: Grüne Beziehungskisten in Hessen
Das Politmanagement der Grünen als Juniorpartner in der hessischen Landesregierung ist nur scheinbar sicher. In der Fraktion und an der Basis rumort es immer heftiger. ■ VON KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT
Mit „Veuve Cliquot“ und kleinen Häppchen feierte die Landtagsgruppe der hessischen Grünen in der vergangenen Woche im kurfürstlichen Schloß den 37. Geburtstag von Irene Soltwedel (MdL): Harmonie satt — hatte doch ausgerechnet das Geburtstagskind im Vorfeld der Party der grünen VolksvertreterInnen für schräge Töne bei den „Fischer-Chören“ gesorgt. Die Landwirtschaftsexpertin aus dem Vogelsberg forderte in einem der Presse zugespielten Brief an den Fraktionsvorstand ein Ende der Politik der Unterwerfung unter die „Koalitionsraison“. Für Soltwedel haben die Grünen in dieser rot-grünen Koalition nur dann eine echte Überlebenschance, wenn sie „eigene politische Vorschläge herausarbeiten und am grünen Profil festhalten“.
Daß Soltwedel von diversen Kolleginnen und Kollegen aus der Fraktion danach in die Ecke der notorischen Querulanten gestellt wurde, hat das Klima innerhalb der von Rupert von Plottnitz (51) geführten Landtagsgruppe temporär bis an die Frostgrenze absinken lassen. Auf einer rasch einberufenen Fraktionssitzung, auf der nach Auffassung von Irene Soltwedel „inhaltlich nichts geklärt“ wurde, verständigten sich die Kontrahenten um Soltwedel und die Abgeordnete Senta Seip auf der einen und um den Fraktionsgeschäftsführer Reinhold Weist auf der anderen Seite auf ein Stillhalteabkommen — bis zur Aufarbeitung der Sachkonflikte, die zur Schieflage der grünen Stimmungskiste führten. Und auch Umwelt- und Energieminister Joschka Fischer, der als stellvertretender Ministerpräsident und Kabinettsmitglied die Vorwürfe von Soltwedel an die Adresse der Fraktion offenbar auch als Kritik an seiner politischen Arbeit wertete, ließ einen bereits geschriebenen geharnischten Brief an die unbotmäßige Abgeordnete vorerst in der Schublade liegen. Immerhin hängt die sozial-ökologische Koalition im Landtag am berühmten seidenen Faden: SPD und Grüne verfügen nur über die hauchdünne Mehrheit einer Stimme — und das macht den Umgang auch der grünen Haudegen mit den „Dissidenten“ in den eigenen Reihen problematisch. Es war Irene Soltwedel, die sich im April 1991, kurz nach der Geburt einer Tochter, vom Kreißsaal in den Plenarsaal des hessischen Landtags schleppte, um die Wahl von Hans Eichel zum Ministerpräsidenten zu ermöglichen. Und es waren grüne Männer, die damals um Soltwedel und ihr Baby eine riesige Medienshow inszenierten.
