: Die Zukunft der verbunkerten Vergangenheit
■ Was soll mit den Ministergärten und dem Gelände von Hitlers Reichskanzlei samt der unterirdischen Bunker passieren?
Kreuzberg/Mitte. Soll die Bundesregierung die ehemaligen »Ministergärten« und das Gelände der früheren Reichskanzlei Adolf Hitlers überbauen dürfen? Dieses Thema, »Die Zukunft der Vergangenheit«, stand Montag abend im Martin-Gropius- Bau zur Diskussion. »Was bedeutet der Anspruch, historisch bewußte Stadtplanung zu betreiben?« fragte die Moderatorin und Ex-Stadtentwicklungssenatorin Michaele Schreyer (AL-nah), die jenes »offene Diskussionsforum für die Zukunft Berlins« mitbegründet hat.
Das geschichtsträchtige Gelände zwischen Pariser Platz, Ebertstraße, Leipziger Straße und Toleranz- alias Wilhelm- alias Otto-Grotewohl- Straße war Mitte des 18.Jahrhunderts auf Geheiß des preußischen »Soldatenkönigs« in Parzellen zerlegt worden. Beamte des Hofstaates siedelten sich dort in prunkvollen Palais mit ausgedehnten Gärten an, die vor der damaligen Zollmauer just an derselben Stelle wie die spätere Berliner Mauer endeten. Nach Gründung des Deutschen Reiches ließ dessen Kanzler Otto von Bismarck eine Villa dieser »Ministergärten« in der Wilhelmstraße 75 als Reichskanzler- Palais ausbauen, das 1930/31 mit einem Erweiterungsbau versehen und 1933 von Adolf Hitler in Beschlag genommen wurde. Die sowjetischen Besatzer ließen die Gebäude 1949 sprengen. Demnächst soll ein städtebaulicher Wettbewerb für das teils brachliegende und teils mit Wohnungen belegte Gelände ausgeschrieben werden, weil die Bundesregierung dort womöglich das Auswärtige Amt oder die Vertretungen der Bundesländer ansiedeln will.
Die Architekturhistorikerin Angela Schönberger, die ihre Dissertation über die Reichskanzlei schrieb, vermittelte per Diavortrag einen Überblick über die Geschichte eben jener Bauten. Schon am Abend des 30. Januar 1933 habe sich Hitler im Reichskanzler-Palais den jubelnden Massen gezeigt und sogleich verkündet, er wolle eine neue Kanzlei bauen, das alte Palais sei »von unerträglichem Geruch erfüllt«. Von Beginn an sei die Planung der Neuen Reichskanzlei an der Voßstraße unter Albert Speer »mit der Kriegsplanung einhergegangen« und deshalb mit einem großangelegten Bunkersystem samt Luftschutzräumen versehen worden. Gleichzeitig aber sollte der 400 Meter lange, von der Ebert- bis zur Wilhelmstraße reichende Monumentalbau, der mit dem ehemaligen Borsig-Palais zusammengefügt wurde, die Repräsentationsbedürfnisse der Nazis erfüllen. Allein das Arbeitszimmer Hitlers war 370 Quadratmeter groß, es folgte unter anderem ein nie genutzter Kabinettssaal, eine 146 Meter lange Marmorgalerie, ein Mosaiksaal für Empfänge und ein »Ehrenhof« mit Skulpturen. Während das Reichskanzler-Palais bei Kriegsende zerstört war, blieb die Neue Reichskanzlei bis 1949 erhalten. Dann verbauten die Sowjets den Marmor des Terrorsymbols in ihrem Treptower Siegerdenkmal, während der rote Marmor aus dem Mosaiksaal für die Wände des U-Bahnhofs Mohrenstraße verwendet wurde.
Der Direktor des Archäologischen Landesamtes Alfred Kerndl, der 1986 die Ausgrabungen auf dem Gestapo-Gelände geleitet hatte, berichtete auch von historischen Spuren in den früheren Ministergärten: 1990 entdeckte er bei Munitionsbergungsarbeiten für das Pink Floyd- Spektakel The Wall einen abgeschlossenen Bunker mit heroischen Fresken der »Leibstandarte Adolf Hitler«. Vom früheren »Führerbunker« sei nur noch eine Bodenplatte vorhanden, hier befinde sich heute ein Kinderspielplatz. Den Bunkerfund »sollte man nicht wegsanieren«, fand er, aber die Bundesbaudirektion sei hier »aufgeschlossen« und wolle sie in die Ausschreibung hereinnehmen. Auch die alten Grenzen der Zoll- und der Mauer sollten erhalten bleiben. Ansonsten empfinde er »keine Berührungsängste« gegenüber Regierungsbauten an dieser Stelle: »Dann braucht man nicht mal Gedenkstätten, weil jeder fragt, was hier mal war.« Sabine Weissler, Leiterin des Kunstamtes Steglitz, konnte sich damit »nicht anfreunden«: »Hier stand mehr als eine Exekutive, nämlich ein militärischer Komplex.« Ihr schwebte »eine kleine Gedenkstätte oder Forschungsstelle« in den — unbebaut zu erhaltenden — Ministergärten vor, die im Zusammenhang mit den anderen Berliner Gedenkstätten stehe. Auch der kurzzeitige Sitz des »Volksgerichtshofes« werde nun umstandslos zum neuen Berliner Parlament ausgebaut, obwohl die Geschichte der Nazi-Justiz noch in keiner Stätte gewürdigt werde.
Auch der SPD-Abgeordnete Nico Sander setzte sich für die »Auffindbarkeit« und »Öffentlichkeit« der Geschichtsspuren ein. Die Gefahr, daß Hitlers Kanzlei zum »braunen Wallfahrtsort« werde, könne mit einer bewußten Gestaltung der Stätte vermieden werden. Bei einem Mahnmal sah der AL-Abgeordnete Albert Eckart jedoch die Gefahr eines »neuen Kranzabladeplatzes«. Auch bei der Topographie des Terrors habe es eines jahrelangen Kampfes bedurft, um statt eines »toten Ortes« eine »ernsthafte Auseinandersetzung« mit der Geschichte der Täter zu wagen. »Die schnelle Lösung ist noch nicht in Sicht«, faßte Michaele Schreyer die Debatte zusammen. Darum aber brauche Berlin unbedingt Zeit für Planungen und öffentliche Diskussionen über die »Zukunft der Vergangenheit«. Ute Scheub
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