Ganz schön üppig

■ Tatort „Camerone“, ARD, Sonntag, 20.15Uhr

Deutschland, du hast es schlechter. Hierzulande ist es schon eine kleine TV-Sensation, wenn der abgehalfterte amerikanische Serienheld Robert Vaughn (Solo für O.N.C.E.L.) in einer ARD-Produktion sein zugegebenermaßen beeindruckendes Kinn eine gute Viertelstunde lang über den Bildschirm schiebt. Schon sehr schnell und unvermittelt wird Vaughn mittels Plastiksprengstoff auf der Hoteltoilette während der Verrichtung seiner Notdurft in viele kleine Stücke zerlegt. Die geheime Lust an Splatter und schwarzem Humor wird bei der Begehung des Tatorts gestillt, wo eine verkohlte Hand kokett unter einer Plastikplane hervorlugt.

Hans-Christoph Blumenberg, Regisseur und Autor des ARD-Tatorts Camerone vom Saarländischen Rundfunk, war früher Filmkritiker und hat sich von damals eine nicht zu unterdrückende Lust am Zitat erhalten. Seine Drehbücher sind deshalb selten aus dem Leben gegriffen, sondern eher ein Sammelsurium aus den vielen Filmen, die Herr Blumenberg während seiner ersten Profession gesehen hat. Wenn er noch selbst Regie führt, zerfasern Blumenbergs Arbeiten endgültig, gibt er sich hemmungslos seinem Hang zum Versatzstück aus der Filmgeschichte hin. Dies führt bei Camerone zu einem hoffnungslos postmodernen Inhaltsmantsch: vom Dienst suspendierte Bullen, Bullen mit privaten Problemen und Bullen auf dem Weg zum Seitensprung, mißhandelte Frauen und genervte Polizistengattinen, die herzensgute Prostituierte, Sandkastenfreundschaft zwischen Verbrecher und Gesetzeshüter, harte Jungs von der Fremdenlegion. Klischees, die gerne zu mehreren in einer Person vereinigt werden. Ganz schön üppig für die heiligen 90 Minuten. Blumenberg versucht es trotzdem und rollt den nicht nur übergewichtigen, sondern auch überforderten Nichtdarsteller Jochen Senf als Kommissar Palu durch seine zusammengestöpselte Geschichte, die hier nur ansatzweise wiederzugeben den Rahmen sprengen würde. Und die zudem auch noch Lücken im Sinnzusammenhang aufweist.

Camerone besitzt viele Einstellungen und Sequenzen, die, für sich betrachtet, jenseits des Fernseh-Alltags liegen. Etwa der Toilettentod oder die Idee, den Fruchtverkäufer Hugo Egon Balder als Sensationsreporter, also genau den Widerling, den er auch sonst darstellt, mittun zu lassen. Lobenswert auch, das zum Gähnen langweilige und in der Tatort-Reihe so beliebte „Who-dun-it“- Prinzip in die Aservatenkammer zu befördern. Im Ganzen ist das Blumenbergsche Patchwork aber etwas zusammenhanglos, und vor allem fehlt Camerone die logische Stringenz. Und es gibt keine größere Sünde für einen Krimi als diese. Thomas Winkler