EG auf der Suche nach gelehrigen Demokratieschülern

Seit kurzem koppelt die EG ihre Entwicklungshilfe offiziell an die Menschenrechtslage. Für „gute Schüler“ ist zusätzliche Unterstützung vorgesehen, bei undemokratischem Verhalten sind Sanktionen möglich. In der Praxis siegt aber meistens Opportunismus  ■ Aus Brüssel Francois Misser

Im Kapitel des Maastrichter EG- Vertrages über die politische Union, das von der Zusammenarbeit mit der Dritten Welt handelt, ist vom Willen der EG-Mitglieder die Rede, zur Entwicklung und zur Konsolidierung der Demokratie und der Menschenrechte beizutragen. Ein solcher Diskurs ist in sich nichts Neues: Schon die Lomé-Konvention, 1989 mit 69 Ländern in Afrika, der Karibik und dem Pazifik unterzeichnet, enthält derartige Prinzipien.

Neu ist dagegen, daß die Entwicklungsminister der EG nunmehr die Hilfe an die Dritte Welt an Konditionen knüpfen wollen, wie am 25. November 1991 beschlossen wurde. Als Parameter dabei galten die Respektierung der „universellen“ Menschenrechte, die Existenz demokratisch legitimierter politischer Institutionen sowie die Reduzierung der Militärausgaben.

Die Konditionierung sieht positive Maßnahmen für die „guten Schüler“ vor: Unterstützung bei der Abhaltung von Wahlen, der Schaffung demokratischer Institutionen, der Stärkung des Rechtswesens, der Verbesserung von Haftbedigungen und der Stärkung der Rolle von Nichtregierungsorganisationen — letztere gelten als „notwendig zur Sicherung des pluralistischen Charakters der Gesellschaft“. Und zum ersten Mal kündigten die Minister „im Falle schwerer und dauerhafter Menschenrechtsverletzungen“ und „im Fall der ernsthaften Unterbrechungen des demokratischen Prozesses“ Sanktionen an. Sie reichen von geheimem oder öffentlichem Druck bis zur Einstellung der Zusammenarbeit und sehen auch die Reduzierung der Hilfe an Länder vor, deren Militärausgaben als zu hoch eingeschätzt werden. Um den Bevölkerungen der Länder, wo Menschenrechte verletzt werden, nicht zu schaden, sollen jedoch in jedem Fall humanitäre Hilfe und Nothilfe aufrechterhalten werden. Die Zwölf haben auch ihre Absicht bekundet, von den Ländern, mit denen sie zusammenarbeiten, die „freiwillige“ Kooperation mit dem neuen UNO-Waffenhandelsregister zu verlangen.

Sanktionen gegen Menschenrechtsverletzer

Die EG hat in der Vergangenheit bereits mehrmals Sanktionen gegen Entwicklungsländer verhängt. 1991 wurde die Zusammenarbeit mit Sudan und Somalia eingestellt, deren Regime sich schwere Menschenrechtsverletzungen geleistet hatten. Aber für solche Entscheidungen gibt es keinen offiziellen Beschluß. Das praktische Problem besteht seit Ende November in der Auswahl der Kriterien: Wie schwer müssen Menschenrechte verletzt werden, wie mangelhaft muß die Demokratie sein oder wie hoch die Militärausgaben, damit die EG ihre Zusammenarbeit einfrieren soll?

Bis jetzt ist lediglich eine Ad-hoc- Herangehensweise zu erkennen. So führte die Suspendierung der Nationalkonferenz von Zaire im Januar zum Abbruch der Zusammenarbeit seitens der EG. Dagegen wurde der Putsch in Haiti Objekt bitterer Debatten innerhalb der Gemeinschaft: Zur Diskussion standen die Suspension der Hilfe und ein Handelsembargo, indem das Land aus der Lomé-Konvention ausgeschlossen werden sollte. Aber aus Angst vor Präzedenzfällen in den EG-AKP-Beziehungen wurde dieser Schritt nicht unternommen — in der AKP-Gruppe existieren eine Reihe von Staaten, deren Regimes durch Staatsstreiche an die Macht gelangt sind.

Die mangelnde Kohärenz wird auch beim Europäischen Parlament erkennbar. Im Januar prüfte es die Kooperationsprotokolle mit mediterranen Ländern. Sowohl der Ministerrat wie auch die Kommission wollte die Annahme aller Protokolle, um ein günstiges Klima für die Nahost-Friedensverhandlungen zu schaffen. Aber die Parlamentarier entschieden anders: Marokko und Syrien erhielten kein grünes Licht. Insbesondere die Grünen und Abgeordnete der SPD und der britischen Labour Party stimmten gegen die beiden Länder. Sie warfen Marokko vor, die Abhaltung des Unabhängigkeitsreferendums in der Westsahara zu behindern, und beschuldigten Syrien der Beherbergung des Nazi- Verbrechers Alois Brunner.

