: „Ich kann doch nicht den Job der anderen machen“
■ taz-Gespräch am Runden Tisch: Anwohner, Innensenator und Junkie-Betreuerin über die Polizeimaßnahmen im Viertel
Frau Noltenius, wie haben Sie die Situation im Viertel bislang wahrgenommen?
Helga Noltenius: Ich bin Bewohnerin der Humboldtstraße seit 57 Jahren und habe die ganze Entwicklung von einem sehr ruhigen bürgerlichen Viertel bis zu dem jetzigen Zustand miterlebt. Und ich muß sagen, daß ich mich durch die Situation unglaublich bedroht und in der Bewegungsfreiheit eingeschränkt gefühlt habe. Wenn ich in der Zeitung lese, daß kräftige junge Männer abends gegen 22.00 Uhr am Ostertorsteinweg überfallen werden, dann habe ich schon ein unheimliches Gefühl, wenn ich mit meiner Schwester ins Theater gehe. Daß jetzt überhaupt etwas in Bewegung kommt, ist für mich eine echte Erleichterung.
Bodo Bilinski: Ich wohne in der Bauernstraße. Als vor acht, neun Jahren die DROBS geöffnet hatte, da habe ich das wohlwollend zur Kenntnis genommen, weil versucht wurde, dem Elend beizukommen. Bis vor zwei Jahren: Da schlug das Ganze um. Bei meiner Frau war das so, daß sie auf einmal aggressive Ausbrüche bekam gegen Drogenabhängige, obwohl sie eine ganz tolerante Frau ist. Die Kinder wollten weg.
Vor einem Jahr wollte die Drogenberatungsstelle das Nachbarhaus aufkaufen. Das erfuhren wir über die Presse, und da war für mich der Ofen aus. Weil wir uns immer tolerant verhalten hatten, hieß es, wir goutieren das Ganze. Wir haben mit Gewaltkriminalität im unmittelbaren Umfeld zu tun. Einbrüche häufen sich. Es war uns klar, es muß Repression her, obwohl wir eigentlich Leute sind, die mit der Repression überhaupt nichts am Hut haben. Und in diesem Zusammenhang stelle ich fest: Daß da was passiert, begrüße ich.
Birgit Stiem: Ich bin beim Arbeitskreis Kommunale Drogenpolitik in der Weberstraße als Arzthelferin für ambulante Wundversorgung zuständig. Unsere Arbeit ist durch die Polizeieinsätze fast zum Erliegen gekommen. Die Einnahmen aus den Spritzenautomaten sind in der letzten Woche um 42 Prozent zurückgegangen. Wir hatten kaum noch Zulauf im Laden. Da ist ein Rückgang von 60-70 Prozent. Die Leute können uns nicht mehr aufsuchen. Sie werden auf dem Weg von der Straßenbahn bis zu uns abgegriffen. Die Verhaftungsaktionen treffen diejenigen, die keine Alternative haben, ihren Aufenthaltsort zu verlegen, weil sie tagsüber auf der Straße stehen, weil sie in der Zeit nicht in den Container oder auf das Schiff kommen.
Herr van Nispen, was soll das Vorpreschen der Polizei, kurz nach Ihrem Amtsantritt?
Innensenator Friedrich van Nispen: Im Drogenhilfeplan wird gesagt: Wir brauchen gesundheitliche und soziale Hilfen und wir brauchen auch Repression. Es wäre naiv anzunehmen, daß man das eine ohne das andere machen könnte. Und hinter diesem Grundkonzept stehe ich. Aber die Zustände im Viertel sind dramatisch geworden. Deshalb habe ich gleich nach meinem Amtsantritt die Mitarbeiter beauftragt, darüber nachzudenken, welchen Teil wir liefern können. Dann gab es am 17. Januar das Chefgespräch. Und da habe ich die Kolleginnen und Kollegen aufgefordert, auch ihren Teil abzuliefern. Das heißt: Auf der Basis des Drogehilfeplans soll jeder für sich arbeitsteilig in die Gänge kommen. Und ich habe gesagt was ich machen werde. Und ich gehöre zu denen, die tun, was sie ankündigen.