Verkehrspolitisches Maßnahmepaket adieu
Inhaltlich kritisierte Soltwedel in ihrem Brief vor allem „Defizite“ in der Verkehrspolitik — „bislang einer der Schwerpunkte in der Fraktion und der Partei“. Nach zehn Monaten rot- grüner Regierung müsse festgestellt werden, daß der landespolitische Spielraum zur Verbesserung der desolaten Zustände in der Verkehrspolitik „in keinster Weise genutzt“ worden sei. Zwar habe die Partei mit einem „Maßnahmepaket“ in Sachen Verkehrspolitik den Wahlkampf bestritten, doch der sozialdemokratische Wirtschafts- und Verkehrsminister Ernst Welteke habe bislang wenig Bereitschaft gezeigt, auf die Vorschläge des grünen Koalitionspartners einzugehen. Zum ersten Eklat innerhalb der grünen Landtagsfraktion kam es, als die Verkehrsexpertin der Fraktion, Senta Seip, öffentlich die Mißachtung der Koalitionsbeschlüsse in Sachen Verkehr durch Welteke beklagte. Danach sei das Thema in die Koalitionsrunde eingebracht worden — „ohne sichtbare Verbesserung“. Soltwedel und Seip werfen der Fraktionsspitze deshalb vor, sich innerhalb der Koalitionsrunde nicht energisch genug eingesetzt zu haben. Soltwedel: „Im Falle der Weiterentwicklung einer rot-grünen Verkehrspolitik sollten die Fraktion und der Fraktionsvorstand keineswegs als verlängerter Arm der Regierung auftreten und wirken, sondern immer wieder das eigene grüne Profil deutlich machen.“ Daß eine schlichte Große Anfrage von Seip zur Verkehrssituation in Hessen vom Fraktionsvorstand „auf Halde“ gelegt wurde, weil — so Soltwedel — damit der Verkehrsminister „verärgert“ werden könnte, sei ein Skandal. Ein weiterer Skandal seien die Überlegungen des Fraktionsvorstandes, der Verkehrsexpertin Seip den parlamentarischen Geschäftsführer als Kontrollinstanz zur Seite zu stellen, damit Divergenzen zwischen dem SPD-Minister Welteke und grünen Positionen nicht mehr an die Öffentlichkeit gelangen könnten. Soltwedel: „Da wird versucht, politischen Sachverstand unter Kuratel zu stellen.“
Auf der Fraktionssitzung in der vergangenen Woche hatte Rupert von Plottnitz versucht, der Debatte die „Schärfe einer persönlichen Auseinandersetzung unter den ParlamentarierInnen“ zu nehmen. Die Grünen, so der Fraktionschef, seien nie ein „Club der Ja-Sager“ gewesen — „auch nicht unter Koalitionsbedingungen“. Und auf der Fraktionssitzung seien sich „alle“ einig gewesen, daß inhaltliche Kritik nicht per Kabinettsbeschluß oder auf Anweisung der Fraktionsführung vom Tisch gewischt werden dürfe. Was den Umweltminister und Teile der Fraktion allerdings in Harnisch gebracht habe, sei der Gang von Soltwedel an die Öffentlichkeit gewesen — „vor einer Aussprache in der Fraktion“. Generell, so von Plottnitz, sei es „halt nicht ganz einfach“, in einer Koalition der Programmatik des kleineren Partners zum Durchbruch zu verhelfen: „Wir haben bei den Landtagswahlen 8,8Prozent bekommen, die SPD 40Prozent. Zur Strafe dafür, daß wir Teile unseres Programms über diese Koalition durchsetzen können, müssen wir auf anderen Politikfeldern in saure Äpfel beißen.“
Müllofen unter Fischers „Protektorat“
Doch die werden nicht im hessischen Landtag, sondern vor Ort an der Basis „gegessen“: Bürgerinitiativler und Grüne, vor allem in Nordhessen, warten bislang vergeblich auf das im Wahlkampf offerierte Nachtfahrverbot für Lkw auf den Bundesstraßen, die parallel zu Autobahnen verlaufen. In Südhessen müssen die Grünen im Landkreis Groß-Gerau damit fertig werden, daß die Planungen für den Bau des dritten Giftmüllofens in Biebesheim so weiterlaufen, wie sie unter Joschka Fischers Vorgänger Weimar (CDU) konzipiert wurden. Als Weimar 1988 den Bau dieses Riesenofens ankündigte, warfen ihm die damals noch oppositionellen Landtagsgrünen den „Bruch eines Wahlversprechens“ vor, denn im Landkreis und auf Landesebene hatte sich auch die CDU gegen den Ofenbau ausgesprochen. Doch „Regieren geht über Studieren“ (Fischer): Auch unter der rot-grünen Landesregierung scheint — wie unter schwarz-gelb — der dritte Giftmüllofen unverzichtbare Notwendigkeit zu sein. Schließlich hat das Land den Chemiemüll diverser Industriegiganten, vor allem aus dem Rhein- Main-Gebiet, zu entsorgen. Und eines hat sich Joschka Fischer nach dem Verlust der Regierungsverantwortung im April 1987 geschworen: „Nie wieder Mülltourismus.“ Mit dem von Seiten der Bürgerinitiativen heute erhobenen Verratsvorwurf an die Adresse des Umweltministers im speziellen und an die der Partei im allgemeinen müssen die vor Kommunalwahlen stehenden Grünen vor Ort heute leben. Kreisvorstand und Kreistagsfraktion sprachen denn auch vor Monatsfrist von einem „Dissens“ mit dem eigenen Umweltminister und forderten den umgehenden Abriß der beiden bereits seit Jahren in Betrieb befindlichen Giftmüllöfen — „an dem Tag, an dem der dritte Ofen unter dem Protektorat Fischers in Betrieb genommen wird“.
