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Traditionelle Revolte

■ Getanzte Hommage an Valeska Gert in der Theatermanufaktur

Als Zeitgenosse des auslaufenden zwanzigsten Jahrhunderts etwas wirklich Neues, etwas nie Dagewesenes zu erschaffen, und das ausgerechnet auf künstlerischem Gebiet— das hört sich nach Utopie an, nach einem Privileg längst verflossener Zeiten. Damals, in den Golden Twenties, den Jugendjahren unseres mittlerweile angegrauten Jahrhunderts, war das noch etwas ganz anderes. Auf dem Hintergrund wilder Experimente mit neuen Gesellschaftsformen bot sich kreativen Genies der ideale Nährboden für revolutionäre Ideen. Ob Malerei, Musik oder Theater, neue Stile schossen wie Pilze aus dem Boden. Vor diesem explosiven Hintergrund konnte sich eine Persönlichkeit wie Valeska Gert entfalten, die von sich selber sagte, daß sie bloß Medium einer Zeit und einer Gesellschaft war, die sich an ihr ausdrückte.

Valeska Gert, die Tänzerin und Schauspielerin, ein Star der Zwanziger, aber mehr noch eine ständige Provokation, ein Skandal. Sie schlug die mechanistische Körperauffassung des traditionellen klassischen Balletts in den Wind. Mit ungestümen Verrenkungen, einer extremen Mimik und wilden primitiven Melodien und Lauten, transportierte sie ihre Message: nichts lebte sie, als immer wieder nur sich selbst. Für ihre Auftritte probte sie nicht, sondern entwickelte alles in einer Art Happening vor dem Publikum. Der rationalen Ästhetik des neueren Abendlandes begegnete sie mit einer Explosion der Sinne, mit barbarischer Ursprünglichkeit, bis sie der aufkommende Faschismus in eine Art Lähmung versetzte, aus der sie sich, trotz anhaltender Erfolge in New York und Paris, nie wieder erholte.

Wie bereits erwähnt, die Dinge stehen heute anders, das Jahrhundert ist in die Jahre gekommen. Der revolutionäre Elan — dahin, die sozialistische Utopie — demaskiert. Heute lehnt man sich wohlgenährt im Sessel zurück und grübelt über sinnvolle Freizeitgestaltung. Eine Valeska Gert ist — zumindest in unseren Breitengraden —, nicht denkbar.

Trotzdem oder gerade deshalb setzen sich die Eleven der Tanzfabrik auf die Spuren der Altmeisterin. Wohlwissend, daß eine Person, die sich selbst lebt, nicht kopierbar ist, zeigen sie eine eigene Show und zerren auch kein nachgeäfftes 20er-Jahre-Ambiente auf die Bühne. Statt sich mit der ungestümen Tanzerei der Gert zu versuchen, benutzen sie Stilrichtungen eines jüngeren Datums, Elemente aus Modern Dance, New Dance und Kontaktimprovisation ergeben eine unkonventionelle Mischung. Einen Hauch von Cabaret bringt Gayle Tufle als eine Art Conferencieuse in die Show. Ihren Rubenskörper präsentiert sie im Mini über netzbestrumpftem Schenkel. Mit volltönender Soulstimme versetzt sie die Luft überm Tanzboden in Schwingung, wann immer dieser nicht von den Füßen der Tänzer erzittert.

Vor allen Dingen aber wird getanzt, in flottem Wechsel vom Solo-, Paar- und Kleingruppentanz bis hin zur Massenszene. Ein kriegerisches Spiel mit zwei großen Tonnen und mehreren Tischen versammelt das ganze Ensemble auf den Brettern. Gefährlich rollen die blechernen Monstren über den Boden, mit akrobatischem Geschick werden sie bezwungen. Dann geht es slapstickartig rund um den Blechnapf, der allerdings leer bleibt, während die Conferencieuse als braunbekittelte Schlächtermeisterin rohes Fleisch mit dem Beil zerhackt.

Die tänzerische Leistung der Tanzfabrik-Eleven ist gleichbleibend überzeugend, zumal ein wichtiger Part wegen Krankheit kurzfristig ersetzt werden mußte. Die Musik von Michael Rodach, teils live gespielt, teils aus der Konserve, ist ungewöhnlich und gut auf die Show abgestimmt. Aber dennoch: trotz der kleinen humoristischen Einlagen, trotz der Selbstironie der Programmmutti Tufle und der Fülle von Inszenierungsideen — die Show wirkt nicht richtig rund. Eine streckenweise leider lauwarme Collage, die vor allem eins nicht vermag: das Erbe der Gert wirklich anzutreten. Das Provokative, Ungestüme, das Barbarische fehlt. Die Übersättigung der Postwirtschaftswunderära gerät den Tanzfabriklern zum Fallstrick, der Show haftet etwas Hausbackenes an. Der Riss — dieser Titel soll den konsequenten Bruch der Gert mit gesellschaftlichen Konventionen symbolisieren. Die jungen Künstler sehen sich in der Tradition dieser Revolte, aber eine Revolte ist immer ursprünglich und aus dem aktuellen Zeitgeschehen geboren. Eine Revolte hat eben keine Tradition! Jantje Hannover

Der Riss wieder ab 18.2. bis zum 23.2. um 20.30 Uhr in der Theatermanufaktur am Halleschen Ufer 32, Kreuzberg

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