Mahnmal der unbeliebten Helden

■ Was wird aus den Denkmälern von sieben DDR-Grenzsoldaten, die an der Mauer erschossen wurden?/ Nie geklärte Todesumstände/ Aus offizieller DDR-Sicht waren sie Opfer »feindlicher Agenten«/ Beschädigungen und Schmierereien

Mitte. »Wenn die jetzt noch stehen«, meint Landeskonservator Engel, »dann werden sie wohl auch noch bleiben.« Mag ja sein, daß er recht hat, nur, von »stehen« kann eigentlich jetzt schon keine Rede mehr sein. Einige sind demontiert, einige umgekippt, andere beschädigt und mit Parolen verziert — Denkmäler für DDR-Grenzsoldaten, die an der Mauer erschossen wurden. Im Westen sind sie so gut wie unbekannt, im Osten scheinen sie nicht eben geliebt zu werden.

So etwa die zentrale Gedenkstätte in der Ostberliner Schützenstraße (ehemals Reinhold-Huhn-Straße): Gegenüber dem Springer-Hochhaus, nur wenige Schritte von der Mauer entfernt, wurde dieses Denkmal während der X. Weltfestspiele der Jugend und Studenten im Sommer 1972 errichtet. Auftraggeber waren die Grenztruppen der DDR, deren Angehöriger Reinhold Huhn an dieser Stelle zehn Jahre zuvor unter nie ganz geklärten Umständen ums Leben gekommen war. Laut 'Tagesspiegel‘ vom 19. 6. 1962 habe Huhn einen Fluchttunnel entdeckt und wurde bei der Verfolgung der Flüchtlinge von eigenen Kameraden erschossen. Die DDR-Nachrichtenagentur 'adn‘ sah damals die Sache anders: Agenten, die im Auftrag der Westberliner Spionagezentrale Personen durch den Tunnel illegal in den Westen schleusen sollten, hätten Huhn heimtückisch ermordet. Unter der mahnenden Inschrift »Ihr Tod ist uns Verpflichtung« ehrte die DDR an dieser zentralen Stelle weitere sechs Grenzsoldaten und Volkspolizisten, die ebenfalls an der Mauer ihr Leben ließen. Strittig waren die Umstände ihres Todes allemal. Im Westen galten sie als von Flüchtlingen erschossen, beim Spielen mit den eigenen Waffen tödlich verletzt, oder, wie im Fall des Grenzpostens Jörgen Schmittchen, von Soldaten getötet, die seinen Fluchtversuch verhindern wollten. Für die DDR waren indes immer Agenten einer feindlichen Macht die Schuldigen, die bei heimtückischen Feuerüberfällen den Tod der Mauerwächter verursachten. So wurden sie denn auch zu Zeiten der DDR als Märtyrer und Helden geehrt.

Jeder der sieben (nach anderen Quellen elf) Toten bekam neben einem Platz auf dem Sammeldenkmal in der Reinhold-Huhn-Straße weitere Gedenksteine und Tafeln im Bezirk Mitte — am Haupteingang der (ehemaligen) Marx-Engels-Kaserne in der Egon-Schulz-Straße (heute: Strelitzer Straße), in der Scharnhorst-Straße oder am Alexanderplatz. Die Gedenkstätten dienten aber nicht nur der Erinnerung. Am Reinhold-Huhn-Denkmal in der Jerusalemer Straße gab es zusätzlich einen Informationsstand, um »die Bedeutung einer zuverlässigen Grenzsicherung« darzustellen. Dieser wurde bald zu klein, da wie aus einem Bettelbrief der Nationalen Volksarmee an die Nationale Front hervorgeht, »Tausende von Delegationen aus Berlin und der DDR, Pioniere und Brigaden«, sowie »ausländische und westdeutsche Gäste« der »Arbeit und den Problemen der Grenztruppen außerordentliches Interesse entgegenbringen«. Der Info- Stand sollte deshalb erweitert werden, meinte die NVA, und somit »einen Beitrag zur weiteren Verbesserung der sozialistischen Wehrerziehung leisten.« Die so um Geld angegangene Nationale Front spendete eine kleine Ausstellung. Diavorträge und ähnliches vervollständigten bald das Ostberliner Mauermuseum. Es überlebte die Wende nicht lange.

Mit der Zukunft der noch verbliebenen Gedenktafeln und -steine beschäftigt sich nun der Bezirk Mitte. Das Bezirksamt erstellt derzeit eine Liste sämtlicher in Mitte stehender Denkmäler, über deren Wohl und Weh dann die Bezirksverordnetenversammlung zu befinden hat. Schwer dürfte die Entscheidung vor allem bei den »ideologisch Vorbelasteten« werden, meint Martin Gaber vom Bündnis 90, der Vorsitzender einer BVV-Arbeitsgruppe zu diesem Thema ist. Neben Angehörigen aller Fraktionen sitzen in dieser Kommission auch Sachverständige und Vertreter von Interessenverbänden, Gaber erhofft sich dadurch eine zwar kontroverse aber auch einigermaßen sachliche Diskussion. Eines ist für den AG-Vorsitzenden aber jetzt schon klar: Es soll nicht einfach alles entfernt werden, was nicht mehr in die politische Landschaft paßt. Vorstellen könnte er sich etwa Gegendenkmäler, damit die alten einen neuen Sinn erhielten. Mittels Konfrontation, Provokation und Veränderung sollte zum Nachdenken angeregt werden. Gabers Kommission wird sich beeilen müssen — zumindest von den Denkmälern für die Grenzsoldaten ist nicht mehr viel übriggeblieben. Die Steine an der Marx-Engels-Kaserne und der Scharnhorststraße wurden bereits aus der Verankerung gerissen, umgekippt und die Tafeln mit den Inschriften entfernt. Mehr als desolat ist auch die Gedenkstätte in der Schützenstraße. Die Metallbuchstaben an der Vorderfront wurden zum Teil abgeschlagen, die Feuerschale dient als Abfalleimer, überall liegen Glasscherben und Unrat. Auf dem untersten der vier übereinanderliegenden Steinquader prangt groß der Schriftzug »Mord«, einen Eindruck vom Niveau des von Gaber geforderten Auseinandersetzungsprozesses zeigt die Schmiererei eines Unbekannten: »Reinhold Huhn war ein roter Hahn.« Theo Weisenburger