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Baden in schäumender Eselsmilch

■ Lokaltermin mit der Popgruppe Army Of Lovers

Bist Du bisexuell, schwul oder ganz normal?« Der Mann in der U-Bahn neben mir macht große Augen, solche Fragen scheint er nicht gewohnt zu sein. Trotzdem liest er eifrig mit in dem 'POP Rocky‘, das ich gerade gekauft habe. »Wieso hast Du Deinen Samen in einer Samen-Bank deponiert?«, »Was ist das Geheimnis Deiner samtweichen Haut?« »Wann hattest Du Dein erstes Sex-Erlebnis?«, »Wieso trägst Du auf Fotos oft Handschellen?« oder auch, schlicht und einfach, »Was hältst Du von sexueller Treue?« werden drei lustig anzusehende Figuren gefragt. Das alles auf einer schreiend aufgemachten Doppelseite mit der Schlagzeile: DIE »LIEBES-ARMEE« INTIM. SO SCHRÄG SIND LADY DE LA COER UND IHRE LUSTKNABEN. Mein Nachbar grinst. Fast verpaßt er seine Haltestelle.

Viel hält die Band nicht von sexueller Treue, erfahre ich weiter. Eine samtweiche Haut ist das Ergebnis täglichen Badens in schäumender Eselsmilch, und die Handschellen bloß da, weil die Gruppe »gerne die Leute schockt«. Das ist ernst gemeint, aber natürlich nicht tierisch. Bloß so lala. Army Of Lovers, der neueste Pop- Exportschlager aus Schweden, wissen, wie man Erwartungshaltungen kitzelt, ohne dabei zu weit zu gehen; sie verstehen sich auf das ironische Spiel mit der prüden, Aids-verängstigten Öffentlichkeit. Gib den Affen Zucker. Und sie haben Erfolg damit. So viel Erfolg, daß sie — ohne bevorstehende Tournee oder sonstigen tieferen Anlaß — zum Pressetermin ins Kempinski laden. Präsenz zeigen. »Die Band wird zur Konferenz geschminkt sein«, hatte die Promo- Dame am Telefon geflötet. Wer kann da schon nein sagen?

In Saal 5 herrscht trotz noch lichter Reihen bereits reges Treiben. Die Stars des Nachmittags postieren sich vor schimmernden Tapeten und üppigen Wandlüstern, huschen von einem zum nächsten, blinzeln verboten. Rhythmisch, beschwingt, als wären sie auf einer barocken Lustpartie, führen sie ihre hautengen Samtwämschen und weißen D'Artagnon-Hemden vor, ergehen sich in grandios- exaltierten Gesten, nicht ohne ab und zu einen Scherz fallenzulassen. Dekadenz verpflichtet. Umtänzelt wird das Trio von Fotografen, die hektisch Kommandos geben, hier eine Rüsche zurechtzupfen, dort einen bestimmten Augenaufschlag einfordern und sich dabei mit dem Rücken über die gedeckte Tafel hängen. So muß Erfolg fotografiert werden: wie ein opulentes Wandgemälde. Louis Quatorze. Bitte lächeln. Bitte rechtsherum. Die Dame in die Mitte. Und jetzt frontal. Ein seltsames Menuett, bei dem die Gruppe grenzenlos Spaß zu haben scheint — mit Ausnahme der Visagistin, die besorgte Blicke von der Seite herüberwirft.

Es ist eine unfreiwillige Cabaret- Nummer, die da abgespult wird, und auch ein Lehrstück in Sachen Präsentation. Hofnarren der Medien posieren für die Medien, auf einem Nebenschauplatz der Berlinale und nach einer überaus strengen Dramaturgie, die das Hedonisten-Image der Band hinterrücks verspottet. Trotzdem gilt Lachen als Zeichen mangelnder Professionalität, und so sitzt journalistischerseits alles einträchtig und stumm vor seinen Gedecken und legt sich die Story zurecht. Vielleicht irgendwas mit Sex oder so? Das wichtigste sind ohnehin die Fotos. »In den illustrierten Zeitungen sieht das Publikum die Welt, an deren Wahrnehmung es die Illustrierten hindern«, schrieb Siegfried Kracauer in den dreißiger Jahren. Lange her ist das.

