: Wer soll Europas Einheit bezahlen?
EG-Kommissionspräsident Jacques Delors will die Kosten der Maastrichter Beschlüsse im neuen EG-Haushalt berücksichtigen/ Deutschlands höhere Beiträge würden in die FNL zurückfließen ■ Aus Brüssel Michael Bullard
„Wer zahlt, schafft an.“ Nach dieser Devise bemüht sich die Bundesregierung schon seit Jahren um mehr Einfluß auf die bis dato französisch geführte Gemeinschaft. Das Resultat kann sich sehen lassen, wie die Maastrichter Reformverträge beweisen: Dort wurde eine wirtschaftliche und politische EG nach deutschem Vorbild festgeschrieben — ein in Ansätzen föderaler Bundesstaat mit unabhängiger Zentralbank und einheitlicher Währung. Die Rechnung präsentierte der EG-Kommissionspräsident gestern vor dem Europaparlament in Straßburg. Zwischen 1993 und 1997 sei eine jährliche Steigerung des EG-Haushalts um fünf Prozent nötig, so Jacques Delors, um die sich aus Maastricht ergebenden Verpflichtungen erfüllen zu können. Seine Forderung: Die Zahlmeister der Gemeinschaft, Großbritannien, Frankreich und Deutschland, müßten tiefer in die Tasche greifen.
Über knappe 135 Milliarden DM verfügt die EG-Kommission bereits dieses Jahr, fast ein Drittel steuern die Deutschen bei. Ein Teil davon fließt allerdings in Form von EG- Strukturhilfen wieder in die Bundesrepublik zurück. So können allein die neuen Bundesländer 1992 mindestens zwei Milliarden DM abrufen — Tendenz steigend, trotz der praktischen Schwierigkeiten beim Antragstellen und Ausbezahlen. Auch von den Agrarstützungszahlungen der EG, die 1992 mehr als 60Prozent des gesamten Haushalts ausmachen, fällt für die deutschen Bauern weiterhin ein beträchtlicher Brocken ab, runde 12Milliarden Mark.
Insgesamt gehen die Experten des für den Haushalt verantwortlichen EG-Kommissars Peter Schmidhuber deshalb davon aus, daß der deutsche Netto-Beitrag von 19 Milliarden dieses Jahr bis 1997 nicht nennenswert steigen wird.
Wenn also nicht die Deutschen, wer dann wird die in Maastricht beschlossene Aufstockung der Hilfszahlungen für die ärmeren Länder der EG, die Länder Osteuropas und die von der japanischen Konkurrenz bedrohten Industriezweige bezahlen? Steht womöglich der britische Beitragsrabatt in Höhe von fast sieben Milliarden DM, den Margaret Thatcher 1985 durchsetzte, wieder zur Disposition? Oder werden Holländer und Dänen erstmals in das Lager der Nettozahler aufsteigen, deren Bauern bislang überproportional vom Füllhorn der EG-Agrarfonds profitierten? Muß gegebenenfalls selbst der Ausbau der französischen Atomstreitmacht „force de frappe“ zugunsten des höheren Ziels eines geeinten Europas zurückgestellt werden?
Ein Jahr lang stritten sich die EG- Regierungen 1988, als es darum ging, den letzten Fünfjahresfinanzplan, das sogenannte Delors-I-Paket, aufzustellen. Dieses Mal sieht es nicht besser aus. Erschwert wird die Debatte über Delors-II durch die im Frühjahr anstehenden Wahlen in Großbritannien und Italien. Hinzu kommt, daß die Verträge von Maastricht dieses Jahr von den zwölf nationalen Parlamenten ratifiziert werden sollen. Schon gibt es Befürchtungen in einzelnen Ländern, aber auch Drohungen wie in der Bundesrepublik, daß dies an den Kosten scheitern könnte.
Große Hoffnung setzen Kommissions- und Regierungsexperten deshalb auf die Beitrittskandidaten Österreich, Finnland, Norwegen, Schweden und die Schweiz, die alle mehr in den Gemeinschaftstopf einzahlen müßten, als sie herausbekommen würden. Mit Österreich und Schweden sollen noch in diesem Jahr Verhandlungen begonnen werden — angepeiltes Beitrittsdatum ist 1995. Das Geld der Neuen könnte dann dazu beitragen, die im Dezember von den „armen Vier“, Spanien, Portugal, Griechenland und Irland, durchgesetzte Erhöhung der Strukturfonds zu finanzieren. Sie könnten andernfalls, so ihre Drohung, das für die gemeinsame Wirtschafts- und Währungsunion 1998 gesetzte Stabilitätsziel nicht erreichen und müßten deshalb die Reformverträge ablehnen. Eine Erhöhung des EG-Budgets von derzeit etwa 1,2Prozent des Gesamt-Bruttosozialprodukts (BSP) auf 1,37Prozent wird auch mit der „Abwehr von Wirtschaftsflüchtlingen“ aus dem Mittelmeerraum und der Erweiterung der Osthilfen begründet. Das Phare-Programm sowie die GUS-Hungerhilfe wurden bislang zum Teil aus Zusatzbeiträgen der EG-Staaten finanziert. Diese Zahlungen sollen in Zukunft aus dem normalen Budget kommen.
Weil es gegen die Ausweitung der Süd- und Osthilfen wenig vernünftige Argumente gibt, konzentriert sich die Kritik der Mitgliedsstaaten auf die industriepolitischen Pläne der EG-Kommission. Vor allem die Briten und Deutschen wehren sich dagegen, daß ein Teil der von Delors geforderten zusätzlichen 40 Milliarden DM zur Stützung der von der japanischen Konkurrenz bedrohten Auto- und Elektronikbranche ausgegeben werden soll. Dies ist jedoch das besondere Anliegen der Regierungen in Paris, Rom und Den Haag. Mit einer gezielten Forschungs-, Technologie- und Industriepolitik soll die internationale Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie gefördert werden. Das von der EG- Kommission gepuschte neue Fernsehsytem D-2-Mac dient so den einen als Beispiel für gelungene Industriepolitik, den anderen als „marktwidriges Milliardenspiel, das lediglich einigen wenigen Geräteherstellern in Frankreich und den Niederlanden“ nutzt.
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