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Vorsicht! Kriminalstatistik!

■ Innensenator ließ hausinterne Statistik von privatem Gutachter prüfen

Sein Amtsvorgänger im Innenressort, Peter Sakuth, war bis zum Hals ins Fettnäpfchen getreten. Als er im letzten Jahr verkündete, die Kriminalität in Bremen sei 1990 gegenüber dem Vorjahr um 1,4 Prozent zurückgegangen, hatten ihm seine Beamten verschwiegen, daß in der Datenerfassung 27 Tage des Jahres 1990 fehlten. Eine Blamage für den Ressortchef, ein Triumph für die Opposition: Sie konnte öffentlich feststellen, daß der SPD-Senator die Statistik „gefälscht“ hatte.

Friedrich van Nispen (FDP) war also vorgewarnt. Als ihm seine Beamten jetzt die Zahlen für 1991 vorlegten, schaltete der Innensenator zusätzlich das „Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen“ ein und ließ die Zahlen in einer Expertise gegenrechnen. Der Vergleich der beiden Analysen läßt einen am Sinn der Kriminalstatistiken insgesamt zweifeln: Während absolut die Zahl der Straftaten von 1990 auf 1991 von 94.130 auf 118.427 um 25,8 Prozent stieg, errechnete Christian Pfeiffer, Strafrechtsprofessor in Hannover und Leiter des Kriminologischen Forschunsinstituts, eine leichte Abnahme der Kriminalitätsrate zwischen 1 und 4,8 Prozent, auf der Basis desselben Zahlenmaterials.

Kein Wunder also, wenn van Nispen gestern bei der Wahl seiner Worte über die Bedeutung der aktuellen Kriminalstatistik mehr als vorsichtig war. Die Daten seien „nicht vergleichbar“, und er werde sich hüten, irgendeine Tendenz zu interpretieren, die dann nachher „von Interessengruppen öffentlich ausgeschlachtet“ werden würde: „Ich mache dieses Spielchen nicht mit.“

Das Dilemma in dem neuen Zahlenwerk: Die 27 fehlenden Tage aus 1990 sind jetzt als unbekannte Größe in den 1991er-Bericht eingeflossen, und niemand kann sagen, in welchem Umfang. Die aktuelle Statistik hat nur vier Tage des letzten Jahres nicht erfaßt, so daß sich eine Tagesdifferenz von 23 Tagen ergibt. Christian Pfeiffer nimmt eine Größe zwischen 9.000 — 11.000 Fällen aus 1990 an, die er auf die 94.130 Fälle aus 1990 addiert und von den 118.427 registrierten Straftaten 1991 abzieht.

Durch ein vereinfachtes Bearbeitungsverfahren hätten die Bremer Beamten außerdem Mitte 1991 noch einmal neun Wochen in der Erfassung aufgeholt, behauptet Pfeiffer. Das betrifft die Fälle der „Massenkriminalität“ — Fahrraddiebstähle und so weiter — Straftaten, die jetzt nur noch registriert und nicht mehr bearbeitet werden. Sie tauchen deshalb schneller in der Statistik auf. Pfeiffers Schätzung: Etwa 7.500 Fälle mehr in 1991, die im direkten Jahresvergleich wieder abgezogen werden müßten.

Den 118.427 registrierten Fällen 1991 bereinigt Pfeiffer 100.000 bis 102.000, die 1990 Zahl wird auf 103.000 bis 105.000 geschätzt. Dieser Rechnung zu Folge wäre die Kriminalitätsrate also um 1 bis 4,8 Prozent gefallen gegenüber 1990. Aber die Rechnung hat viele Unbekannte, weiß auch der Senator.

„Stellen Sie sich vor, ich hätte Ihnen gegenüber diese Zahlen verkündet“, erklärte van Nispen seine Bredouille. Und kündigte Konsequenzen an. Derzeit wird geprüft, ob das Statistische Landesamt in Zukunft die Kriminalstatistik führt und auswertet, „um dieses ganze Thema einfach nüchterner und distanzierter behandeln zu können.“ Seine Strategie der verstärkten Polizeipräsenz, getestet im Viertel bei der Drogenkriminalität, will der Senator übrigens auf alle Straftatbereiche ausweiten. Markus Daschner

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