: BERLINALIE
Über die zehn Tage, die die Berlinale dauert, stellt sich eine Art von Alltag ein. Und der findet vor dem Kartenhäuschen statt. Genauer: vor der zentralen Kartenvorverkaufsstelle im Europacenter. Der Alltag des Schlangestehens. Denn, wer in den Genuß eines Berlinale-Filmes kommen will, der muß erst mal ganz schön Zeit investieren.
Es ist kurz vor zwölf Uhr mittags, gleich wird der Kartenvorverkauf wie jeden Tag eröffnet, die Schlange ist längst da. Rund 200 Filmsüchtige haben sich aufgestellt, viele sind in das Berlinale-Programm vertieft. Zwei Studenten haben ein Mini-Schachspiel ausgepackt und spielen im Stehen.
„Es wäre mir natürlich lieber, wenn es hier Stühle gäbe", seufzt der 30jährige Berlinale- Kenner Matthias, das Warten an sich findet er gar nicht so schlimm, da kommt er endlich mal zum Lesen. Außerdem hat er schon wesentlich länger gestanden als heute, knapp zwei Stunden war sein persönlicher Rekord. Ihm steht noch einiges bevor: 15 Filme hat der Übersetzer sich vorgenommen, das bedeutet Warten für Karten. Zeit dafür hat er — seine Übersetzungen kann er schließlich abends machen. Für morgen hat er sich mit einer Freundin zum Anstehen verabredet. Gemeinsam wartet es sich eben besser.
Die 48jährige Ärztin Svetlana Roschankow ist eher ärgerlich: „Das hier ist nur was für Studenten und Freiberufler“. Sie war die ganze Nacht im Krankenhaus, 24 Stunden übrigens, und muß jetzt ihre Freizeit opfern fürs Anstehen. Entgehen lassen will sich die Narkoseärztin die Berlinale trotzdem nicht, früher hat sie sogar zwei bis drei Filme pro Tag gesehen. Und die Aussicht auf Filme, die oft nirgendwo sonst zu sehen sind, versöhnt sie wieder mit der unangenehmeren Warterei.
Wer wenig Zeit hat, dem bleiben drei Möglichkeiten: Erstens ist beim zentralen Vorverkauf im International beim Alexanderplatz meistens weniger los, zweitens kann der Filmfan es an der Kinokasse direkt versuchen, allerdings mit dem Risiko, keine Karte mehr zu bekommen. Oder man läßt anstehen — wie die Freunde von Student Ralf-Markus: Die drückten ihm eine Computerliste in die Hand für den Kartengroßeinkauf.
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