Als die Sache allmählich im Kasten scheint, klatscht der Manager streng zu Tisch. Die Band »stellt« sich jetzt der Presse. Was Army Of Lovers als nächstes planen, will die Dame von 'Bild‘ wissen. »We will have a lot of fun with a lot of people« — Alexander Bard, der drosselbärtige Chefdenker der Gruppe, trompetet gleich auf die erste Frage hin die gesamte Band- Ideologie in den Raum. Was kann jetzt schon noch gefragt werden? Eine Pause entsteht. Guter Rat ist teuer. Wie es denn weitergehen soll mit dem Projekt vielleicht? Natürlich genauso, dumme Frage. Die neue Single Cruzified sei big in Stockholm, big in Germany und exploding in England. Mit Großartigkeiten wird auch rhetorisch nicht gegeizt. Trotzdem funktioniert irgend etwas nicht so recht, die Journaille bleibt im Häuschen. Vielleicht liegt es daran, daß die Spaß-Dekadenzler, einmal aus dem Blitzlicht verbannt, wie alle Medienfiguren plötzlich kleiner wirken — fast schon unscheinbar. Die Schminke hat die Farbe eines alten Perlonstrumpfs, und Jean-Pierre Barda, der dunkelhaarige Eintänzer mit dem Piratenblick, sieht beleidigt aus. Yesterday in Hamburg sei alles noch ganz anders gewesen.

Zur Ehrenrettung Berlins raffen einige von der Zunft sich nochmals auf, machen sich beherzt auf die Suche nach weiteren Fragen und dem tieferen Sinn im Dasein der Liebes- Armee. Was die Band denn von »Outing« halte, wird gefragt. Hape Kerkeling und so. Bloß eine andere Form von Gerüchteküche, winkt Bard ab, und Barda tut es ihm gleich. Trotz des schwulen Images denkt man lieber allgemeinmenschlich. Die Sängerin lächelt großbusig, heißt Hase, weiß ohnehin von nichts. Und woher der Gruppen-Name kommt? Ja, okay, er stammt tatsächlich von dem Praunheim-Film, aber man hat höchstens mal 15 Minuten davon gesehen. Lieber sieht man sich in einer Front mit dem amerikanischen Künstler-Star Jeff Koons. Pop ist nun mal nichts als Spaß. Next question, please.

Da folgt auch schon der Komödie (vor)letzter Teil. Gerade als die Stimmung auf den Tiefstpunkt gesunken ist, klatscht der Zeremonienmeister abermals in die Hände und kündigt eine Überraschung an. Wie von Zauberhand öffnet sich die Flügeltür, und eine kleine rundliche Gestalt erscheint im Gegenlicht. Ich denke zunächst an einen Kinderstar, aber es ist die 79jährige Lotti Huber, die hereingewedelt kommt, nach allen Seiten Kußhände werfend. Sofort brandet ihr eine Welle der Sympathie entgegen. Von soviel Goodwill entflammt, beginnt sie umstandslos mit der Rezitation ihrer geplanten Cover-Version des Army-Of-Lovers-Hits Obsession: »Obsession, Obsession, ich bin von Dir besessen ... Feuer verbrennt mir die Eingeweide, siehst du nicht, wie ich leide ... grausamer Frust, gib mir Lust, Lust, Lust« usw. usf. Die Huber scheint in ihrem Element. Als sie dann auch noch hinzufügt »I'm not hysteric, I'm historic«, ist kein Halten mehr, Saal 5 tobt. Begeisterung auch auf seiten der Band: »We're almost Abba now.« Blitzlicht und Bussi. Der Nachmittag ist gerettet.

Was Lotti Huber wohl zu dieser Veranstaltung getrieben hat, frage ich mich noch — der durch nichts zu erschütternde Glaube, an der Front der sexuellen Befreiung zu kämpfen, der Zwang, bei jeder Schrillität dabeisein zu müssen, oder doch eher der altersbedingte Verlust der Fähigkeit, beides noch auseinanderzuhalten —, da sind Lady de la Coer und ihre Lustknaben schon wieder von den Stühlen aufgesprungen, um in abermals neuen Variationen zur zärtlichen Gruppe zusammenzutreten. Mit dem Unterschied nur, daß sie den Troß diesmal durchs ganze Hotel schleifen, vor Spiegeln posieren, in der Lounge oder in der Bar Station machen, wo ein schwarzer Flügel (Steinway?) gepflegte Noblesse abstrahlt.

Das Volk, das dort herumsitzt, schaut ab und zu mal geschmeichelt auf, und es ist nicht zu unterscheiden, wer wem als Staffage dient. Jede Zeit hat eben die Pop-Gruppen, die sie verdient. Thomas Groß

Wer Army Of Lovers immer noch hören will: Die aktuelle LP heißt Massive Luxury Overdose . Im Fachhandel erhältlich.

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