der Hüttenstraße.

Noch unter den Eindrücken der England-Reise gründete Wagner

Kaum mehr jemand investiert in die Häuser. Im Hintergrund die Schlote von Klöckner.Foto: Tristan Vankann

1910 den „Verein für Arbeiter- wohnungen“, einen Verein, in den vor allem die Norddeutsche Hütte (Vorgänger der Klöckner- Hütte) Kapital einbrachte.

Wagner, durch die 1907 fertiggestellte Kaffeefabrik im Holzhafen bekannt geworden, realisierte mit den Wohnbauten an der Hüttenstraße sein Reformideal: Die 122 Reihen- und Doppelhäuser sollten den Arbeitern einen Ausgleich zur täglichen mühevollen

hierhin bitte das Foto

von der Hauswand mit Rissen

(die einspaltigen

Miniformate des Motivs

bitte in die drei

Lücken kleben!)

Arbeit am Hochofen bieten, ihnenein geradezu ländlich erscheinendes Heim versprechen. Der eigene Garten konnte zudem zur Versorgung beitragen.

Jeder Bau scheint ein wenig vom Nachbarbau abzuweichen. Ein aufgelockertes Straßenbild entsteht, Monotonie wird vermieden. Dabei sind die Häuser denkbar schlicht. Der Rauhputz wurde grau belassen, Ornamente sind nicht zu entdecken. Allerdings

bleiben überall die Elemente der Landhausarchitektur sichtbar. Erker, Gauben und hohe Giebel sollten ein zufriedenes Wohnen der Arbeiter garantieren, die Häuser sollten Basis einer Arbeiteridylle werden.

Nicht allein Hugo Wagner baute damals derartige Siedlungen. Im Ruhrgebiet, aber auch rund um Berlin entstanden die bekanntesten. In Bremen jedoch findet sich keine zweite vergleichbare Siedlung, die vor dem Ersten Weltkrieg entstanden ist. Hugo Wagners Häuser an der Hüttenstraße gehören deshalb zu den wichtigen Denkmälern, die Bremens Industrialisierung belegen.

Eine Notwendigkeit, die Häuser abzureißen, besteht keinesfalls. Die projektierte Autobahn könnte auch über brachliegendes Klöckner-Gelände geführt werden. Dann allerdings hätten die Bewohner der Hüttenstraße eine Nachbarschaft, die noch weniger attraktiv, die noch stärker mit Schadstoffen belastet wäre.

Schon jetzt läßt sich deswegen absehen, mit welchem Argument Politiker und Planer einst den Abriß der Siedlung begründen werden. Wenn hinter den Gärten nicht nur Schwerindustrie, sondern auch noch eine Autobahn liegt, werden sie sagen, dann ist das Leben in der Siedlung derart unwirtlich, daß ein Abriß die humane Lösung wäre. Die gegenteilige Argumentation wäre vernünftig: Die bestehende Siedlung sollte der Sachzwang sein, der eine Autobahn verhindert.

Es handelt sich heute um ein Abwägen von Werten. Hat eine kleine Siedlung, in der mehr als zweihundert Menschen zufrieden und preiswert leben können, und die darüberhinaus ein architektonisches Denkmal ersten Ranges ist, nicht einen höheren Wert als eine Autobahn, die den Autofahrern und Spediteuren eine Zeitersparnis von vielleicht 15 Minuten verspricht? Die Menschen der Hüttenstraße können hoffen; das Ergebnis des Abwägens der Werte Wohnen und Verkehr ist offener denn je. Nils Aschenbeck

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