: »Hilfe zur Hilfe« läßt auf sich warten
■ Zivildienstleistende in Berlin und den neuen Ländern ohne ausreichende Einführung/ Einrichtung von Kursen erfolgt langsam/ Ostler bringen kaum Vorwissen mit, dafür aber viele engagierte Fragen
Berlin. Was vor gut 30 Jahren in der alten Bundesrepublik begann, nimmt seit dem 3. Oktober 1990 auch in West-Berlin erste, obgleich nur bescheidene Formen an: der Zivildienst.
Rund 100 Zivis haben im Laufe der letzten acht Monate hier ihren Dienst am Nächsten angetreten. Damit hat Ost-Berlin vergleichsweise die Nase vorn. »Drüben« gibt's Zivis schon seit Mai 90 und insgesamt neunmal so viele. Aber mit dem Einrichten und Besetzen von Stellen sowie dem Willen zur Hilfe für Bedürftige allein ist es nicht getan. Die jungen Männer haben ein Recht auf Einführung in ihre neue Arbeit, und an der hapert es noch — in beiden Teilen der Stadt.
Mangelnde Betreuung durch die Dienststelle
Laut Zivildienstgesetz darf und soll jeder ZDLer an zwei vierzehntägigen Kursen teilnehmen. Der erste sind die von staatlicher Seite angebotenen Stunden, die den Zivildienstleistenden gleich zu Anfang in »Rechte und Pflichten« einweihen sowie einen Erste-Hilfe-Kurs enthalten; beim zweiten handelt es sich um einen (kreativeren) »Fachlehrgang«. Hier haben die Wohlfahrtsverbände, bei denen die meisten Zivildienstleistenden arbeiten, die Aufgabe, dabei zu helfen, erste Probleme mit der sozialen Tätigkeit zu verarbeiten.
Und das ist bitter nötig. Denn viele Zivildienstleistende klagen über mangelnde Betreuung durch die Dienststelle. Sie fühlen sich im Stich gelassen bei der Verarbeitung ihrer Erfahrungen mit Krankheit und Tod. In Westdeutschland haben inzwischen etwa achtzig Prozent der Zivis Fachlehrgänge und etwa die Hälfte staatliche Kurse besucht. Sehr langsam geht es hingegen in Berlin und den neuen Ländern voran. Da müssen Zivildienstplätze bewilligt und die zukünftigen Dienststellen eingewiesen werden.
»Manche glauben, sie könnten ihrem Zivi einfach kündigen, dabei sind wir die eigentlichen Arbeitgeber«, sagt Rüdiger Lähle vom Bundesamt für Zivildienst in Köln. »Bis hier die nötigen Strukturen und das selbstverständliche Wissen um den Zivildienst entstanden sind, wird einige Zeit vergehen.« Für Ostdeutschland sind vier staatliche Lehrgangsschulen geplant. »Die erste ist dieser Tage im nordsächsischen Schleifen eröffnet worden«, erzählt der zwischen Köln und Berlin pendelnde Pressereferent. Ob Berlin einen Zuschlag als Standort erhält, steht hingegen noch nicht fest. Von den nahezu 8.000 ostdeutschen ZDLern, wurden bisher rund ein Drittel zu einem staatlichen Lehrgang »abgeordert«. Die meisten mußten nach Westdeutschland reisen. Nur 300 Zivis fanden Platz in neu eingerichteten Kursen im Osten.
Ganz schwarz sieht es bei den fachspezifischen Kursen aus. Nur 170 junge Männer konnten einen solchen genießen. Während die Wohlfahrtsverbände in Westdeutschland wichtigster Kursanbieter sind und den größten Zivi-Markt stellen, nehmen sie im Osten nur ungefähr zehn Prozent auf. Dort arbeiten die ZDLer vorrangig in Krankenhäusern. Und die führen bis jetzt keine Lehrgänge durch.
Sechzehn Stunden Staatsbürgerkunde
»Wir durften sozusagen am Patienten proben, ärgert sich ein im Krankenhaus tätiger Ersatzdienstleistender. Er ist mit weiteren neunzehn ZDLern Teilnehmer eines vierwöchigen Gesamtlehrgangs im Klinikum Buch, im Nordosten Berlins gelegen. Dort waren durch die Wende Kapazitäten freigeworden, die das Bundesamt für Zivildienst gerne nutzen wollte. Im vergangenen Sommer wurde daher ein an einer westdeutschen Zivildienstschule erprobter Dozent angeworben, der seither die vorrangig ostdeutschen Zivis betreut. Über 160 — hauptsächlich an »Geld- und Sachbezügen« interessierte — junge Männer hat Hubert Kolling schon informiert. »Im Gegensatz zu den westdeutschen ZDLern bringen die, die hierher kommen, kaum Vorwissen durch ihre auch noch unerfahrenen Dienststellen mit«, vergleicht Kolling seine Erfahrungen. Und: »Ostdeutsche Zivis sind recht vorsichtig allem Neuen gegenüber. Außerdem fragen sie viel engagierter nach ihren Rechten.«
Sie haben allerdings auch einiges zu beklagen. Die Kritik bezieht sich jedoch — abgesehen von den sechzehn Stunden »Staatsbürgerkunde« — in der Regel nicht auf Inhaltliches, sondern auf die Umstände: »Vier Wochen sind viel zu lang«, oder: »Es ist blöd, daß es diesen gesetzlichen Übernachtungszwang gibt, wo wir doch ganz in der Nähe wohnen«, ist von den meisten zu hören.
Daß diese »Hilfe zur Hilfe« auch ihr Gutes hat, ist den jungen Männern dennoch bewußt. »Hier kann ich meine Probleme besprechen und sehe, daß es andere Zivis auch nicht einfacher haben«, sagt einer. Beim Thema Abendgestaltung kommt Stimmung auf: »Was nach dem Unterricht passiert, Party und so, ist echt gut«, lacht ein anderer.
Nicht zu verstehen ist, warum der Zivildienst so stiefmütterlich behandelt wird. Wenn es nach den im gesamten Bundesgebiet angebotenen 150.000 Zivildienstplätzen ginge, dürfte es 50.000 Zivis mehr geben — besonders für die psychisch stark belastenden Bereiche der Mobilen Hilfsdienste und der Schwerstbehindertenbetreuung. Doch hier findet noch nicht einmal ein finanzieller Ausgleich statt, wie er für Soldaten auf Manöver oder auf hoher See selbstverständlich ist. Solange der Zivildienst noch als »lästige Alternative zur Bundeswehr« (Bundesverfassungsgerichts-Urteil von 1985) angesehen wird, wird sich das Tempo, hinsichtlich Verbesserungen für die Zivildienstleistenden, kaum steigern. Sonja Striegl
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