Ich habe das Ziel, das Viertel für die dortigen Bewohner wieder lebenswert zu machen. Ich habe festgestellt, daß es dort Verslumungstendenzen gibt. Ich möchte, daß die Menschen sich dort so bewegen können, wie man das in einem geordneten Kommunalwesen verlangen kann. Ich möchte weiterhin erreichen, daß der Drogentourismus nach Bremen eingedämmt wird. Es ist auch ein Problem von Quantität. Man kann eine bestimmte soziale Dramatik in der Nachbarschaft ertragen. In dem Moment, wo die Quantitäten zu groß werden, schlägt das um. Ich bin nicht so naiv, zu sagen, daß ich das Drogenproblem aus der Welt schaffe. Aber mein Job als Bremer Innensenator ist, mindestens für Bremen zu einer gewissen Eindämmung zu kommen. Und dabei kann es nicht ausgeschlossen werden, daß man auch den „kleinen“ Süchtigen trifft, wenn man repressiv vorgeht.
Frau Stiem, ist das Verhältnis von Repression und Hilfe für Sie noch ausgewogen?
Stiem: Wir haben das Zuviel an der Sielwallecke als Drogenarbeiter auch schon vor zwei Jahren an die große Glocke gehängt und haben im letzten Winter den Laden geschlossen und haben diesen Winter gesagt: Wir machen nur noch nach Vereinbarung. Wir haben im Grund auch kapituliert.
Da müßten Sie doch eigentlich für die Hilfe des Innensenators dankbar sein.
Ich denke, wenn Sozialpolitik jetzt durch den Gummiknüppel ersetzt wird, durch Repression, daß das kein Weg aus dem Dilemma ist. Ich halte dies auch nicht für eine Möglichkeit, die Kriminalität einzudämmen. Wir erleben jetzt, daß den Junkies ihr kleines Päckchen, für das sie klauen waren, abgenommen wird. Was passiert? Sie gehen wieder los. Sie verschwinden da vorne nur scheinbar. Die sind in
von links: Helga Noltenius, Bodo Bilinski, Holger Bruns-Kösters, Friedrich van Nispen, Birgit StiemFoto: Jörg Oberheide
den Nebenstraßen, die ziehen nach Peterswerder runter, die laufen an der Weser lang. Durch diese Maßnahmen kann ich mir nicht vorstellen, daß jemandem geholfen wird.
Das was jetzt passiert, das wäre mit anderen Menschen nicht möglich, ohne das jemand muckt. Da werden Leute fünf Mal am Tag durchsucht. Man findet nichts. Und beim nächsten Mal gehen die Polizisten dann noch härter vor. Es geht soweit, daß wir uns als Zeugen daneben gestellt haben. Und da werden sogar Mitarbeiter bedroht, wenn die fragen, warum gebrauchte Spitzen beschlagnahmt werden. Die können die Leute tauschen und bekommen dafür neue. Das ist unsre Aufgabe. Und dafür müssen sich Mitarbeiter Viertelverbot androhen lassen. Das was jetzt passiert hat mit rechtsstaatlichen Mitteln nichts mehr zu tun.
van Nispen: Ich kann mich mit meinen Mitarbeitern nur über das Prinzip und über Konzepte verständigen. Dafür trage ich die politische Verantwortung. Ich kann nicht jede einzelne Umsetzungsmaßnahme vor Ort begleiten. Der Polizeipräsident ist dafür verantwortlich, daß seine Mitarbeiter das rechtsstaatlich einwandfrei umsetzen. Wenn Sie sagen, daß es Anlaß gäbe, zu meinen, daß das nicht in Ordnung sei, dann will ich dem gerne nachgehen. Da wird nichts unter den Teppich gekehrt.