Algerien, wo der Wahlprozeß unterbrochen ist, und Israel, das Palästinenser aus ihren Geburtsorten ausweist und Territorien gegen UN-Beschlüsse besetzt hält, erhielten dagegen eine gefälligere Behandlung. Ihre Protokolle wurden angenommen, mit der zusätzlichen Forderung, die EG-Kommission möge ihre Anwendung von der politischen Entwicklung der beiden Länder abhängig machen. Die Protokolle Ägyptens, Jordaniens, Tunesiens und Libanons, die ebenfalls Kritik in Menschenrechtsangelegenheiten erfahren haben, wurden ohne Diskussion angenommen.

Während Marokko die Westsahara annektiert hat, besetzt Indonesien die ehemalige portugiesische Kolonie Ost-Timor, ohne daß die Bevölkerung gefragt wurde. Auch seitdem die Armee des Landes im November über 100 Menschen in dem umstrittenen Territorium massakrierte, hat die EG keine einzige konkrete Sanktion getroffen. Die unterschiedliche Behandlung dieser Länder — deren Fälle zugegebenermaßen nicht völlig analog sind — bietet Anlaß zu Kritik an der EG-Politik und sogar zu Gegenmaßnahmen.

So hat die marokkanische Presse den EG-Parlamentariern „selektive Härte“ und Einmischung im Dreieck zwischen Marokko, der UNO und den Sahraouis vorgeworfen. Weiter hat Marokko einseitig die Verhandlungen mit der EG über eine Erneuerung des Fischereiabkommens, das Ende Februar ausläuft, abgebrochen. Wenn nicht eine provisorische Verlängerung eintritt, werden 700 spanische und portugiesische Schiffe nach diesem Zeitpunkt nicht mehr in marokkanischen Gewässern operieren können. Und selbst eine Verlängerung würde nicht länger als drei Monate währen.

Ein Schritt zu größerer Klarheit in der EG-Politik könnte von einem Bericht über die „präventive Diplomatie“ zu erlangen sein, den UNO-Generalsekretär Butros Ghali beim letzten Weltsicherheitsratsgipfel Ende Januar verlangte und mit dessen Erstellung die EG Belgien beauftragt hat. Es geht darum, eine Konzeption von „globaler Diplomatie“ zu entwickeln, das die Einmischung in die Angelegenheiten von Staaten, die die Menschenrechte verletzen, rechtfertigt. Der Bericht soll im März oder April vorliegen. Heftige Diskussionen sind auch hier um die Kriterien für Einmischung zu erwarten.

Brüssel vertritt die Idee, daß der Weltsicherheitsrat sich „so bald wie möglich“ um Konflikte kümmern sollte, wenn eine „direkte Bedrohung des Friedens und der internationalen Sicherheit“ vorliegt. Eine extreme Gegenposition vertritt Rechtsanwalt Jacques Vergès, der Klaus Barbie und auch afrikanische Regimes wie die von Zaire oder Gabun vertreten hat: Er nennt die Menschenrechte in seinem charakteristischen Stil eine „westliche Mystifikation“. Sie diene als Vorwand für eine „koloniale“ Beherrschung des Südens durch den Norden, dessen Kreuzzügler nicht mehr das christliche Kreuz emporheben, sondern die Berichte von Amnesty International.

Wer hält die Militärs in Schach?

Ein Risisko, das aus der Bindung von europäischer Entwicklungshilfe an die Reduzierung der Militärausgaben folgen könnte, ist das der Destabilisierung, wenn es keine Begleitmaßnahmen gibt. In Zaire ist der Druck der Strukturanpassungsprogramme zusammen mit der Korruption des Regimes so stark geworden, daß Mobutu seine Armee nicht mehr bezahlen kann — was dazu führt, daß diese seit September regelmäßig die Städte brandschatzt. In Venezuela diente die Austerität unter IWF- Ägide vor kurzem als Vorwand für putschende Militärs.

Im Falle von Angola wurde ein Ausweg gefunden: Die EG und die Behörden des Lands haben die Demobilisierung der Regierungstruppen wie auch der UNITA-Guerilleros innerhalb eines gemeinsam ausgearbeiteten Entwicklungsprogrammes als Priorität festgeschrieben. Die europäische Hilfe soll der Wiedereingliederung von Kämpfern in das zivile Leben dienen, besonders im Ackerbau.

Wenn diese Erfahrung Schule machen sollte, müssen aber vielleicht zusätzliche Mittel bereitgestellt werden, um zu verhindern, daß sich andere Bevölkerungsteile gegenüber den wiedereingegliederten Militärs benachteiligt fühlen. Beamte und Studenten gehen vielerorts in der Welt auf die Barrikaden, um sowohl die Einführung von Demokratie wie auch die Erhaltung ihrer Kaufkraft zu verlangen.

Der Wunsch, die Regierungen des Südens mögen die Demokratie und die Menschenrechte respektieren, während sie gleichzeitig den Unmut ihrer Bevölkerungen über die von der Weltbank eingerichteten Strukturanpassungen eindämmen sollen, heißt im Grunde, das Unmögliche zu verlangen.