: „Vollstes Verständnis für Staat und Partei“
■ Der Vorsitzende Richter des Bülowplatz-Verfahrens von 1934 war ein antidemokratischer Scharfmacher
Im Jahr 1934 führte Dr. Walter Böhmert den Vorsitz im ersten Bülowplatz-Prozeß, dem heutigen Mielke-Verfahren. Die Anklageschrift, die auch im Jahr 1992 von der Berliner Justiz als rechtsstaatliches Meisterwerk empfunden und verwendet wird, unterschrieb der Staatsanwalt Dr. Helmut Jaeger. Die beiden Herren und die anderen am Bülowplatz-Prozeß beteiligten Juristen Lautz, Crohne, Thomas, Ranke, Sturm, Peltzer und Albrecht sind keine unbeschriebenen Blätter. Da aber Jürgen Busche in der 'Süddeutschen Zeitung‘ so tut, als seien sie alle mehr oder weniger normale Juristen gewesen, „die keineswegs so schnell und rigoros in den Dienst der Diktatur genommen (wurden), wie man sich das im nachhinein vorstellen mag“, beginnen wir heute mit einer kleinen Serie. Solange das Moabiter Nazi-Justiz- Revival andauert, wollen wir zu jedem Verhandlungstag einige Details aus der Personalakte von einem der 1933/34 am Bülowplatz-Verfahren beteiligten Ermittler und Juristen dokumentieren. Da Busche und wohl auch die entscheidenden Damen und Herren der Berliner Strafjustiz ferner meinen, die „Arbeit der Ermittlungsbeamten“ sei damals zwar durch die Diktatur begünstigt worden, es sei deshalb aber noch lange nicht erlaubt, „die Arbeit des damaligen Gerichts und seine Ergebnisse pauschalen Zweifeln grundsätzlicher Art auszusetzen“, wollen auch wir keine „Zweifel grundsätzlicher Art“ gelten lassen; vielmehr wollen wir — anders als der Münchner Generalist — Fakten höchst konkreter Art präsentieren.
Beginnen wir also mit einem kurzen Blick in die nachgelassenen Papiere des Dr. Walter Böhmert. Vier Wochen nachdem Böhmert den Bülowplatz-Prozeß mit drei Todesurteilen abgeschlossen hatte, meldete der 'Völkische Beobachter‘, daß „Landgerichtsdirektor Dr. Böhmert zum Vorsitzenden des Sondergerichts (in Berlin) bestimmt“, also befördert worden war. Damit war er in Berlin für die Ahndung „von heimtückischen Angriffen auf Staat und Partei“ zuständig, für Hunderte — in Berlin bis heute nicht gezählte, geschweige denn „juristisch aufgearbeitete“ — Justizmorde verantwortlich. Unter dem Datum vom 1. Dezember 1936 stellte der Präsident des Landgerichts Berlin für Böhmert ein Zeugnis aus, in dem es heißt: „Wie früher bereits den zweiten Felseneck-Prozeß, so hat er (Böhmert) im Sommer 1934 den Prozeß betreffend Ermordung des Polizeihauptmanns Anlauf in ausgezeichneter Weise und mit vollstem Verständnis für die staatlichen Belange geleitet. Auf Grund des so begründeten Vertrauens aller in Betracht kommenden Stellen zu seiner Persönlichkeit wie zu seinen Leistungen ist ihm im Juli 1934 die Leitung des Sondergerichts übertragen worden, in dem er noch heute den Vorsitz führt.“ Auch bei dieser „besonders verantwortungsvollen Aufgabe“ zeigte er stets „volles Verständnis für die Belange von Staat und Partei“. 1941 wurde Böhmert bescheinigt, er werde sich auch weiterhin „für den neuen Staat stets rückhaltlos einsetzen und die Gedanken des Nationalsozialismus immer wirksam vertreten“. Der 'Völkische Beobachter‘ schwärmte: Landgerichtsdirektor Böhmert sei „einer der energischsten Richter Berlins“ und schon „unter der Systemregierung“ höchst positiv wegen seines Vorgehens gegen die (kommunistischen) Rechtsanwälte Litten und Löwenthal aufgefallen. Ganz anders das liberale Berliner '8-Uhr-Blatt‘. Dort hieß es am 18. Oktober 1932, also in den letzten Wochen der Weimarer Demokratie: „Es scheint, daß jetzt auch einzelne Richter in den zackigen Ton der SA verfallen wollen. Jedenfalls hat man diesen Eindruck bei Herrn Landgerichtsdirektor Böhmert.“
Jürgen Busche hat recht: Dieser Jurist wurde „keineswegs rigoros in den Dienst der Diktatur genommen“, er tat freiwillig und aus innerster Überzeugung, was der Führerstaat von ihm erwartete. Schon vorher hatte er zu jenen Richtern gehört, die auf dem rechten Auge blind waren und sein wollten und so den Untergang der Demokratie förderten – „ein klar und scharf denkender, äußerst leistungsfähiger Richter“.
Götz Aly
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