Western Motel: Die Dinge ganz leicht

■ Neue Einblicke in das Werk Edward Hoppers: Das „Casablanca“ der US-Malerei

Hopper gehört zu den populärsten amerikanischen Malern überhaupt. Sein Nachtfalken-Gemälde ist eine der Ikonen dieses Jahrhunderts, nicht zuletzt durch die Poster-Karriere des Motivs in der poppig-epigonalen Version Gottfried Helnweins. Es wird vom Chicagoer Art Institute wie ein Augapfel gehütet und ist nicht mit auf die Reise gegangen. Das Bild zeigt eine simple Kneipenszene. Woher rührt seine Wirkung auf ein Massenpublikum? Ist Hopper so erfolgreich, weil er so simpel ist? Unzeitgemäß schienen viele seiner Bilder bereits zum Zeitpunkt ihres Entstehens — das heißt für die Hauptwerke von den zwanzigern bis in die sechziger Jahre —, denn Hopper malte und zeichnete unbeirrbar von allen Trends realistische Bilder mit Landschaften, Häusern, Eisenbahnen, (Hotel-)Zimmern und (wenigen) Menschen. Auffallend ist die formale Geschlossenheit dieses ×uvres, das doch immerhin im Laufe eines halben Jahrhunderts entstanden ist.

Der nun mögliche Einblick in das Frühwerk läßt Elemente deutlich werden, aus denen sich diese erstaunliche Geschlossenheit formt. Hopper war zwischen 1906 und 1910 dreimal in Paris, nachdem er in den USA eine Schule für Illustration besucht und in New York Illustration und Malerei studiert hatte. Danach reiste er nie wieder nach Europa. Die Bilder, die in dieser Lehrzeit beiderseits des Atlantiks entstehen, sind gekennzeichnet durch Beschränkung. Am erstaunlichsten eine Reihe von überwiegend grauen Ölbildern in Schwarzweiß: Die einzelne Frau in städtischer Umgebung, ein wichtiges Motiv des gesamten Hopperschen Schaffens, findet sich wiederholt bereits hier. Auf den farbigen Gemälden dominiert das gedeckte, bisweilen warme und leuchtende Braun der barocken Palette. In Frankreich entstehen Landschaften und Stadtansichten; aber von den spätimpressionistischen Zeitgenossen, von der Flut der Eindrücke und den Farben ihrer Bilder findet sich kaum eine Spur; statt dessen auch hier große braune, graue und olivfarbene Flächen. Das Wasser der Seine auf Flußschiff zum Beispiel ist lehmfarben und dunkler als die beige Fassade eines Hauses. Hier behauptet sich Hoppes Blick, und dieser Blick geht auf Reduktion, auf Kalkül und Struktur. Nachdem Hopper in New York mit seinen Gemälden keinen Erfolg hat, arbeitet er als Illustrator. Der Tennisspieler ist ein Bild aus dieser erfolgreichen Phase (die der Katalog begreiflicherweise fast völlig ignoriert); es ist dies eine exzellente Gebrauchsgraphik, die die Zeiten so gut überdauert hat wie Lissitzkys Zeitschriften-Typographien, oder, näher an Amerika, der Entwurf des Coca-Cola-Signets.

Den Durchbruch auf dem Kunstmarkt bringt eine Reihe von Radierungen. Die gezeigte Auswahl der Ausstellung ist schmal, aber hochkarätig. Das Segelschiff (The Cat Boat) von 1922 ist ein Klassiker, Nachtschatten und Abendwind sind nicht weniger beeindruckend, und mit Das einsame Haus ist ein, wenn nicht das Hauptmotiv Hoppers sogar expressis verbis artikuliert, nämlich Einsamkeit.

An der Vernüpfung von Behausung und Einsamkeit hält er bis zu seinem Tode fest. Ein wie so oft bei Hopper simpler, aber keineswegs flacher Gedanke; ein Gedanke zumal, der Heidegger gefallen haben könnte: daß selbst die Massivität der modernen Häuser gegen die Unbehaustheit nicht schützt.

Die Bilder aus den zwanziger Jahren, mit denen sich die Ausdruckspalette vervollständigt, sind denn auch Eisenbahnkreuzung und Haus an der Eisenbahn, wo sich Technik- und Haus-Thema verbinden. Beide Gebäude stehen allein, und bei beiden liegt die Vorderseite im Schatten.

Das Haus an der Eisenbahn ist gut einen Meter über dem Sockel von einem Bahndamm wie durchgeschnitten, auf dem es folglich zu stehen scheint. Das ist kein sicherer Grund vor der Leere des blaßblauen Himmels.

Wo das Gebäude mit seiner Opulenz, mit dem Turm und dem säulengestüzten Balkon über dem Eingang Zeichen eines Sakralbaus trägt, fehlt ihm gleichzeitig die selbstverständliche Würde, mit der der griechische Tempel oder die Barockkirche gemeinhin ausgestattet sind. Die Gleise liegen als Schnitt zwischen derlei Geborgenheit und den architektonischen Resten, die davon allein noch mit verhülltem Antlitz — also der verschatteten Frontseite — zu künden scheinen. Man wähnt sich nicht nur angesichts dieses Hauses wie der Erzähler Poes „angesichts des melancholischen Hauses Usher“.

Kirchen- und „gotische“ Grusel- Anklänge zusammen mit Großstadt- Einsamkeit bestimmen auch den Innenraum von New York Kino, einem völlig plüsch-verlorenen und traurigen Ort. Ab den Fünfzigern werden die Stukturen klarer, und die Farben hellen sich auf. Fast immer ist eine einzelne Frau zu sehen, ob auf Stadt- Sonnenlicht (1954), auf Cape Cod Morgen (1950), auf Hotelfenster (1956) oder auf New York Büro (1962). Diese Menschen sind allesamt Teil der „einsamen Menge“, die der Soziologe und Zeitgenosse Hoppers, David Riesman, beschrieb.

Die späten Arbeiten vor allem zeigen das und trösten dennoch. Auf Western Motel (1957) dominieren Pastelltöne; Innen und Außen, Bett, Koffer, Berge und ein Wagen blenden übergangslos ineinander. Die Dinge werden ganz leicht, ein Sessel in der Ecke scheint zu schweben, und die Frau im roten Kleid, fast in der Mitte des Bildes, schaut dem Betrachter skeptisch, aber durchaus freundlich in die Augen; der amerikanische Traum von Zivilisation und Mobilität hat eine Ruhepause und verschwindet schließlich völlig im Einvernehmen zwischen Kunstfigur und Rezipient. Das Western Motel verwandelt sich in diesem — mag sein: trivialmythischen — Augenblick in das Casablanca der amerikanischen Malerei; Humphrey Bogart ist im Spiel wie auf der Helnwein-Paraphrase des Hopper-Gemäldes Nightawks, von dem eingangs die Rede war, und das denn auch in Genf nicht wirklich fehlt, weil es schlicht allgegenwärtig ist. Dieter Kief

Katalog franz., engl., 250 S., Frs. 35 DM, bis April im Louisiana Museum Humlebaek bei Kopenhagen