Und was das Problem mit den Spritzen angeht: Als ich davon gehört habe, habe ich sofort den Polizeipräsidenten und eine ganze Reihe von Polizeibeamten hergeholt. Es hat hier niemand eine Order bekommen, Spritzen wegzunehmen. Die Beamten sagen mir aber, daß sie keine
Durchsuchung vornehmen können, ohne dem Junkie die Spritze wegzunehmen. Ich darf mal daran erinnern, daß zwei Polizeibeamte einen Junkie verfolgt haben und der dann mit der Spritze zugestochen hatte. Ich habe sehr viel Verständnis dafür, daß ein Polizeibeamter, der einen Verdächtigen untersucht, dem als erstes die Spritze wegnimmt.
Stiem: Am Sielwall mußten die Leute ihr ganzes Arsenal von Sachen auf ein Fensterbrett legen
Und da hat die Polizei sie aufgefordert: 'Nehmt die Spritzen und schmeißt die dort in die Müllkübel'. Dann können sie nicht mehr tauschen.
van Nispen: Da kann ich nur sagen: Schreiben Sie mir das, ich werde dem gerne nachgehen.
Bodo Bilinski: Trotz der Erleichterung, die die Polizeieinsätze gebracht haben, habe ich meine ganz großen Bedenken, ob dieses Verfahren, was jetzt läuft, geeignet ist. Wenn man nur auf die Repression vertraut und die anderen Dinge total vernachlässigt, also eine einseitige Maßnahme startet, da fürchte ich, daß das ein Schlag ins Wasser wird. Jetzt läßt man die Muskeln spielen, aber auf der anderen Seite wird die reale Situation nur verdrängt. Die Leute sind ja nach wie vor noch da, sie wurden nirgendwo aufgefangen. Eine Lösung des Problems ist das nicht.
Das Chefgespräch im Januar fand ich sehr gut. Endlich Verzahnung der einzelnen Ressorts, gebündelte Maßnahmen, die abgesprochen sind, nur das kann greifen, habe ich gedacht. Wenn jetzt aber einseitig der Polizeiknüppel geschwungen wird, dann suchen sich die Leute einen neuen Aufenthaltsort, es entsteht eine neue offene Szene. Oder sie werden wieder zurückkommen. Warum war das nicht möglich, daß Soziales endlich mal in die Pflicht genommen wird? Die müßten doch, wenn eine solche Aktion gestartet wird, Gewehr bei Fuß stehen, und den Leuten in anderen Stadtteilen niedrigschwellige Angebote unterbreiten.
Soziales hat es ungleich schwerer. Während die Polizei in der Gesellschaft für solche Maßnahmen Akzeptanz findet, stößt das Sozialresort auf massiven Widerstand. Ein Beispiel ist die Verbessrung der Gesundheitsversorgung. Wenn da bessere Bedingungen im Hauptgesundheitsamt geschaffen werden sollen, dann stehen die Anwohner da und sagen: Hier nicht. Frau Noltenius, ist das nicht ein Widerspruch, den Sie sich vorhalten lasen müssen?
Helga Noltenius: Überhaupt nicht. Es ist ja eine Frage, ob die staatliche Gesundheitsfürsorge so aufgebläht werden muß, wie es die
Gesundheitsbehörde vorhat. Acht Räume in einem kleinen Nebengebäude auf dem HGA-Gelände halte ich für schlichweg überzogen. Es steht in der Koalitionsvereinbarung: Die gesundheitliche Hilfe soll primär von niedergelassenen Ärzten ausgeführt werden. Die Krankenhäuser müssen in die Pflicht genommen werden. Ich glaube, daß in Behörden leicht eine eigene Dynamik entsteht...
van Nispen: Die Planungseuphorie.
