: Ein Platz zum Stolzieren
■ Verschnörkelter Alltagsprunk und englischer Rasen auf dem Mexikoplatz/ Hier brauchte nie gespart zu werden/ Automassen durchbrechen heute die Idylle/ Ein Schleichweg für Amerikaner
Zehlendorf. Pelzmäntel flanieren neben geschniegelten Anzügen, winzige Edel-Pinscher kläffen hysterisch umher — Momentaufnahme in Zehlendorf, genauer: am Mexikoplatz. Natürlich erinnert hier nichts an den lateinamerikanischen Staat.
Es fällt vor allem der S-Bahnhof auf. Mit seinen weit ausschwingenden Dächern ist der Jugendstilbau sicher eine der schönsten Haltestellen Berlins. Erbaut wurde die ehemalige Station »Zehlendorf-West« bereits 1904, schon sechzehn Jahre bevor das grüne Dörfchen ohne nennenswerte Widerstände zu einem Verwaltungsbezirk der expandierenden Stadt Berlin wurde. Den gedrungenen Turm des Bahnhofs ziert ein verspieltes Helmdach, das Turmfenster zum Platz hingegen ähnelt einer Skibrille. Des Abfahrers Blick fällt auf weitere prächtige Bauten, die den Mexikoplatz umrunden. Nur wenig jünger als der S-Bahnhof selbst und ebenso liebevoll restauriert präsentieren sie ihre roten Schindeldächer und sehenswerten Fassaden vom Beginn dieses Jahrhunderts. Hier ist nie gespart worden, weder beim Bau noch bei der Herrichtung des Gesamtplatzes.
Deutsch-bürokratische Straßenschilder
Alles zeugt von Reichtum: Zwei edle blaue Telefonzellen sollen mit Schnörkeln und altdeutscher Schrift einen Hauch von Geschichte herbeizaubern. Um nüchterne deutsch-bürokratische Straßenschilder ranken sich Halterungen, die vom letzten Kunstgewerbe-Basar stammen könnten, auf jeden Fall aber historisch wirken sollen.
Der Alltagsprunk setzt sich fort: die winzigen Zäunchen, die die vielen Yorkshire-Terrier am Bepinkeln der Rasenflächen hindern, sind etwas verspielter als anderswo — ganz im Gegensatz zu eben jenen Zwerghündchen selbst, die kläglichst an den Hindernissen scheitern. Aber: »Frauchen hilft dem Schätzchen ja, nicht wahr, mein Kleiner...«
Die Straßenlaternen haben fast ein wenig Gaslampen-Flair vom Wien der zwanziger Jahre. Und da man sich schließlich international gibt, wurde auch Klein-England mittels pedantisch kurzgeschnittener Grasflächen und eines knallroten Hydranten nach Zehlendorf geholt. Die kleinen Nadelbäumchen hätte Magnums urbritischer Widersacher Higgins nicht schöner stutzen können. Teure Parkbänke laden Pärchen und alte Leute, Hundebesitzer und lesende Studenten (von denen keiner weiß, wie die sich hier ein Zimmer leisten können) zum Verweilen ein. Hübsche Brunnen runden das Bild eines durch und durch gepflegten Platzes ab. Alles könnte so idyllisch sein.
Doch leider ist der Mexikoplatz auch eben der Punkt, wo die Argentinische Allee zur Lindenthaler Allee wird, wo Automassen auf je zwei Spuren von Nordost nach Südwest und wieder zurückdonnern. Eine Art überbreiter Granit-Grabstein steht auf dem Grünstreifen der Hauptstraße und nennt überholenden Fahrern den Namen des Rondells. Die Amerikaner lieben ihren »Schleichweg« von Dahlem zur Potsdamer Chaussee, der Jugendstilplatz liegt halt auch auf dem Weg. Die beinahe rührend gepflasterten Bürgersteige vermögen nicht darüber hinwegzutäuschen, daß der Platz von einer Durchgangsstraße zerschnitten wird und daß Schallschutzwände eine angebrachte Investition wären.
Die Anwohner jedoch stolzieren wochentags auf jeweils einer der beiden Hälften umher, brüllen sich ihre Förmlichkeiten zu und pendeln zwischen Feinkostlädchen, Optiker und ihrer Bank. Und sollten sie doch einmal die andere Hälfte aufsuchen müssen, etwa weil sie Mundwasser in der Apotheke auf der gegenüberliegenden Seite oder exklusive Sportmode kaufen wollen, dann spurten sie über die Ampel, deren Grünphase nicht einmal für einen Hochleistungsdackel reicht.
Stadtführer rühmen den Platz als einen der sehenswertesten Berlins. Dies tun sie jedoch im sicheren Bewußtsein, daß die meisten Touristen ohnehin nur an Sonntagen in den Berliner Südwesten fahren. Dann lassen sich die schönen Häuser sicher in aller Ruhe bewundern — wenn da nicht schon wieder ein überzüchteter Zwerg herumbellen würde. Christian Arns
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