Gezähmte Amazonen

■ Südamerikanisches und Französisches im BKA

Es ist ein Zufall, daß ich sie komponiert habe, ich hatte es eigentlich nicht vor«, bekennt die argentinische Pianistin Cecilia Pillado. Das merkt man ihren Amazonen-Variationen auch an. 1992 sind sie entstanden, am Dienstag wurden sie im Rahmen der Unerhörten Musik im BKA uraufgeführt. Pillado nennt ihr Werk »frei von irgendwelchen avantgardistischen Intentionen und zwanghaften Versuchen, original zu wirken«.

Kompliment: Originalität läßt sich bei dem Stück beim besten Willen nicht feststellen. Ausgehend vom Intervall der kleinen Sekunde, fängt Pillado an, mit Permutationen zu spielen. Allerdings mit einer Ausdauer, die dem Hörer zeigt, wo seine Toleranzgrenze liegt. Eine Reihungsform, die an ein Etüdenheft erinnert. Nur dadurch, daß am Ende Anfangselemente wiederkehren, entsteht der vage Eindruck eines Bogens. Die ruhigen Passagen sind so schlicht, daß man den Mut der Komponistin, sich damit zu präsentieren, bewundern muß. Eine kurze, orgiastische Schlußsteigerung, die nicht ohne einen Schlußsprung vom Klavierhocker abgehen darf, und der Spuk ist vorbei.

Der Rhythmus ist das Element, dem sich Pillado in ihrem anderen Werk verschreibt: Malambo percu- piano (1991). Dabei gebraucht die Pianistin das Klavier als Schlaginstrument: Nicht nur durch den hämmernden Anschlag, auch im wahrsten Sinne des Wortes. Das Stück beginnt mit dem Bearbeiten des Klavierdeckels. Pillado spielt mit den südamerikanischen Rhythmen, schlägt sich zwischendurch mal auf die Schenkel und erntet für das Stück sogar Bravos. Das Hörerprinzip »Ist die Musik laut und schnell, verdient sie Applaus«, funktioniert eben immer noch. Aber vielleicht galt der Beifall ja der Pianistin, nicht ihrer Komposition. Und am Klavier überzeugt Cecilia Pillado. Nicht nur als Solistin, sondern auch im Zusammenspiel mit dem französischen Flötisten Eric Kirchhoff. Während die Vogelstimmen des Messiaen (Le Merle noir) am Anfang des Konzerts noch ein wenig schüchtern klangen, wurde Kirchhoff im explosante-fixe von Pierre Boulez lebendiger. Ein ungewohntes Unternehmen, eine Solopassage aus einem Orchesterwerk in einem Kammermusikkonzert anzubieten. So nahm die Veranstaltung dann auch durch die persönliche Werkeinführung des Künstlers (kurzfristig) Werkstattcharakter an. Kirchhoffs letzte Worte vor dem Start: »Und wenn es gelingt, ist es sehr virtuos.« Bis auf den manchmal etwas unsauberen Ansatz gelang es.

Der vielzitierte Funke zum Publikum sprang jedoch erst nach der Pause über, mit André Jolivets Chant de Linos (1946), einer an der Antike orientierten Totenklage. Sehr einfühlsam gestaltete Kirchhoff die Melodie. Vor allem die tiefe Lage seiner Flöte strahlt eine große Wärme aus. Bei den virtuosen Passagen war die Klavierbegleitung leider oft so laut, daß die Brillanz der Flöte unterging. Insgesamt näherten sich beide Künstler aber dem kammermusikalischen Ideal, das erst im letzten Werk des Abends wirklich erreicht wurde, in der Sonate von Francis Poulenc. Als seien sie sehr erleichtert, die Hürden des Abends genommen zu haben, musizieren Pillado und Kirchhoff jetzt frei und losgelöst. Die Komposition lädt dazu ein. Obwohl 1957 entstanden, ist sie nicht modern. Hier darf das Herz seine Ohren öffnen. Große Kantilenen, von Kirchhoff überzeugend gestaltet, prägen die ersten beiden Sätze. Das Presto giocoso ist ein geistreicher Schlußsatz, in dem die Künstler mit ihrer Technik glänzen. Leider ein sehr kurzes Stück, aber eines, das man von der ersten bis zur letzten Note genießen konnte.

Viele Bravorufe. Und zwei Debussy-Zugaben. Sabine Lange

Das nächste Konzert in der Reihe Unerhörte Musik : 25.2., 20.30 Uhr, Steel Cello Ensemble BKA, Mehringdamm 34, Kreuzberg