Gysi bestreitet neue Stasi-Vorwürfe

■ Katja Havemann beschuldigt in „Kontraste“ den PDS-Vorsitzenden Gregor Gysi, vertrauliche Gespräche an die Stasi weitergeleitet zu haben/ War Gysi demnach doch IM „Gregor“ oder „Notar“?

Berlin (taz) — Gegen den PDS-Chef Gregor Gysi sind neue Vorwürfe aufgetaucht: Das Fernsehmagazin Kontraste berichtete am Montag abend, daß Rechtsanwalt Gysi entgegen seinen Beteuerungen doch aktiv in „Maßnahmenpläne“ und Konzeptionen der Stasi zur Bekämpfung der DDR-Opposition eingebunden war. So sei er beispielsweise 1982 in Stasi- Aktionen gegen den Bürgerrechtler Robert Havemann verstrickt gewesen. Dies gehe eindeutig aus den Akten seiner Witwe, Katja Havemann, hervor.

Anläßlich des 70. Geburtstages des prominenten Regimekritikers verfertigte die Stasi einen „Vorschlag“, in dem es heißt: „Um Provokationen möglicher Demonstrativhandlungen oder anderweitige Aktivitäten im Sinne einer Aufwertung von Havemann auszuschließen, wird vorgeschlagen, daß Rechtsanwalt Dr. Gysi eine Aussprache mit Havemann dazu durchführt.“ Ausweislich der Stasi-Unterlagen sollte Gysi darauf hinwirken, daß Havemann seinen Geburtstag nur im engsten Familienkreis feiert, die Westpresse weder einlädt noch empfängt, und auch DDR-Bürger sollten nur in Ausnahmefällen gratulieren dürfen. Gysis Besuch bei Havemann ist in den Stasi-Akten bestätigt.

Weiter wirft Katja Havemann Gysi vor, sie hätte in ihren Stasi-Akten auch den Bericht eines Inoffiziellen Mitarbeiters mit dem Decknamen „Gregor“ gefunden. Darin werde ein Gespräch mit ihrem Mann wiedergegeben, unter anderem „über sein noch nicht erschienenes, aber bereits angekündigtes Buch „Der 'Morgen‘ berichtet“. Katja Havemann ist überzeugt, daß Gregor Gysi der Informant gewesen sein muß, „denn der hat dieses Gespräch hier im Hause geführt“. Eine Abhörmaßnahme schließt die Bürgerrechtlerin aus: „Dieser Bericht ist auch nicht ein Wanzenbericht [...], denn er enthält ganz subjektive Einschätzungen des Berichtenden ,Gregor‘ über dieses Gespräch.“

Bereits in den zurückliegenden Wochen hatten BürgerrechtlerInnen wie Bärbel Bohley, Wolfgang Templin und das Ehepaar Poppe in ihren Unterlagen Berichte unter dem Decknamen „IM Notar“ gefunden. Aus ihnen geht hervor, daß Informationen aus vertraulichen Gesprächen in der Kanzlei Gysis direkt in die Zentrale des Staatssicherheitsdienstes gelangten.

Damals wie heute beteuert Gysi, „nie in meinen Leben inoffizieller Mitarbeiter des MfS“ gewesen zu sein. Er sei im Gegenteil selbst von der Stasi „bearbeitet“ worden. Der Versuch, ihn als Inoffiziellen Mitarbeiter anzuwerben, sei unter anderem aufgegeben worden, weil er sich geweigert habe, das Anwaltsgeheimnis zu brechen. Der „IM Notar“, so auch der „Notar“-Führungsoffizier Oberstleutnant Günter Lohr, soll „keine Person, sondern eine Akte mit Informationsmaterial“ gewesen sein.

Dem widersprechen die Autoren des Kontraste-Beitrages. Die ihnen vorliegenden Unterlagen „beweisen eindeutig: IM Notar ist eine aktiv handelnde Person“. Der bei der Stasi-Hauptabteilung XX geführte Inoffizielle Mitarbeiter „Notar“ wurde nach ihren Angaben nach dem Tode Robert Havemanns 1982 auch auf dessen Witwe Katja angesetzt. Einem weiteren Maßnahmenplan zufolge hatte „Notar“ die Aufgabe, Katja Havemann von „operativ relevanten Handlungen abzuhalten“ und sie auf „bestimmte Konsequenzen [...] aufmerksam [zu] machen“.

In der Sendung Kontraste Nachgefragt (1 Plus) wies Gregor Gysi die neuen Beschuldigungen zurück. Er räumte allerdings ein, als Anwalt Havemanns offizielle Gespräche mit der Abteilung Staat und Recht beim ZK der SED geführt zu haben. Unter anderem sei es darum gegangen, daß die SED Havemann nahelegen wollte, seinen Geburtstag in aller Stille zu feiern. Er habe diese Vorstellungen zwar übermittelt, aber nicht im Auftrag der Stasi. Offensichtlich seien Berichte vom ZK direkt an die Stasi gereicht worden.

In der Gauck-Behörde hieß es gestern: „Keine neuen Erkenntnisse“. Es gebe Unterlagen, in denen der Name Gysis auftauche — nach wie vor sei aber unbekannt, wer sich wirklich hinter dem Decknamen „Notar“ verberge. Wolfgang Gast