„Es ist aus der Sicht des Natur- und Landschaftsschutzes berechtigt, daß sich Bürgerinitiativen und Umweltschutzverbände gegen dieses Vorhaben zur Wehr setzen“, merkte der grüne Landtagsabgeordnete Karl Kerschgens in einer Parlamentsdebatte zum Thema Stromtrasse Mecklar-Vieselbach (West-Ost) an. Gebaut wird sie — nach dem Willen der rot-grünen Landesregierung — trotzdem. Und Kerschgens brachte am 30.Januar vor dem Landtag das rhetorische Kunststück fertig, beide Positionen unter einen Hut zu bringen. „Die Grünen bestehen auf einem transparenten Verfahren, bei dem kein Einwand und keine Alternative unter den Tisch fällt“, sagte Kerschgens. Im Klartext: Wenn wir den Bau dieser Trasse schon nicht verhindern können, werden die Grünen zumindest darauf achten, daß die Verfahrensschritte offengelegt werden. Ob sich damit — neben den Bürgerinitiativen und den Parteigängern vor Ort — auch die aufgebrachten Parteikollegen in Thüringen, die in ihrem Landtag den Ost-West-Trassenbau seit Monaten bekämpfen, letztendlich befrieden lassen, bezweifeln selbst überzeugte Trassenbaubefürworter im hessischen Umweltministerium.
Rüder Umgangston grüner Minister
Es gärt im grünen Musterländle zwischen Hohem Meißner und Bergstraße: Und gerade im Landkreis Bergstraße hauten sich die Grünen untereinander wie die Kesselflicker und drängten — nach einem Kesseltreiben — eine der wenigen hauptamtlichen Kreisbeigeordneten der Grünen aus der Partei. Die Umweltbeigeordnete im Kreis Bergstraße war in die Schußlinie geraten, weil in Fischers Umweltministerium Kritik an ihrer Arbeit laut geworden sei. In das einhellige Lob für Joschka Fischer etwa für seine konsequente Anti-Atompolitik mischen sich deshalb an der Basis — aber auch im Überbau — immer öfter kritische Töne. Und selbst noch in der Landtagsfraktion werden dem Minister „Allmachtsphantasien“ unterstellt. Bei einigen in der Landtagsfraktion ist Fischer bereits zum „Abkanzler“ avanciert. Und die gescholtene Verkehrsexpertin Seip schrieb sich ihren Unmut in einem Brief, den sie dann zurückzog, von der Seele: „Der Umgangston Reinhold Weists und Joschka Fischers ist unter zivilisierten Menschen untragbar und Ausdruck struktureller Gewalt.“ Bereits vor Jahresfrist hatte sich eine andere prominete Grüne öffentlich gefragt, was wäre, wenn Fischer eines Tages — was Gott verhüten möge — von einem Lastwagen überfahren werden sollte? Auch dann, so ihre Antwort, müsse die Partei in Hessen weiter existieren können.
„Und sie wird weiter existieren“, sagte Rupert von Plottnitz. Die Frage sei dann nur noch, wie? Die Grünen, so der passionierte Tennisspieler weiter, müßten aber „mit dem Klammerbeutel gepudert“ sein, wenn sie den Wert Fischers für die Partei — „und etwa im Atombereich“ — auch für die Durchsetzung grüner Programmatik herunterspielen würden. Darüber hinaus sei Fischer doch der „graue Parteisoldat par excellance“, der Debatten und Diskussionen anleiere und sich auch nicht scheue, vor Ort Stellung zu beziehen. Das eigentliche Problem, so von Plottnitz abschließend, sei der noch nicht gänzlich abgeschlossene Übergang der Grünen von einer Bürgerbewegung hin zu einer „wirklichen Partei“. In diesem Prozeß sei Standhaftigkeit gefragt — auch und gerade gegenüber Forderungen aus dem Spektrum der Bürgerinitiativen, die politisch nicht durchsetzbar sind. Denn „in Gefahr und höchster Not bringt stets der Mittelweg den Tod“.
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