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TV-Bürgers „stiller Volkszorn“

Berlin (taz) — Es mag viele überraschen und ist doch wahr: Die großen Werbeagenturen und die privaten TV-Anbieter bangen um Kunden und Einschaltquoten. Eine neue repräsentative Studie des Hamburger Sample-Instituts, in Auftrag gegeben von der Zeitschrift 'TV-Movie‘, registriert einen bislang noch „stillen Volkszorn“ über die neue Offensive der Unterbrecherwerbung bei den privaten Sendern.

„Werbung außerhalb von Werbeblöcken“, so Sample, wird zunehmend als widerwärtiger „Störfaktor betrachtet und gezielt weggeschaltet“. Bis zu dreimal in einem Spielfilm dürfen mit Beginn des neuen Jahres mindestens sechs Minuten Spots eingeblendet werden. Das Ergebnis, weiß 'TV-Movie‘, ist „eine wachsende Werbeabstinenz, die Sorgen macht“: Knapp die Hälfte aller Zuschauer fühlt sich hartnäckig schon mit einer Unterbrechung belästigt (45 Prozent), 42 Prozent empfinden eine mehrmalige Störung mit den traditionell überdies besonders schlechten und dümmlichen deutschen Spots als „unzumutbar“. Besonders die Jungen (bis 34 Jahre) und Frauen lehnen Werbung ganz allgemein ab (90 Prozent) und greifen zunehmend zu Boykottmaßnahmen. 25 Prozent aller Zuschauer boykottieren bereits die beworbenen Produkte, immerhin 34 Prozent schalten bei Werbung sofort aus oder um, während der Rest der „Gestörten“ zumindest den Raum verläßt, um auch der akustischen Belästigung aus dem Wege zu gehen; Tendenz steigend. Als besonders überraschend gilt in Werbekreisen, daß nun auch die Lieblingskinder der Werbung, „die Haushaltsführenden“, Hauptzielgruppe der Markenartikelindustrie, sich allmählich abwenden. Denn neben der selten doofen Machart deutscher Werbespots häufen sich auch plumpe Abstimmungsfehler bei den Sendern, die im wertvollen Unterbewußtsein der Beworbenen oft grobe und irreparable Akzeptanzschäden anrichten. So mußte etwa Sat.1 der Hamburger Agentur „Lintas“ versprechen, niemals wieder einen „Unox“-Spot gleich hinter das Erbrechen Linda Blairs (Der Exorzist) zu schalten. Andere Sender hatten gar einen gefährlich dreinschauenden Killer mit drohend erhobener Faust ein Werbebündel aus duftendem Kaffee, wertvoller Tütensuppe und einer zarten Jade- Empfehlung zum Abschalten ebenso einleiten wie abrupt beenden lassen.

Solcherart Abstimmungsharmonie könnte auf Dauer wie ein Bumerang wirken. Schließlich greifen mittlerweile selbst hartgesottene Actionfans, bislang mit die treuesten Kunden der Privaten, lieber noch zur Originalfassung von Romeros Hardcore-Splatter Day of the Dead, als etwa Schwarzenegger mit der Abgesägten zu bewundern, um dann plötzlich — wie ein Fausthieb — über die Always-ultra-Binde aufgeklärt zu werden. Der Weg zurück zu den Öffentlich-Rechtlichen ist da sehr kurz, und einen Videorecorder hat auch bald jeder zu Hause stehen.

An einen Rückzug aus der steten brutalen Nötigung der Bürger wird seitens der Werber und Anbieter indes nicht gedacht. Hier setzt man trotz der wenig ermunternden Meldungen über den steigenden Boykott der Produkte und Sender weiter auf das bewährte Mittel der Gewöhnung. Motto: Irgendwann werden's die Deppen schon gefressen haben! Philippe André

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