Noltenius: Das Problem ist doch die Häufung von Hilfsangeboten im Viertel und der bisher erhebliche Mangel an Repression.
van Nispen: Herr Bilinski. Ich kann ja gut nachvollziehen, daß Sie sagen: Da marschiert jetzt einer nach vorne und die anderen kommen nicht mit. Nur: Dazu müssen Sie wissen, daß dies nicht Intention im Chefgespräch war. Aber ich bin politisch verantwortlich dafür, daß ich meinen Job richtig mache. Und der Sozialsenator und der Gesundheitssenator und der Justizsenator sind für ihre Bereiche verantwortlich. Diese Arbeitsteilung kann ich nicht auflösen. Ich versuche das in den Griff zu bekommen, indem ich den Kollegen sage: Laßt die Beamten nicht mehr alleine rummuddeln in diesen unsäglichen Arbeitskreisen, wo die seit Jahrzehnten immer rumsitzen und nichts zustande bringen. Laßt uns das politisch begleiten.
Aber was für einen Sinn machen Chefgespräche, wenn man Kataloge verabredet und Sie fangen schon mal an, während Soziales und Gesundheit irgendwo irgendwas für irgendwann planen?
van Nispen: Es ist nicht meine Aufgabe, über das Wirken von Kollegen zu urteilen. Aber sie haben ja recht: Das mag vielleicht im Sozial- oder Gesundheitsressort schwieriger sein, wo die politische Führung noch fehlt.
Bodo Bilinski: Aber wir diskutieren hier doch darüber: Bewähren sich die Polizeieinsätze als einseitige Maßnahme.
van Nispen: Das formulieren Sie so. Aus meiner Sicht ist es nicht einseitig, weil ich davon ausgehe, daß die anderen Kollegen nachziehen und mit ihren Angeboten und Maßnahmen auch in die Gänge kommen. Ich beharre darauf, daß das, was ich jetzt mache, Teil eines Gesamtkonzeptes ist.
Herr van Nispen, wieviele Jahre wollen Sie die Poizeieinsätze durchhalten.
van Nispen: Ich werde diese Politik solange verfolgen, wie sie notwendig ist. Wir werden unterschiedliche strategisch-taktische Ansätze fahren. Wir werden immer etwas anderes machen. Nur so geht es. Ich will verhindern, daß sich Bremen zu einem Drogenzentrum mit überregionaler Bedeutung entwickelt. Und das kann ich nur mit auf Dauer angelegten Konzepten.
Das ist also ihre Politik für die nächsten vier Jahre?
Das ist meine Politik für die Zeit, in der das notwendig ist. Aber ich bin nicht so naiv zu meinen, daß man nur mit polizeilichen Mitteln das Problem lösen kann. Aber mir erschien die Situation so dramatisch zu sein, daß ein weiteres Zuwarten nicht vertretbar gewesen wäre. Stellen Sie sich vor: Ich hätte noch vier Chefgespräche gemacht und den Kollegen immer vorgetragen, was ich machen will. Und dann sagen die Kollegen: Aber wir sind mit unseren Beamten noch nicht so weit. Ich hätte mich doch lächerlich gemacht.
Stiem: Aber was ist denn mit Junkies: Bei denen schreitet die Verelendung voran. Wenn sie die Hilfseinrichtungen nicht mehr wahrnehmen können. Wenn die es nicht einmal schaffen, in die Drobs zum Essen zu gehen. Wo haben Sie das denn mal zu Ende gedacht. Mehr Wohnraum zum Beispiel. Seit drei Jahren reden wir davon. Und aufgrund der Finanzplanung ist klar: Ihre Aktion wird ein Alleingang bleiben.
van Nispen: Ich bin jetzt sieben Wochen im Amt. Ich werde da mit Sicherheit nicht nachlassen. Aber ich kann doch nicht den Job für die anderen mitmachen.
Gesprächsführung:
Holger Bruns-Kösters
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