: Somalia: Für eine afrikanische Friedens- truppe
■ Ein blutiger Bürgerkrieg verwüstet Somalia, das seit dem Sturz der Militärdiktatur Siad Barres in ein politisches Vakuum gerutscht ist
Seit nunmehr fast einem Jahr ist Somalia, befreit von der Tyrannei Siad Barres durch die Waffengewalt seiner Gegner, sich selbst überlassen. In der Abwesenheit einer reellen oder juristischen Macht, die in der Lage wäre, die Sicherheit von Personen und Gütern und die Integrität des nationalen Territoriums zu garantieren, liegt die Pflicht zur Rettung des gefährdeten somalischen Volkes bei der internationalen Gemeinschaft — insbesondere bei der UNO, der OAU und der Arabischen Liga.
Die Realisierung dieser Pflicht würde in diesem Kontext bedeuten, eine humanitäre Intervention zu unternehmen, wie es in Liberia die ECOMOG-Streitkräfte der westafrikanischen Gemeinschaft unter dem Impuls Nigerias trotz verschiedener Schwierigkeiten lobenswerterweise unternommen haben. Anders als nach dem Prinzip der Vereinten Nationen, wonach die Intervention einer Friedenstruppe eine vorherige Übereinkunft der Kriegsparteien erfordert, kann die humanitäre Intervention angesichts der Dringlichkeit der Bedrohung für die Bevölkerung auch ohne eine solche Übereinkunft geschehen, sobald es sich als unmöglich erweist, die rebellierenden Fraktionen zur Übereinkunft zu bewegen.
Friedensmission — ein zivilisatorischer Akt
In dieser Perspektive erhält die Friedenstruppe eine Doppelrolle: Zuerst muß sie mittels einer bewaffneten Polizeiaktion gegenüber den Fraktionen den Frieden herstellen; dann muß sie den Frieden erhalten, um die eigentlich humanitäre Aktion zu ermöglichen — also die Evakuierung von Verwundeten, die Einrichtung von Krankenstationen, die Verteilung von Lebensmitteln, die Beherbergung der Obdachlosen, die Wiederherstellung der lebenswichtigen Infrastrukturen wie Wasser- und Stromversorgung, Straßen- und Eisenbahnnetz und Häfen.
Es versteht sich von selbst, daß die Friedensmission eine Evaluierung und eine Anerkennung der Bedrohung beinhaltet, die in einem Land herrscht, das der Anarchie rebellierender Fraktionen ausgesetzt ist. Die Zustimmung der Staaten, ihre Truppen zu entsenden, öffnet in der Geschichte der Friedenserhaltung zu humanitären Zwecken ein neues Kapitel, denn die Machtausübung einzig und allein aus dem Motiv, das Recht zur Rettung von Menschenleben in Anspruch zu nehmen, ist ein zivilisatorischer Akt. Die Erneuerung des humanitären Völkerrechts in der Nach-Jalta-Ära gibt den nationalen Armeen eine neue Funktion.
Nigeria — für die schwarzafrikanischen Staaten — und Ägypten — für die arabischen — haben in Anbetracht ihres Pflichtbewußtseins und ihrer Machtausübungsfähigkeiten die notwendigen Qualitäten, sich diesem Problem zu stellen. Wohlgemerkt unter der Bedingung, daß der amtierende Präsident und der Generalsekretär der OAU in Zusammenarbeit mit den Generalsekretären der UNO und der Arabischen Liga eine offizielle Anfrage an diese beiden Länder richten. Als letzter Schritt könnte diese Wahl vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen abgesegnet werden, falls dieser sich damit befassen sollte, um ihr die Kraft des Völkerrechts zu verleihen.
Doch längerfristig drängt sich eine tiefere Reflexion sowohl auf regionalem wie auch auf subregionalem Niveau auf — nämlich, die Grundlagen einer afrikanischen Friedenstruppe zu schaffen. Denn die Krise des nachkolonialen Staates hat gegenwärtig ein solches Ausmaß erreicht, daß der vom Gewicht der Ost-West-Rivalität entlastete Freiheitswind, der auf die Staaten des Ostens bläst, ein demokratisches Wiedererwachen in Afrika entfacht hat. Von Diskussionsforen bis hin zu Nationalkonferenzen befinden sich die Grenzen der Tyrannei jeden Tag ein bißchen mehr auf dem Rückzug.
Krise des nachkolonialen Staates
Nichtsdestotrotz weiß niemand genau, was morgen sein wird, um so mehr, als gegenwärtig Länder wie Somalia in ein totales politisches Vakuum stürzen. In diesem Ideenzusammenhang ist die Übergangsphase, die die Ruinen des nachkolonialen Staates von den noch wackligen Fundamenten des demokratischen, republikanischen Staates trennt, eine Schlüsselperiode für viele Formen von Konflikten — politische wie wirtschaftliche, gesellschaftliche und kulturelle, hier ausgedrückt in Form eines Bürgerkrieges dessen Ausmaß heute niemand ermessen kann — dessen Fronten von der Ost-West-Entspannung und dem Zusammenbruch der Alleinherrschaft geklärt worden sind.
Angesichts der Möglichkeit, daß sich solche Dramen in der Zukunft wiederholen, muß eine flexible, gutausgerüstete und gutausgebildete Friedenstruppe aufgebaut werden, und zwar nach dem Prinzip der Lokalisierung — daß sich also der Sitz der Afrikanischen Friedenstruppe innerhalb jeder nationalen Armee der zustimmenden Staaten befindet, sowohl im Sinne der Rekrutierung wie auch des Kommandos.
Vom Standpunkt der Rekrutierung werden die Nationalstreitkräfte der Staaten Afrikas ein Friedenstruppenkontingent zur Verfügung stellen, ausgesucht unter ihren Elitetruppen. Außerhalb der Zeiten, wo sie sich für die afrikanische Sache mobilisieren, werden die Soldaten dieser Kontingente ebenso wie ihre Führer weiterhin ihrer Karriere in ihren einzelnen Armeeinheiten nachgehen.
Das Kommando wird einheitlich bei einem Offizier liegen, der in jedem Land Delegierte auswählt, um die verschiedenen Nationaleinheiten zu überwachen. Weiterhin muß das vereinte Kommando gemeinsame Manöver auf den Territorien der Teilnehmerländer koordinieren können, ebenso die Truppeneinsatzpolitik der einzelnen Länder, ihre Afrika zur Verfügung gestellten Rüstungen, den Austausch militärischer Informationen und Fortbildungsjahre in humanitärem Völkerrecht bei den Militärakademien der Mitgliedsländer.
In Erwartung, für unseren Aufruf Gehör zu finden, ersuchen wir die Mobilisierung der OAU, der UNO, der Arabischen Liga und der weltweiten öffentlichen Meinung zur Rettung des somalischen Volkes. Die Zeit drängt. Mwayila Tshiyembe
Dominique Bangoura
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