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„USA haben Putsch akzeptiert“

■ Interview mit Thomas Wensky, Pfarrer der größten haitianischen Gemeinde in den USA, der Notre-Dame-Kirche in Miami, über die Boat people auf dem US-Stützpunkt Guantanamo Bay

Pater Thomas Wensky hat mehrmals das Flüchtlingscamp der haitianischen Boat people auf dem US-Stützpunkt Guantanamo Bay auf Kuba besucht. Zu den Abgeschobenen zählen auch Verwandte seiner Gemeindemitglieder, die über Repressalien gegen ihre Angehörigen berichten.

taz: Die US-Regierung behauptet nach wie vor, daß es sich bei den Boat people nicht um politisch Verfolgte handelt. Was haben Ihnen denn die Leute auf Guantanamo Bay erzählt?

Thomas Wensky: Daß sie verfolgt oder verhaftet oder bedroht worden sind. So unglaubwürdig erscheint das offenbar auch den US-Einwanderungsbehörden nicht, denn in der letzten Zeit ist die Zahl derer, die zumindest in die USA weiterreisen dürfen, um dort Asyl zu beantragen, gestiegen. Bis Dezember noch sind die ersten Anhörungen der Flüchtlinge auf den Booten der Küstenwache durchgeführt worden. Da wurden nicht mal fünf Prozent der Boat people in die nächste Stufe des Verfahrens gelassen. Dann begann man, die erste Anhörung auf Guantanamo Bay vorzunehmen, wo schon etwas mehr Zeit und Ruhe war. Da stieg die Zahl der Flüchtlinge, denen die Einwanderungsbehörde eine Chance auf Asyl einräumte, gleich auf zwanzig Prozent. Im Januar waren es dann schon 30 bis 40 Prozent. Da können Sie sehen, wie willkürlich der Verlauf dieser Befragungen gewesen ist. Unsere Sorge ist ganz einfach, daß viele Menschen keine angemessene Anhörung bekommen haben und trotz guter Asylgründe zurückgeschickt worden sind. Die Befürchtungen bestätigen sich jetzt, nachdem Flüchtlinge nach Haiti abgeschoben und dort wieder Opfer von Verfolgung geworden sind.

Eben das bestreitet das US-Außenministerium aber hartnäckig...

Ich will Ihnen mal folgenden Fall schildern. Auf Guantanamo Bay habe ich einen Mann getroffen, der mir Briefe an seine Schwester in Miami mitgegeben hat. Letzten Freitag kam die Frau in mein Gemeindebüro und berichtete, er sei abgeschoben worden. Noch in der Nacht nach seiner Rückkehr ist die Polizei aufgetaucht, um ihn festzunehmen. Er ist ihnen gerade noch entkommen und versteckt sich jetzt. Der Mann hat insofern Glück gehabt, als sein Fall von einem Team des „Christian Science Monitor“-Fernsehens dokumentiert wurde, das ihn bis nach Haiti begleitet hatte. Nach seiner Flucht vor der Polizei ist es dem Mann gelungen, den Reporter zu benachrichtigen. Dieser hat sich sofort an die US-Botschaft gewandt und den Fall berichtet. Nun ist das Botschaftspersonal dort auf einen Rumpfbestand herabgesetzt. Sie können dort gar nichts machen — schon gar nicht die Einhaltung der Menschenrechte beobachten. Sie ließen dem Haitianer nur ausrichten, er solle mit ihnen in Verbindung bleiben. Die einzigen, die über längere Zeit noch Menschenrechtsverletzungen durch das haitianische Militär und die Polizei dokumentieren und weitergeben konnten, sind die Kirchen gewesen. Aber inzwischen sind auch viele Pfarrer untergetaucht.

Wie sehen die Lebensbedingungen der Flüchtlinge auf Guantanamo Bay aus?

Die Flüchtlinge leben auf der verlassenen Landebahn des Stützpunkts. Man hat auf dem Asphalt vier oder fünf Lager abgezäunt. In jedem dieser Lager sind um die 2.000 Menschen untergebracht. In der Mitte stehen jeweils Zelte. Der Asphalt wird natürlich tagsüber unerträglich heiß — da herrschen ja kubanische Temperaturen. In den Zelten kann man zwar Schatten finden, dafür ist es um so stickiger. Das Schlimmste für die Leute ist das Warten und die Langeweile — außer Kartenspielen gibt es nichts zu tun. Die Stimmung ist streckenweise sehr geladen — die Leute haben ja keine Ahnung, wie ihre Zukunft aussieht.

Wie sollte Ihrer Meinung nach die US-Flüchtlingspolitik bezüglich der haitianischen Boat people aussehen?

Zuerst einmal müßte garantiert sein, daß das Anhörungsverfahren gründlich und fair ist. Selbst bei einem fairen Verfahren gibt es natürlich zahlreiche ablehnende Entscheidungen. Die nächste Frage ist dann, ob es herrschende Politik sein darf, diese Menschen nach Haiti abzuschieben, solange dort ein Putschregime an der Macht ist. Die Entscheidung der US-Regierung, die Flüchtlinge abzuschieben, zeigt vor allem eines: daß Washington sich mit den Fakten abgefunden hat, die die Putschisten geschaffen haben. Dieses Signal wird in Haiti sehr wohl verstanden: Der Staatsstreich ist nicht mehr rückgängig zu machen. Warum sonst schiebt man die Flüchtlinge jetzt ab, anstatt zu warten, bis der gestürzte Präsident Aristide nach Haiti zurückgekehrt ist? Gleichzeitig wird das Embargo einseitig von den USA gelockert, was die Frage aufwirft, ob es da einen Deal zwischen Washington und Port-au-Prince gegeben hat.

Wie reagieren die Haitianer in Miami auf die Politik der US-Regierung?

Die meisten sind außer sich. Viele von ihnen haben Verwandte auf Guantanamo Bay. Die Haitianer in Miami unterstützen in ihrer Mehrheit Aristide — und ihnen ist natürlich klar, was diese US-Politik bedeutet: daß die USA Haitis Rückkehr zur Demokratie abgeschrieben haben. Gespräch: Andrea Böhm

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