: Demokratie, da man den Diktator wählt
Vier Jahre Demokratie brachten Südkorea viele Versprechungen und wenig Taten/ Politische Abstinenz der Bevölkerung vor Parlamentswahlen im März ■ Aus Seoul Peter Lessmann
Fast fünf Jahre ist es her, daß der damalige Kandidat der südkoreanischen Regierungspartei und heutige Staatschef Roh Tae Woo im Juni 1987 seine Demokratisierungserklärung vorlegte: Direktwahl des Präsidenten, Presse- und Meinungsfreiheit und vieles andere mehr gelobte er. Drei Jahrzehnte repressiver Militärdiktatur sollten für immer vergessen sein.
Heute ist die Aufbruchstimmung von 1987 längst einer breiten Ernüchterung gewichen. Der Präsident will zwar immer noch als der Mann in die Geschichte eingehen, der seinem Land die Demokratisierung brachte, zumal in sechs Wochen Parlamentswahlen anstehen und seine Amtszeit 1993 ausläuft.
Doch vor allem außerparlamentarische Gruppen schimpfen, die sechste Republik habe nicht gehalten, was sie versprach. Die Demokratisierung sei ins Stocken geraten und Menschenrechte würden auch heute noch grob verletzt. Die größte Oppositionspartei des charismatischen Führers Kim Dae Jung wirft der Administration totales Versagen vor allem in der Wirtschaftspolitik vor. „Präsident Roh soll nicht immer wieder seine Minister tadeln, er selbst ist der Hauptschuldige für das ökonomische Desaster“, sagt Kim Dae Jung.
Die Regierung steht seit mindestens zwei Jahren unter heftigem Beschuß — von links und von rechts. Roh muß sich Führungsschwäche vorwerfen lassen. Eine saubere Politik wollte er durchsetzen, Nepotismus und Korruption beseitigen, bisher ohne Erfolg.
Kein Wunder, daß sich immer mehr Südkoreaner von den Polit- Skandalen angewidert abwenden. Der tägliche Kampf ums Überleben ist ihnen allemal wichtiger als jedes politische Engagement. Bei den ersten Lokalwahlen 1991 gingen nur knapp über die Hälfte der Wahlberechtigten an die Urne. Koreaner hätten kein demokratisches Bewußtsein, dazu seien sie in den dreißig Jahren Diktatur nie erzogen worden, klagt Professor Cho Chang Hyun von der Hanyang-Universtität. Demokratie in dem ostasiatischen Land, behaupten dagegen böse Zungen, bedeute die Freiheit der Menschen, ihren Diktator selbst wählen zu dürfen.
Denn es gibt einige dunkle Flecken auf Rohs weißer Weste. Das undemokratischste aller Gesetze, das berüchtigte Nationale Sicherheitsgesetz, ist nicht abgeschafft. Über 500 Regierungskritiker sitzen nach Angaben des nationalen Kirchenrates wegen Gesetzesverstößen in Haft. Über 300 Gewerkschaftler wurden wegen „Störung des Betriebsfriedens“ oder Einmischung in Arbeitskonflikte zu Gefängnisstrafen verurteilt.
Auch die Anwendung von Folter in Untersuchungshaft ist keineswegs ausgemerzt. Aber es gibt auch das: Im Januar entschied ein Zivilgericht für die Klage des Dissidenten Kim Kun Tas, der vor fünf Jahren schwer gefoltert worden war, und erkannte ihm eine Entschädigung von 100.000DM zu. Und der Oberste Gerichtshof verbot, ebenfalls im Januar, der Staatsanwaltschaft das Mitschneiden von Gesprächen zwischen Untersuchungshäftlingen und deren Anwälten.
Diese und andere leichte Verbesserungen zeigen, daß die sechste Republik, wenn auch von Demokratie noch weit entfernt, ein anderes Gesicht hat als ihre Vorgängerin unter dem Diktator Chung Doo Hwan. Die ehemals enge Verflechtung zwischen Politik, Wirtschaft und Militär bricht langsam auf, auch wenn die Regierung die mächtigen Konglomerate noch mit Samthandschuhen anfaßt. Gewerkschaften wurden gegründet, und die regierungskritische Tageszeitung 'Hangyoreh Shinmun‘ stieg in wenigen Jahren zu einem der bedeutendsten Blätter des Landes auf.
Ihre innenpolitischen Fehlleistungen versuchte die Regierung zu einem Großteil durch außenpolitische Erfolge zu kaschieren. Die sogenannte „Nordpolitik“ Rohs, die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit den ehemaligen sozialistischen Staaten in Osteuropa und die Wiederaussöhnung mit dem kommunistischen Bruderstaat Nordkorea, verlieh der Regierung die besten Noten im westlichen Ausland. Widersprüche sind und bleiben offenkundig ein Grundprinzip der sechsten Republik.
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