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ZWISCHEN DEN RILLEN

■ Wenn Katzen fliegen könnten, müssten Vögel Schwerter tragen: Lemke/Müller

Auch wenn man Musiker, die schon seit über zehn Jahren Musik machen, kaum als Debütanten bezeichnen kann, bemerkte Helmut Lemke anläßlich ihrer Berliner record release party der im Eigenverlag erschienenen ersten CD des Duos Lemke/Müller und ihres dortigen Auftritts: „Die Mischung von Konzert und Verkauf ist neu!“

Lemke, der als Performance-Musiker unter anderem auf der documenta8 oder der WDR- Veranstaltungsreihe art music interface tätig war, beherrscht die elektronische Klangerzeugung sowie den lautmalerischen freien Umgang mit den Blasinstrumenten und dichtet skurrile Lied-Texte, mal gesprochen, mal gesungen, mal mit, mal ohne Wortsinn.

Ergänzt wird das Duo durch Andreas Müller, der sich auch auf den Vortrag dieser Poesie versteht und ihr mit E-Gitarre und -Bass den nötigen Drive gibt. Müller kam vom Blues, fand dann Gefallen an experimenteller Musik, die ihn mit Lemke in der Formation No mask zusammenführte, ein Trio, das den Tanz Tadashi Endos begleitete. Mit seinem jüngsten Projekt 40Sekunden ohne Gewicht ließ Müller unlängst das Berliner WMF im Industrial Sound erzittern.

Auf ihrer CD Monophobie der Pelikane, die mit dem wichtigen Hinweis versehen ist: „Crackling noises are OK! Don't hesitate!“, träumen Lemke/Müller die Süss(en) so süss(en) Träume, die auf Knopfdruck verfügbaren, von denen sie lebhaft Gebrauch machen: mehrspurige collagenartige Miniaturen, musique concrète, elektronische Klänge und Geräusche, die sich mit dem Blues und dem Free-Jazz mischen.

Sie träumen die Irre(n) und Wirre(n) Träume vom entschwundenen Idol Captain (Beefheart) und dem ohnmächtigen Hemingway wie von der verpaßten Revolte „zurück '69 war ich noch ein bubblegum“ und den vielfältigen Mythen des Alltags, wie in dem schwungvollen Liedzyklus Do what the elephants do.

Ein englisches Kinderlied (Nursery's delight) kommt in urban and western Manier daher, eingebettet in elektronische Geräuschwelten, deren Monotonie durch eine improvisierende E-Gitarre konterkariert werden, um schließlich in den Originalton „Kinderlachen“ einzumünden.

Zwei freie Instrumentalimprovisationen bilden Anfang und Ende der CD: If cats could fly... und ...birds should have swords. Liest man das in einem Satz, erhält man die Botschaft. Und wie in jeder guten Fabel wimmelt es zwischen diesen beiden Titeln nur so von manipulierten Kreaturen.

Deutsche Würmer graben sich durch den Lärm der Arbeitswelt, Schreie verhallen, Flüstern erstirbt in ungeheurer Geschäftigkeit. Englische Würmer werden von der verzerrten Ansprache einer vor letzten Gewißheiten triefenden Stimmme und einem treibenden Basslauf in ekstatische Free-Jazz-Zuckungen versetzt.

Und natürlich die Pelikane! Die monophobischen karierten Pelikane, die sich mit allerlei Sinnlosem beschäftigen, bemüht, nicht auf die Wand zu schauen, denn dort sitzt die Angst, die grinst und soviel Zeit hat und so weiter und so weiter... (Lied über eine Angst).

Lemkes Texte sind bizarr bis irrwitzig und lassen Einsichten ebenso zu, wie sie sich gleich darauf solchen wieder verschließen. Ein Pate ist bereits benannt, Captain Beefheart alias Don van Vliet, auch wenn der Versuch, ihn direkt zu imitieren (Los clavos del Don), das stimmliche Original auch nicht annähernd erreicht. Vorbilder sind natürlich auch The Blech, Der Expander des Fortschritts oder Cassiber und, was die deutsch- folkloristischen Gesangseinlagen der Zwei angeht, das legendäre Sog. Linksradikale Blasorchester.

Alles in allem ein gelungener Einstand des Duos Lemke/Müller. Aber eine Schwalbe macht noch keinen Sommer, würde ich hinzufügen, wären da nicht Lemkes Zeilen: „Den Sommer bringt die Schwalbe nicht, zu hoch ist ihr der Preis!“

Lemke/Müller: „Monophobie der Pelikane“. El capitano edition (H.Lemke, Bremer Str.31, 4800 Bielefeld).

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