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Zwei gleichwertige Volkswirtschaften?

Für Außenminister Genscher gibt es kein Handelsungleichgewicht zwischen Japan und Deutschland  ■ Aus Tokio Georg Blume

Hans-Dietrich Genscher hat sich in Tokio beliebt gemacht. Da war viel von gemeinsamen globalen Herausforderungen die Rede, da dachte der Bundesaußenminister mit den Japanern über die Reformen im Weltsicherheitsrat der Vereinten Nationen nach, und noch manches andere große weltpolitische Thema stand auf der Tagesordnung. Doch eines ließ Genscher in Tokio unerwähnt: Die Handelsprobleme, vom Bilanzdefizit bis zur Importhürde, die in den japanischen Beziehungen zu den USA und zur EG in Brüssel längst die Hauptrolle spielen, blieben in den ersten offiziellen deutsch-japanischen Konsultationen seit sechs Jahren völlig ausgeklammert.

Der Bundesaußenminister beschränkte sich in Tokio auf Warnungen vor einem „gegnerischen Denken“ gegenüber Japan oder gar einem neuen „Japan-Antagonismus“. Zwar wies er auf die „nicht rosigen“ Aussichten der Weltwirtschaft hin, doch stand es ihm fern, Japan aufgrund seines im Westen nicht unumstrittenen Wirtschaftsverhaltens anzusprechen, geschweige denn anzuklagen. Es mußte also der Eindruck entstehen, wirtschaftlich stehe es zwischen Deutschland und Japan zum Besten.

Dem aber ist bei weitem nicht so. Allein von Januar bis Oktober des letzten Jahres erwirtschaftete sich Japan einen Rekordüberschuß von 20 Milliarden DM im deutsch-japanischen Handelsvergleich (1990: 15,5 Mrd. DM). Während die deutschen Einfuhren nach Japan 1991 stagnierten (13,6 Mrd. bis Oktober), hatte die japanische Seite mit Exporten über 33,6 Mrd. DM im Oktober bereits das Handelsvolumen des ganzen Vorjahres übertroffen.

Doch nicht nur beim Warenaustausch, auch beim Vergleich der gegenseitigen Investitionen zeigt sich der deutsche Rückstand: Auf Investitionen von vier Milliarden Mark hatten es die deutschen Unternehmen Ende 1989 in Japan gebracht. Dem steht die mehr als doppelt so hohe Summe von 9,2 Mrd. DM japanischer Investitionen in Deutschland gegenüber. Alle ökonomischen Trends deuten zudem darauf hin, daß sich an dem Ungleichgewicht mit Japan in den nächsten Jahren nichts ändern wird. Ganz im Gegenteil: weltweit stieg der japanische Handelsbilanzüberschuß 1991 um 50Prozent auf 78 Mrd. Dollar.

Bundesaußenminister Genscher freilich scheinen die Zahlen wenig zu stören. Ihm genügte es völlig, Deutschland und Japan als „zwei in etwa gleichwertige Volkswirtschaften“ zu definieren. Wer dem aufgrund der Entwicklungen im Welthandel und dem technologischen Vorsprung Japans in vielen Bereichen nicht mehr glauben will, läuft schnell Gefahr, vom Globaldenker Genscher der handelspolitischen Kleinkariertheit verdächtigt zu werden.

Da paßt es auch ins Bild, wenn Genscher — statt vor Japans wirtschaftlichem Größenwahnsinn zu warnen — diese Partie selbst mitspielt. Deutschland und Japan wären „geradezu geschaffen dafür“, miteinander strategische Allianzen zwischen großen Unternehmen zu begründen, postulierte Genscher in Tokio.

Der liberale Bundesaußenminister betonte, daß sich Japan und Deutschland bei den strategischen Allianzen „ergänzen können“. Allzu deutlich klang dabei durch, daß sich Genscher während seiner Vorgespräche in Bonn von Daimler-Benz- Chef Edzard Reuter begeistern lassen konnte, der gerade versucht, eine solche strategische Allianz mit der japanischen Mitsubishi-Gruppe aufzubauen.

Der in wirtschaftlichen Fragen stets harmoniebetonte Auftritt Genschers in Tokio fällt gerade deshalb ins Gewicht, weil alle hohen Gäste aus Europa und den USA, die dem Bundesaußenminister in den letzten Monaten zuvorkamen, ganz andere Gewichte legten. So hatte James Baker, der US-amerikanische Außenminister, erst im November von Japan die „Schaffung eines für ausländische Wettbewerber förderlichen Geschäftsklimas“ gefordert. Auch der Präsident der EG-Kommission, Jacques Delors, sprach während seines Tokio-Besuchs im Mai 1991 von den „ausgrenzenden und unfairen“ Handelspraktiken japanischer Unternehmen und stellte dabei noch eine ganz andere Frage in den Mittelpunkt: „Das wirkliche Thema (zwischen Japan und Europa — d.R.)“, meinte Delors in Tokio, „ist die technologische und industrielle Abhängigkeit.“

Im privaten Gespräch teilt Hans- Dietrich Genscher die Sorgen über die technologische Abhängigkeit von Japan. Aber er hat sie in Tokio nicht zur Sprache gebracht. Bleibt die Frage, ob es im Gespräch mit Japan reicht, ein guter Diplomat zu sein. Bei aller Höflichkeit denken Japans Regierende doch stets auch in Profiten. Kein Wunder also, daß sie keine Gründe fanden, sich gegenüber dem Deutschen zu beklagen.

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