: Andrzej Szczypiorski:
■ Ein „Brief an Rushdie“
Verehrter
Herr Rushdie,
teurer Kollege.
Vor drei Jahren, Anfang 1989, erlebte ich einen erhebenden Augenblick. In Wien wurde mir der österreichische Staatspreis für europäische Literatur überreicht. Kaum einige Monate zuvor — nach einigen Jahren erzwungenen Schweigens — erschien ich erneut als Schriftsteller für die Leser im eigenen Vaterland. Aber weiterhin blieb ich in Polen ein der Macht sehr unbequemer Bürger. Mit Mühe erhielt ich den Paß zur Ausreise nach Wien. Die offiziellen polnischen Repräsentanten nahmen an der feierlichen Preisübergabe nicht teil, um damit zu demonstrieren, daß die Regierung in Warschau mit der Entscheidung der Republik Österreich nicht einverstanden war.
Warum schreibe ich Ihnen davon? Vielleicht, um mit aller Kraft zu unterstreichen, daß jedwede Art politischer Verfolgung im Grunde keinerlei Einfluß auf den Verlauf des kulturellen Gschehens hat. Einen Schriftsteller kann man nicht mundtot machen oder ihn gegen seinen Willen zur Willfährigkeit gegenüber der politischen Macht zwingen. Sie beweisen das seit einigen Jahren im Kampf um die Wahrheit und die Verteidigung von Freiheit und menschlicher Würde. Sie sind weder vereinsamt noch vereinzelt, obwohl ich mir darüber im klaren bin, daß Ihr Schicksal schwierig und voller Bedrohungen ist.
Als ich in Wien meinen Dank für die ehrenvolle Auszeichnung vortrug, war ich ein freier Mensch. Der Lauf der Dinge stellte mein normales Leben wieder her. Aber ich machte mir bewußt, daß diese Freiheit keineswegs für andere Schriftsteller galt. Ich erwähnte damals die Namen zweier Autoren, deren Schicksal mir besonders schmerzhaft erschien. Damals sagte ich: „Es ist die Aufgabe unserer europäischen Würde, um das Leben von Salman Rushdie und die Freiheit von Vaclav Havel zu kämpfen.“
Ich erdreistete mich nicht, mein Schicksal mit Ihrem schweren Los oder mit demjenigen, dem Vaclav Havel jahrzehntelang ausgesetzt war, zu vergleichen. Als Schriftsteller war ich kaum einige Monate interniert, und das unter wenig dramatischen Bedingungen — sowohl in der Gefängniszelle als auch im Internierungslager. Es fällt schwer, überhaupt daran zu erinnern, wenn von den Gefängniserfahrungen Havels die Rede ist, und wohl noch schwerer, wenn es um das Ausmaß der Bedrohungen geht, die Ihre Existenz seit Jahren wie ein Alptraum begleiten. Wenn ich trotzdem an mein eigenes Los erinnere, dann um Ihnen zu zeigen, daß ich gut weiß, was Unterdrückung und Nötigung des Schriftstellers, Verfolgung des Bürgers bedeuten. Auch weiß ich, wie leidvoll ein Leben in der Konspiration ist und wieviel Widerstandskraft der viele Jahre andauernde Kampf verlangt. Zum Glück ist dieses Wissen unter der überwältigenden Mehrheit der europäischen und amerikanischen Schriftsteller nicht allgemein verbreitet, denn das Schicksal hat ihnen persönliche Erfahrungen mit einer totalitären Macht erspart. In diesem Sinne sind Sie mir sehr nahe, und ich empfinde für Sie besondere Solidarität, obwohl ich bisher — das muß ich offen zugeben — Ihr berühmtes exkommuniziertes Buch nicht gelesen habe. Vor kaum einigen Monaten erschienen Fragmente Ihrer Satanischen Verse in polnischer Übersetzung. Vielleicht klingt es paradox, aber ich glaube, daß eben diese Tatsache (daß ich Ihre Verse nicht gelesen habe) meine Solidarität mit Ihnen noch überzeugender, offensichtlicher und unbedingter macht.
Schließlich ist es überhaupt nicht wesentlich, was Sie in Ihren Satanischen Versen geschrieben oder nicht geschrieben haben, was Sie in Ihrem literarischen Werk ausgesagt und über was Sie geschwiegen haben, womit Sie sich auf diesen Seiten identifiziert und was Sie zurückgewiesen haben. Sie schrieben einfach das, was Sie schreiben wollten, das, was Sie von Ihrem Standpunkt aus als wichtig erkannten. Auf den Blättern dieses Buches veröffentlichten Sie Ihre Auffassungen, Ihre Wahrheit, Ihre Sicht der Dinge. Eben darin besteht Schriftstellerei. Schriftstellerei ist im Unterschied zum Beispiel zu Rechtsvorschriften nicht verpflichtend. Niemand hat die Verpflichtung, Ihre Bücher zu lesen. Wenn Sie bestimmten Leuten nicht gefallen, so müssen diese das, was Sie geschrieben haben, keineswegs lesen. Sie können etwas ganz anderes lesen oder auch überhaupt nichts. Davon stirbt man nicht. Man kann lange leben ohne ein einziges Buch, eine einzige Zeitung oder Reklame, ja sogar ohne ein einziges Gebet zu lesen; davon bekommt der Mensch nicht einmal einen Katarrh. Also, die Lektüre Ihres Werkes ist für den Leser eine Sache vollkommen freier Wahl. Und selbstverständlich kann man ein Narr sein, wenn man es will, denn die Literatur ist großmütig. Weder Sie noch ich beabsichtigen jemanden dazu zu überreden, unsere Bücher zu lesen. Vielleicht sind diese Bücher es gar nicht wert, vielleicht lohnt es nicht, sie zu lesen. Wer weiß das schließlich heute mit vollständiger Sicherheit? Jedenfalls gibt es Leute auf der Welt, die die verschiedensten Bücher lesen wollen, bessere oder schlechtere oder gar solche, die andere für Blasphemie halten. Also, die Menschen haben das Recht zu lesen, was Ihnen gefällt, genauso wie Sie und ich das Recht haben zu schreiben, was uns gefällt.
