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■ DIE PREDIGTKRITIKWorte zum Sonntag

Guten Tag, bitte würden Sie dort oben im Stuhlkreis Platz nehmen«, begrüßt mich Pfarrer Krause mit Handschlag, und ich kann ich nicht umhin, mich zur bereits wartenden Gemeinde in den Kreisrund zu setzen. Denn heute haben die Glocken der Passionskirche zum »Gesprächsgottesdienst« gerufen. Und so sitzt sich die Gemeinde einmal im Altarraum gegenüber, kann sich beäugen, bestaunen und später auch noch gegenseitig besprechen. Zunächst geht es aber noch ganz traditionell los. Ein Lied, ein Psalm, ein Kyrie. Dann erhebt sich die Gemeinde aus ihrem Stuhlkreis, und der Presbyter liest das Evangelium nach Lukas: Da nun viel Volks beieinander war und sie aus den Städten zu ihm eilten, sprach er durch ein Gleichnis... Es ist die Geschichte des Sämannes, der so verschwenderisch mit seinem Korn umgeht, daß mindestens zwei Drittel davon keine Ernte einbringen. In Vers 8 heißt es dann: »Wer Ohren hat, zu hören, der höre«, und das Volk beieinander hört und setzt sich. In der Predigt, die heute keine ist, weil ausnahmsweise das Volk nicht nur hört, sondern auch sprechen soll, geht es nun buchstäblich um die Worte des Herrn. Das Wort Gottes ist lebendig und kräftig und schärfer als jedes zweischneidige Schwert heißt es im Brief an die Hebräer. Ja, es ist ein zweischneidig' Ding um die Worte. Denn, so weiß der Presbyter von eben, mit Worten werden Kriege begonnen, aber es werden damit auch Kriege geschlichtet. Nein, so einfach ist es nicht mit den Wörtern. Die großen, wie Frieden, Freiheit oder Liebe, singen inzwischen das Trauerlied der Inflation, sagt der Herr Pfarrer Krause, die kleinen, wie das Wörtchen ja, finden den Weg in die Herzen der Menschen nicht mehr. Sag ja zum Leben, sag ja zum Wort Gottes, rät uns darum der Pfarrer aufmunternd. Und nun könnte alles ganz friedlich weitergehen, wäre da nicht ein Zweifler in unserem Stuhlkreis. »Solange hier mitten im Wohlstand noch Menschen auf der Straße leben müssen, sei es nicht die Zeit des Betens, sondern die Zeit der Revolte«, sagt ein ungläubiger Thomas in unserer Mitte und stört unsere betenden Kreise. Provokativ steht er auf und entzündet ein Licht für das Elend dieser Welt. Warum fällt mir ausgerechnet jetzt dieser blöde Kampfspruch meiner Konfirmandenzeit ein: Seht doch beim Loben nicht immer nach oben, blickt mal zur Seite, dann seht ihr die Pleite!, skandierten wir damals und fanden uns ziemlich kritisch. Hier meldet sich nun eine offensichtlich bibelkundige Dame zu Wort und erinnert uns Zweifler und Krittler daran, daß Gottes Wort doch viel größer und unergründlicher ist als die Pleite, die wir täglich erleben. »Ja, und das Wort Gottes«, erinnert uns auch der Pfarrer, »es ist überall, auch im Elend und auch in dem Zweifel, den unser Nächster zum Ausdruck bringt.« Und darum sollen wir uns Christen vor allem im Hören üben.

Solchermaßen sensibilisiert, nehme ich jetzt auffallend ruhige Atemzüge und einen kleinen Schnarcher neben mir wahr. Meine Nächste hat sich wohl zu sehr in die Kontemplation begeben, nun gleitet der gesamte heilige Disput dieser Stuhlrunde an ihr vorüer. Erst als es um die Kollekte geht, reiht sie sich wieder in unsere Gedanken ein. »Für ein kurdisches Dorf solle diesmal gesammelt werden«, gibt der Pfarrer gerade bekannt, da meldet sich schon wieder dieser ungläubige Thomas zu Wort, der wohl nicht mitbekommen hat, daß die Stuhlkreis-Diskussion inzwischen beendet ist und jetzt der Pfarrer wieder uneingeschränkt das Wort hat. »Die Kirche soll diesen armen Menschen — er zeigt dabei auf uns armen Sünder — nicht auch noch die letzten Piepen aus der Tasche ziehen«, beschwert sich der Zweifler und gibt bekannt, daß diese Spenderei sowieso »total verlogen und damit überflüssig« ist. Wenn er einen auf der Straße treffe, der barfuß durchs Leben gehen muß, dann drückt er ihm spontan zehn Mark für ein Paar Schuhe in die Hand. Das allein sei tätige Nächstenliebe, so und nicht anders solle es immer sein. »Wo bekommt man denn heutzutage noch Schuhe zu 9,95?« fragt meine Nachbarin — wohl soeben aus der inneren Emigration erwacht — ganz pragmatisch interessiert. Tiefes Schweigen. Niemand kann ihr auf diese Frage eine Antwort geben. Auch der liebe Gott und der Pfarrer nicht. Betroffen ziehen wir unser Portemonnaie aus der Tasche, um in das vorbeiziehende Brotkörbchen den einen oder anderen Silberling zu legen. Damit am Ende wenigstens ein Paar Schuhe den Weg nach Kurdistan finden. Denn nicht nur die großen Worte inflationieren dieser Tage, auch die Schuhe werden immer teurer.

Klaudia Brunst

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