: Aber Augen zum Sehen
■ Blanche Kommerell liest Ingeborg-Bachmann-Texte im Modernen Theater
Sieben mal sieben, so sitzen die Angekommenen im geschwärzten Raum, als ihnen die Sintflut angekündigt wird. Blanche Kommerell blinzelt noch suchend gegen das grelle Licht der Scheinwerfer, während sie schon mit dem ersten Wort das große Sterben, das Versprechen einer Zeit danach und für beides eine große Verantwortung aller Menschen in den Raum stellt.
So beginnt der sechste Abend von Sieben Dichterinnen. Ein Zyklus über Ingeborg Bachmann. Blanche Kommerell ist nicht nur Initiatorin dieser Lesungen und Schauspielerin, sie ist auch selbst Autorin: Sie, die da doch eigentlich lesen will, spricht oft frei. Manchmal entsteht gar der Eindruck, die beiden Autorinnen Ingeborg Bachmann und Blanche Kommerell führten die Rede anteilig. Die einander dialogisch zugeordneten Texte tun ein übriges, einen polyphonen Sprachraum entstehen zu lassen, in dem Blanche Kommerell — noch bevor sie es sagt — deutlich macht, daß sie hier in eigener Sache spricht. Die Intensität des Vortragens — mitunter aggressiv-leise — und das Klanggebilde der Worte, sie unterstützen, daß neben dem diskussionswürdigen Inhalt der Rede ein deutliches Gefühl von Ermutigung beim Publikum ankommt. In diesem Gefühl wird der Widerspruch zwischen hoffnungsloser Weltsicht und der auf das Utopische ausgerichteten Lebenshaltung, wie ihn die Bachmann vorgelebt hat, aufgehoben. Eine gewisse Freude bestimmt später den Applaus. Lächeln und freundliche Blicke für Blanche Kommerell.
Die ausgewählten Bachmann- Texte sind Lebensäußerungen einer Frau, die nur schreibend zu existieren vermag, die nur schreibend die Frage nach ihrer Freiheit zu stellen wagt. Als Dichtende ist sie das »Immerzu des Sterbens«, was auch den Versuch meint, eine unangepaßt- freie Entscheidung über den Moment zu retten — nicht zu widerrufen. In letzter Konsequenz ist das wohl nur in der Grenzerfahrung mit dem Tod zu leben. Die neue Uniform der Helden ist die Geduld, denn der Mensch hat mehr Zeit als Verstand, und der gelbe Stern über dem Herzen ist die Auszeichnung — Bild für eine Freiheit, die mit ihm verteidigt wurde.
Ingeborg Bachmann träumt gold- schwarze Augen, mit denen das Unglück und die Utopie gleichermaßen sensibel im Blick gehalten werden können. Bleibt nur, die zwischen Möglichem und Unmöglichem entstehende Spannung auszuhalten und sich anstiften zu lassen: »Man kann enttäuscht leben, ohne Täuschungen«, weil die Kraft größer als das Unglück ist. Nicht zuletzt darum ist die Wahrheit dem Menschen zumutbar. Wir sind gefordert, uns selbst mehr zuzutrauen, um dann vielleicht auch die Freiheit lieben zu lernen, die der Mensch ein ganzes Leben lang abzuwehren sucht. Darüber hinaus wird geschwiegen, weil die »Schattensprache« niemandem bekannt ist.
»Es gibt nichts Schöneres unter der Sonne, als unter der Sonne zu sein.« Auch das ist Ingeborg Bachmann. Wo Licht ist, ist auch Schatten und ein Ort, um mit offenen Augen zu lernen. Anja Koch
In der Reihe Sieben Dichterinnen werden am 24.2. Texte von Selma Meerbaum-Eisinger gelesen.
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