Ich äußere Selbstverständlichkeiten, treffe fast beschämend banale Feststellungen, und doch stellt Ihr Schicksal unter Beweis, daß man nach wie vor um solche Selbstverständlichkeiten, um die ungewöhnlichsten Banalitäten, aus denen nun einmal die gewöhnlichste menschliche Freiheit besteht, kämpfen muß.
Teurer Herr Rushdie. Gerade das ist tragisch, daß Ihre Sache am Ende des 20.Jahrhunderts ein Problem aufwirft, das — so könnte es einem naiven Träumer als alten Zeiten scheinen — bereits unsere Vorfahren gelöst haben. Also — sie haben es nicht gelöst. Ich denke hier an die elementaren menschlichen Rechte und Freiheiten, wie das Recht auf die Äußerung der eigenen Auffassungen, das Recht, seinem eigenen Gewissen zu folgen, das Recht auf Wahl der Weltanschauung und eines solchen Lebensstils, der dem Menschen am meisten zusagt und den er wünscht. Ihre Sache beweist, daß der Totalitarismus noch keineswegs am Ende ist. Jahrzehntelang mußte ich mich gegenüber dem Totalitarismus verschiedenster Färbung verteidigen, der mir das Leben, die Freiheit, die Würde, den Beruf, das Elternhaus nehmen oder etwas noch Schlimmeres erreichen wollte, nämlich mich davon zu überzeugen, daß es gegenüber dem Totalitarismus keinen Rat geben, man sich ihm unterwerfen und diesem Teufel seine Seele verkaufen müsse. Zum Glück gelang es mir, verschiedenen Versuchen zu trotzen, denn das Leben war recht gnädig mit mir; immer waren um mich herum rechtschaffene und mutige Menschen, die mir zuverlässig Rückhalt gaben — und an meiner Seite eine liebende und geliebte Frau, unerschütterlicher und mutiger als ich.
Sie, teurer Herr Rushdie, haben einen großen Teil der Menschheit hinter sich, der immer deutlicher versteht, daß der Anschlag auf Ihr Recht auch ein Anschlag auf ihr eigenes Recht ist. Persönlich nehme ich den Begriff Menschheit nicht gern über Gebühr in Anspruch, denn wenn von der Menschheit zu viel, dann ist vom Menschen zu wenig die Rede. Deshalb möchte ich, daß die Diskussion zum Thema Ihrer Lage nicht zu einer Diskussion über die allgemeine Lage der Menschheit wird, sondern vor allem eine über Ihr Schicksal. Jedoch meine ich, es ist etwas zu wenig, Ihnen Solidaritätsbriefe zu schreiben. Persönlich kann ich leider nicht mehr bewirken, denn ich habe nicht nur keine schweren Geschütze, sondern in der vergangenen Woche verlor ich auch noch mein geliebtes Taschenmesser.
Als Schriftsteller kann ich nur meine Stimme erheben, damit die Totalitären aus Teheran Ihnen endlich Ihre heilige Ruhe geben. Wie Sie schon wissen, erlebte ich den braunen und den roten Totalitarismus, jetzt habe ich dank Ihrer Sache zur Vervollständigung auch noch mit dem grünen Probleme. Grün, das ist in meinem Land eine Farbe, die die Hoffnung symbolisiert. Ich habe also die Hoffnung, daß das Problem mit Teheran nicht nur eine Sache Ihres Schicksals ist oder eine der Post, die Solidaritätsbriefe von Dutzenden von Schriftstellern zustellt, sondern daß es zu einem politischen Problem aller demokratischen Regierungen und Gesellschaften wird. Hier handelt es sich — meine ich — um eine moralische Verpflichtung aller Europäer. Schließlich ereigneten sich mit den Büchern sehr schlechte Dinge. Ich war ein Junge, als auf den Straßen deutscher Städte Bücher von Autoren verbrannt wurden, die einem bestimmten Hinkebein namens Goebbels nicht gefielen. Einige Jahre später begann man Menschen in Öfen zu verbrennen. Ich war da. Ich habe das mit eigenen Augen gesehen.
Eben deshalb meine ich, daß Ihre Sache zu einer Frage der Würde für alle Europäer wird.
Ich grüße Sie, Herr Rushdie,
sehr herzlich.
Andrzej Szczypiorski
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